Aufsuchende Zahnmedizin

Der gut organisierte Hausbesuch

Viele Kollegen zögern noch, wenn es darum geht, die Praxisräume zu verlassen, um zusätzlich mobil zu therapieren. Oft werden Aufwand und Risiko als zu hoch und die Wirtschaftlichkeit als zu gering eingeschätzt. Dieser Beitrag erläutert, wie die aufsuchende Behandlung – gegebenenfalls unter Abschluss eines Kooperationsvertrags mit einer Pflegeeinrichtung – praktisch gut organisiert und damit auch wirtschaftlich darstellbar wird.

Wo liegen die Schwierigkeiten, was kann überzeugen und wie gehe ich konkret vor, wenn ich die Praxis verlasse, um mobil tätig zu werden?

Alles gründlich gepackt?

Bevor die Behandlung außerhalb der Praxis startet, sollte gründlich geplant und gepackt werden. Nichts ist nerviger, wenn zum Beispiel bei einer geplanten Füllungstherapie der Primer oder die UV-Lampe vergessen wurde. Für jeden geplanten Behandlungsfall ist es praktisch, eine Inventarliste zu erstellen und alles Benötigte in eine Tasche in Form einer Labortüte – oder besser einer verschweißten Sterilguttüte – zu packen. So wird weniger vergessen: Instrumentarium und Material werden für jeweils einen Patientenfall verpackt, immer unter Berücksichtigung der RKI-Richtlinien.

Zum Transport haben sich stapelbare Plastik-Container-Systeme durchgesetzt, die gut flächendesinfizierbar und in „rein“ und „unrein“ oder Abwurfcontainer getrennt werden können.

Man sollte sich immer darüber im Klaren sein, dass im Fall der mobilen Therapie keine mildernden Umstände zum Tragen kommen und hinsichtlich der Hygiene dieselben Anforderungen wie in der Praxis gelten. Kritiker der mobilen Therapie bezweifeln regelmäßig die „Hygienefähigkeit“.

Zweifellos gibt es vergleichbare Einsätze in der Notfallmedizin: hygienisch machbar und alternativlos. Teamwerk in München, ein Modellprojekt für die zahnmedizinische Betreuung von älteren Menschen, hat mobile zahnmedizinische Behandlungspfade vom Referat Gesundheit und Umwelt (RGO), Abteilung Krankenhaushygiene, begleiten lassen. Dabei erschien – mit klaren machbaren Vorgaben ähnlich wie in der Praxis – die aufsuchende Betreuung hygienisch darstellbar [Gleich, 2009].

Abhängig vom Behandlungsumfang können tragbare Absaug -und Kompressorsysteme mitgeführt werden. Abzuwägen bleibt dabei immer zwischen dem Investitionsaufwand (zwischen 6.000 und 10.000 Euro), dem Gewicht (bis zu 20 kg) und der Frequenz des Einsatzes. Prophylaxemaßnahmen und eine einfache mobile Therapie sind auch mit einem aufladbaren Mikromotor mit Universalkupplung zur Aufnahme eines Technikhandstücks oder Winkelstücks ausreichend durchführbar. Ohne Absaugvorrichtung können Spülflüssigkeiten auch mit Nierenschale aufgefangen werden.

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Essenzielle Prophylaxe

Die medizinische Sinnhaftigkeit von Prophylaxeprogrammen ist eindrucksvoll belegt [Axelsson, 2004]. Mit einem Anteil von 38,5 Prozent aller Privatleistungen ist die professionelle Zahnreinigung (GOZ 1040) auch ein entscheidender wirtschaftlicher Faktor für die Zahnarztpraxis geworden [Mund, 2014].

Ist das übertragbar auf Pflegebedürftige außerhalb der Praxis? Unbedingt: Gerade in der aufsuchenden Betreuung erscheint dies medizinisch besonders wichtig [Zenthöfer, 2013]. Denn als Kardinalprobleme stellen sich in der Seniorenzahnmedizin folgende drei Punkte dar:

• Der freiliegende kompromittierte Zahnhals und damit die Gefahr der Wurzelkaries ist deutlich erhöht. Die Kariesanfälligkeit ist um 29,5 Prozent erhöht [Micheelis, 2006].

• Die Mundhöhle ist die größte Eintrittspforte für Keime und Bakterien. Eine hohe Keimbelastung bei gleichzeitiger reduzierter Abwehrlage oder Multimorbidität verstärkt die allgemeinmedizinischen Gefahren wie absteigende Candidosen, Pulmonien, Herzinfarkt und Schlaganfall.

• Mundtrockenheit: Jeder zweite Senior hat hier Symptome, oft missverstanden als Alterserscheinung, stellt sie sich sehr oft als ernst zu nehmende Erkrankung, als Nebenwirkung zahlreicher Medikamente dar [Schellerer, 2003].

Besuchsgebühr & Co.

Der Besuch eines gesetzlich versicherten Patienten außerhalb der Praxis wird ohne weitere Folgeleistungen mit circa 75,- Euro vergütet, wenn dieser angefordert ist (Besuchsgebühr, Zuschlag und Wegegeld). Wird ein weiterer Patient aufgesucht, so erhält man für diesen Folgebesuch circa 60.- Euro. Eine Übersicht aller notwendigen Positionen und die abrechenbaren Leistungen sind bei jeder KZV abrufbar und können sich regional unterscheiden. Die Wirtschaftlichkeit ist abhängig von der Anzahl der Patienten pro Besuch und den Folgeleistungen. Wirtschaftlichkeit kann vor allen Dingen durch Regelmäßigkeit und Planung geschaffen werden: Dazu trägt bei, wöchentlich am gleichen Tag im Team mehr als zwei Bewohner aufzusuchen. Dadurch können Synergien geschaffen werden. Und es spricht sich herum, wenn der Zahnarzt in die Senioreneinrichtung kommt: Gleichzeitig können Neupatienten, Reinigungen und Therapien vorgenommen werden. In stationären Einrichtungen können damit durchaus Umsätze erzielt werden, die an die Tätigkeit in der Praxis heranreichen, insbesondere wenn ein Kooperationsvertrag mit der Einrichtung abgeschlossen wird. Der entscheidende Vorteil: Der Besuch ist nicht mehr abhängig von der Anforderung. Sie kommen nicht nur zur Notfallbehandlung – wenn es bereits zu spät ist –, sondern können ein präventives und wirtschaftliches Konzept verwirklichen.

Zahnersatz gilt als wichtiger wirtschaftlicher Faktor in der Zahnarztpraxis. Gerade bei Senioren ist das ein zentrales Thema: Mit 77 Jahren ist der Bedarf an Zahnersatz am höchsten [Schäfer, 2013]. Der vorhandene Zahnersatz in den Einrichtungen ist aber zu 65 Prozent mangelbehaftet [Nitschke, 2000]. Ein Drittel der Prothesen hat einen schlechten Halt [Manojlovic, 2010]. Damit ergeben sich durchaus auch wirtschaftlich interessante prothetische Aufgaben in der aufsuchenden Therapie.

Fazit

Zweifelsohne bleibt es mühsam, wöchentlich den Behandlungskoffer zu packen, zu planen und zu therapieren – nicht selten unter Campingbedingungen. Positiv gewendet stellt die aufsuchende zahnärztliche Betreuung von Bewohnern einer Pflegeeinrichtung aber auch eine durchaus charmante Abwechslung zum täglichen Praxisalltag dar, denn Hausbesuche sind sehr nah an unserem Berufsbild. Hier kann viel Gutes getan werden. Und wirtschaftlich sind sie sicherlich tragbar. Schließlich ist es alles andere als vergeblich, einer besonders hilfsbedürftigen und meist zahnmedizinisch schlecht versorgten Klientel am Rande der Gesellschaft zahnärztlich zu helfen und damit die momentane Lebensqualität dieser Menschen spürbar zu verbessern.

Dr. Dirk Bleiel, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für AlterszahnMedizin (DGAZ)Im Sand 1, 53619 Rheinbreitbach

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