Zahnärzte-MVZ

David gegen Goliath

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Titel
Gut 20 Prozent der Zahnärzte sind angestellt. Welche Folgen hat für sie eigentlich die zunehmende MVZ-isierung? Dr. Art Timmermeister und Sascha Kötter vom Bundesverband der zahnmedizinischen Alumni in Deutschland e.V. (BdZA) befürchten: Wenn es hart auf hart kommt, das Ende der Freiberuflichkeit. Denn am Ende steht die Frage: Ist die Zahnmedizin eine Profession – oder nur ein Job?

Experten beobachten eine zunehmende Fremdkapitalisierung der Zahnmedizin: Großinvestoren steigen in Praxen ein und firmieren sie zu MVZ um. Inwieweit tangiert diese Entwicklung Zahnärzte, die in MVZ beschäftigt sind – etwa in Bezug auf den daraus resultierenden Rendite-Druck? 

Art Timmermeister:

Zunächst einmal halte ich es für sinnvoll, zwischen zahnärztlich getragenen MVZ und durch Investoren getragenen MVZ zu unterscheiden. Denn während erstere weitgehend denselben branchenspezifischen Besonderheiten wie jeder niedergelassene Zahnarzt unterliegen, führt das Investoren-MVZ alleine durch seine Kapitalkraft zu einer Wettbewerbsverzerrung. Rein auf die Investitionsvolumina bezogen erscheint das ein wenig wie der Kampf zwischen David gegen Goliath.

Inwieweit die Rendite-Erwartungen von Fremdkapitalgebern angestellte Zahnärzte tangieren, lässt sich natürlich noch nicht abschließend bewerten. Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass die „Skaleneffekte“ im Betrieb einer oder mehrerer Praxen nicht zu überschätzen sind. Es darf also nicht davon ausgegangen werden, dass mit einer möglichen Professionalisierung des Praxisbetriebs eine zusätzliche Rendite durch eine Kostendegression über den branchenüblichen Maßstäben erwirtschaftet wird. Dies vorausgesetzt bleibt also nur das Einsparpotenzial an der Kostenstelle „Zahnmediziner“. 

Wir sehen auch keine unmittelbare Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für angestellte Zahnmediziner, denn in den kommenden drei bis fünf Jahren werden die aktuell durch Investoren akquirierten Praxen noch ganz überwiegend durch die Abgeber begleitet. Dabei handelt es sich um „gereifte“ Behandler, Persönlichkeiten und Unternehmer, die sicherlich überwiegend im Sinne einer freiberuflichen Berufsausübung den Betrieb fortführen werden. Unsere größte Sorge zielt auf die Zeit danach, wenn der tägliche Praxisablauf nicht mehr durch erfahrene und ehemals selbstständige Zahnmediziner sichergestellt wird, sondern durch „Fachfremde“ – wie angestellte Betriebswirte in der Funktion eines Praxismanagers. Natürlich muss rein rechtlich weiterhin eine ärztliche Leitung installiert sein. Doch wird das Spannungsfeld „Rendite“ versus „medizinische Versorgung“ dann nicht mehr in Personalunion eines Zahnmediziners entschieden, sondern bestenfalls auf Augenhöhe mit Fachfremden „verhandelt“. 


Wir haben bereits jetzt unter unseren Mitgliedern vereinzelte Fälle, in denen Betriebswirte die „Empfehlung“ aussprechen „mehr höherwertige Arbeiten zu erbringen“. Wie gesagt, das Spannungsfeld an sich ist nicht neu, neu hingegen ist, dass aktuell ein neuer Mitspieler auf den ambulanten Versorgungsmarkt drängt, dessen beruflicher Background nicht von einer medizinischen Ausbildung geprägt ist und dessen Motivation nicht im Heilen von Krankheiten liegt, sondern der allein von betriebswirtschaftlichen Überlegungen getrieben ist. Mögliche Konsequenzen lassen sich historisch auch am Beispiel der Privatisierung des stationären Gesundheitswesens nachvollziehen.

MVZ halten viele junge Zahnärzte für attraktive Arbeitgeber, weil dort aufgrund der Strukturen eher die Work-Life-Balance stimmt. Eine Fehlannahme?

Sascha Kötter:

Dies ist kein Vorteil eines MVZ an sich, sondern ein Vorteil, der sich meist automatisch aus einer größeren Struktur ergibt. Bei Arbeitszeitmodellen, die den Work-Life-Balance-Ansprüchen genügen, sind auch alle übrigen Ressourcen wie Behandlungsräume, Fachpersonal oder Patienten ausreichend vorhanden. Wir müssen Lösungen etablieren, die die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer Praxen als Arbeitgeber sicherstellen. Hier sehe ich am ehesten die Chance, dass regionale Praxiskooperationen Angebote für Arbeitnehmer schaffen. Fachliche Zirkel, Hospitationen, Angebote für Familien oder spezielle Rahmenverträge mit lokalen Institutionen, sind nur einige Ideen die die Kammern initiieren könnten. 

Kann man als angestellter Zahnarzt auch in einem Großinvestoren-MVZ langfristig glücklich werden?

Art Timmermeister:

Das lässt sich nicht pauschalisieren. Mit Sicherheit gibt es Zahnmediziner, die schon heute in diesen Strukturen glücklich sind und es auch zukünftig sein werden. Nicht jeder Zahnmediziner ist mit dem Studium zu einem Geschäftsführer und Investor herangewachsen oder möchte sich damit auseinandersetzen. Für sie ist das Angestelltenverhältnis eine gute Lösung. Auf Strukturen zur Anstellung von Zahnmedizinern können wir daher nicht verzichten. Wechselt man aber von der Betrachtungsebene des Individuums zu der des Kollektivs, stellt sich die Frage: Brauchen wir dazu Investoren? Denn was der Austausch mit einem Vorgesetzten bedeutet, der dem angestellten Zahnarzt keine fachliche Bezugsperson sein kann, lässt sich nur erahnen. Eine fachliche Diskussion über die Ausrichtung des Therapieangebots wird nahezu unmöglich und statt zu entscheiden, wofür Gelder eingesetzt werden, kann der angestellte Zahnmediziner allenfalls verhandeln. Und in diesem Punkt hat er es mit Profis zu tun, deren vordringliche Aufgabe es ist, Gelder einzusparen.

Sie sind überzeugt, dass die freie Berufsausübung auch von der Arbeitsplatzgestaltung angestellter Zahnmediziner abhängen wird. Wie ist das zu verstehen? 

Art Timmermeister:

Es sind die täglichen Entscheidungen am Patienten, die uns als Berufsstand definieren – unsere persönliche Verantwortung gegenüber unseren Patienten und Mitarbeitern und das Selbstverständnis unserer Arbeit. Die Freiberuflichkeit wurde mit der Idee geschaffen, dass komplexe Entscheidungen – und Therapie-entscheidungen und Durchführung sind komplex – bessere Ergebnisse erzielen, wenn sie nicht zentral, sondern persönlich verantwortlich getroffen werden. Diese Idee, die sich über Jahrzehnte als erfolgreich erwiesen hat, ist durch eine mögliche Vormachtstellung der Fremdinvestoren gefährdet. Es ist also unsere Aufgabe, die Entscheidungsfreiheit der angestellten Zahnmediziner trotz der veränderten und aus unserer Sicht unumkehrbaren Rahmenbedingungen bestmöglich zu erhalten. Dabei werden es triviale Sachverhalte sein – wie etwa die Beschränkung auf einzelne Materialien – die am Ende den Unterschied zwischen „Zahnmediziner als Profession“ und „nur ein Job“ machen werden. Es bleibt am Ende also nicht weniger als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Kann man diese Entwicklung überhaupt noch stoppen? 

Sascha Kötter:

Eine spannende Frage! Derzeit ist der Konzentrationsprozess ja unter anderem noch durch fehlende Marktzugänge der Investoren begrenzt, da viele noch nicht über ein entsprechendes Krankenhaus verfügen. Darüber hinaus beschränkt sich der derzeitige zahnmedizinische Konzentrationsprozess auf einen recht überschaubaren Teilbereich. Überwiegend werden Praxen mit mehr als zwei Millionen Euro Gesamtumsatz in mindestens mittelstädtischer Lage akquiriert. Damit wäre das Portfolio der Investoren recht limitiert. Unternehmerisch wahrscheinlich ist – nach abgeschlossener Marktbesetzung der „einfachen“ Transaktionsobjekte und Erweiterung der Branchenkenntnisse der Investoren – eine Ausdehnung in die Peripherie mit entsprechendem Überweiser-Konzept zu den Hauptstandorten. Für umkehrbar halte ich diesen Prozess nicht, aber für begrenzbar, sofern die derzeit geplanten, zukunftweisenden zahnärztlich getragenen Modelle sich nicht zu lange mit dem Planungsprozess und theoretischen Risiken beschäftigen.

Welche Rolle hat hier der BdZA?

Art Timmermeister:

Da wir die Fremdkapitalisierung nicht aufhalten können, wollen wir über die Beschäftigungsverhältnisse frühzeitig für eine freie Berufsausübung kämpfen. Bislang konnte dies in den Körperschaften unter Kollegen gelöst werden. Sind aber einige Arbeitgeber in Zukunft dort nicht mehr organisiert, braucht es neue Mittel und Wege, um Zahnmedizinern – Angestellten wie Selbstständigen – weiterhin eine Stimme zu geben. Mit unserer Mitgliederversammlung im Juni 2018 und dem neuen, einstimmig beschlossenen Fokus des BdZA haben wir hierfür die Weichen gestellt. Jetzt geht es darum, diese Vision mit Inhalten zu füllen. Kurzfristig werden wir daher unsere Ressourcen für ein repräsentativeres Verständnis der Situation und Erwartungen der Angestellten nutzen. Als Interessenvertretung der jungen Zahnmedizin im Allgemeinen und der angestellten Zahnmediziner im Speziellen ist es unsere Aufgabe, systematisch bedingte Missstände aufzudecken und durch konstruktive Lösungen zu beheben.

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