Interview mit Dr. Alexander Schafigh und Dr. Armin Reinartz

„Jeder Mensch hat das Recht auf Schmerzlinderung“

Dr. Alexander Schafigh und Dr. Armin Reinartz fliegen – wann immer es ihre Arbeit in Deutschland zulässt – zu Hilfseinsätzen auf die griechische Insel Chios. Was sie antreibt, erzählten sie uns im Interview.

Was treibt Sie immer wieder zu Hilfseinsätzen an?

Dr. Alexander Schafigh:

Gerade in diesen Zeiten ist mir noch einmal bewusst geworden: Wir dürfen keine Unterscheidungen von Geflüchteten machen. Ob sie nun seit diesem Jahr aus der Ukraine kommen oder seit vielen Jahren aus Syrien, aus Afghanistan oder auch aus afrikanischen Staaten – jeder Mensch hat ein Recht auf Schmerzlinderung und muss medizinisch versorgt werden. Das hat die Politik in den Geflüchteten-Camps schlicht vergessen. Dort werden nur dringende Notfälle behandelt. Alles Weitere ist von Hilfsorganisationen initiiert und mit Spenden finanziert.

Mein Weg hat mich auf die griechischen Inseln geführt. Ich brenne für die Sache, denn wir können mit unserer Arbeit vor Ort Menschen helfen, die meist viel Schreckliches erlebt haben. Die Gründe für die Flucht, die Odyssee selbst und dann noch das lange Warten auf die Entscheidung über den Asylantrag – das alles ist enorm belastend für diese Menschen.

Wann kommen Sie an Ihre Grenzen?

Dr. Armin Reinartz:

Vor Ort sind wir inzwischen gut organisiert mit unserer Zahnstation. Die Camp-Organisatoren kennen uns, wir sind etabliert und die Abläufe laufen meistens rund. Allerdings nimmt es mich bei aller Erfahrung und Routine immer noch mit, wenn mir Patienten ihr persönliches Schicksal rund um die Flucht berichten. Im Sommer beispielsweise kam ein Mann aus Afghanistan zu uns in die Station, der hatte gar kein Problem mit seiner Mundgesundheit, er wollte einfach darüber reden, was er erleben musste. Seine Frau und seine Tochter sind bei der Überfahrt von der Türkei nach Chios ertrunken. Tot, für immer weg aus seinem Leben. Und er konnte sie nicht einmal bestatten lassen, um Abschied zu nehmen. Auf der Suche nach einem besseren Leben für seine Familie und sich hat er sie verloren.

Bei dieser Geschichte lagen wir uns am Ende in den Armen, auch ich habe geweint. Denn ich konnte ihm nicht helfen, nichts sagen, was seinen Schmerz gelindert hätte. Das werde ich nie vergessen. Genauso wenig wie Geflüchtete, die nach den stundenlangen Pushbacks vor lauter Erschöpfung in ihren Verstecken in den Dünen versterben. Das darf nicht passieren!

Im ersten halben Jahr unserer Arbeit, damals waren wir ja noch auf Lesbos im Camp Moria, habe ich viel von den Schicksalen mit nach Hause genommen. Es hat wahnsinnig in mir gearbeitet. Ich war einerseits stiller als sonst, andererseits dünnhäutiger und leichter gereizt. Das ist meiner Familie aufgefallen. Dennoch haben wir entschieden weiterzumachen. Die Hilfe abzubrechen war keine Option. Mit der Routine bin ich dann auch ein Stück weit gelassener geworden.

Wie würden Sie Kolleginnen und Kollegen für die Arbeit motivieren?

Erst einmal ist jeder, der helfen will, sehr herzlich willkommen. Ob mit nur einer Woche Zeit oder mit mehreren, oder auch mit der Ambition wiederzukommen. Wir sprechen vorher in einem ausführlichen Telefonat über die wichtigsten Dinge – Anreise, Unterkunft, Haftpflichtversicherung und Tätigkeitsspektrum. Vor Ort gibt es Anschluss ans Team, wenn man möchte. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass der Austausch am Abend beim gemeinsamen Essen hilft, wenn man spürt, dass einen der Einsatz herausfordert. Wir nennen das liebevoll „Gesprächstherapie“.

Die Kernmotivation ist natürlich der Wunsch, Menschen zu helfen, sie von Schmerzen zu befreien und jene gesundheitlich zu stabilisieren, die bereits einen schweren Weg gegangen sind und höchstwahrscheinlich noch gehen werden. Wenn wir anpacken und helfen, fühlt sich das oft am Ende an wie ein positiver Rausch. Endorphine werden freigesetzt. Man schafft etwas Gutes und erhält viel Dank zurück. Nach den Einsätzen relativieren sich so viele Dinge ganz von alleine, die einem zu Hause vielleicht als Problem erscheinen.

Worauf muss man innerlich vorbereitet sein?

Zum Beispiel darauf, dass die Geflüchteten auf der Flucht oftmals über Monate ihre Mundhygiene vernachlässigt haben – gezwungenermaßen. Die Umstände haben das nicht zugelassen. Einige waren auch noch nie in ihrem Leben beim Zahnarzt. Aber die meisten wollen auf keinen Fall einen Zahn gezogen bekommen und damit verlieren. Sie wissen oft auch nicht, dass unter kariösen Milchzähnen neue Zähne nachkommen. Und wir sind bestimmt nicht voreilig mit Extraktionen und überlassen die Entscheidung, soweit es geht, den Patienten. Denn sie sollen nicht in ihrer Würde eingeschränkt und um das Recht der Selbstbestimmung gebracht werden.

Und darauf, dass die Uhren im Camp anders ticken. Das mussten wir auch lernen und warten inzwischen auf niemanden mehr, der sich angekündigt hat und dann Stunden später erscheint. Insgesamt braucht es zwei Tage, bis man sich akklimatisiert hat. Schon beim zweiten Einsatz gibt es dann aber mehr Gelassenheit durch die entstehenden Routinen. Und eins muss auch klar sein: Es ist nicht für jeden etwas und daher völlig in Ordnung, wenn man nach der Erfahrung nicht weitermachen möchte. Geht man auf einen Einsatz, sollte man das mit seinen Patienten offen kommunizieren.

Was sind No-Gos vor Ort?

Eben etwas zu tun, was der Patient partout nicht will. Aber auch nur – oder sagen wir: vorrangig – zum Einsatz zu kommen, um sich das Zertifikat abzuholen und ein Bild schießen zu lassen mit einem kleinen Baby oder Kind auf dem Arm, um das dann zu Hause in Deutschland in der Praxis auszustellen oder auf der Website und sich damit zu profilieren. Wir haben immer mal wieder das Gefühl, hier wird sogenanntes „NGO- Hopping“ betrieben – hier mal eine Woche auf der Insel, dann dort mal eine Woche in Indien oder sonst wo. Das ist sicherlich jedem selbst überlassen, aber wenig nachhaltig. Wir freuen uns also immer, wenn Kolleginnen und Kollegen wiederkommen und mit ins Team wachsen.

Außerdem geht es hier nicht um Action-Stories. Wir arbeiten sehr strukturiert und improvisieren nichts! Manche haben die Vorstellung, dass wir quasi mit Hammer und Meißel durchs Auge in den Mund vordringen. Nein, unsere Zahnstation ist so gut ausgestattet, dass sogar der Camp-Chef sagt, dass er lieber zu uns kommt, als in die Praxis im nächsten Ort zu gehen.

Das Gespräch führte Laura Langer.

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