Blind am Ball

ck/dpa
Gesellschaft
Blind sein und Fußball spielen - das schließt sich nicht aus. Michael Arends vom SV Werder Bremen trainiert einmal in der Woche blinde und stark sehbehinderte Kinder. Die Eltern waren zunächst skeptisch.

Marvin Saß ist 16 Jahre alt und liebt Fußball - so wie viele seiner Altersgenossen. Doch dass er regelmäßig zum Fußballtraining gehen kann, ist für den Neuntklässler aus Bremerhaven keine Selbstverständlichkeit. Marvin ist fast blind, er hat eine Sehkraft von nur 20 Prozent.

Auf seinen geliebten Sport muss er dennoch nicht verzichten, weil er beim SV Werder Bremen Blindenfußball spielt. Werder ist bislang der einzige Verein in der 1. Fußball-Bundesliga, der ein solches Training für Kinder und Jugendliche anbietet. 

Die Brille für Gerechtigkeit

Trainiert wird in einer Halle in der Nähe des Weser-Stadions. Marvin lässt einen rasselnden Ball zwischen seinen Füßen pendeln und geht dabei langsam vorwärts. Er trägt eine abgedunkelte Brille, mit der er nichts sehen kann. "Um es gerecht zu machen, ist die Brille nötig", sagt Trainer Arends. Denn nur wenige in der Gruppe seien vollständig erblindet. 

Als Marvin die richtige Entfernung zum Tor erreicht, ruft ein Betreuer: "Und Schuss". Eine Betreuerin klopft mit einer Hand gegen einen Torpfosten, damit Marvin sich orientieren kann. Er schießt - der Ball ist im Tor. Marvin reißt sich die Brille vom Kopf und jubelt. "Man verliert komplett die Orientierung mit der Brille", sagt Marvin. "Es ist ein unsicheres Gefühl, aber man gewöhnt sich dran." 

Ein Beitrag für die Integration

Seit April 2012 bietet Werder Bremen das Blindenfußballtraining in Kooperation mit der Bremer Georg-Droste-Schule an, einem Förderzentrum für Sehbehinderte. "Die Integration von Behinderten ist zurzeit ein großes Thema", betont Arends, der bei Werder als Inklusionsbeauftragter arbeitet. "Wir wollten unseren Beitrag dazu leisten, und die Schule war offen für das Projekt."

Rund 15 Mädchen und Jungen im Alter von zehn bis 16 Jahren beteiligen sich. "Sie sind ganz begeistert", freut sich Schulleiterin Birgit Wiechmann-Doil. Für die Schüler sei es auch etwas Besonderes, Teil von Werder zu sein, sagt sie. Die anfängliche Skepsis der Eltern habe sich längst gelegt. Zum einen habe es die Angst gegeben, die Kinder könnten sich bei dem Mannschaftssport verletzen. Zum anderen sei der Einsatz der Dunkelbrille auf Ablehnung gestoßen, erinnert sich Wiechmann-Doil.

Training ist viel Sisyphus

Manche Eltern hätten ihrem Kind nicht zumuten wollen, auf seine bereits geringe Sehkraft ganz zu verzichten. Doch inzwischen seien auch die Eltern begeistert, sagt die Schulleiterin. "Bewegung ist nicht zwingend etwas, was sie kennen", räumt Wiechmann-Doil ein. Die Erfahrung hat auch Arends gemacht. "Viele haben Koordinationsstörungen", sagt er. "Das Training bedeutet sehr viel Sisyphusarbeit." Es bringe den Kindern aber auch viel Selbstbewusstsein. 

Der Sportbeauftragte des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands (DBSV), Torsten Resa, begrüßt das soziale Engagement von Werder. Mannschaften nur für Kinder oder Jugendliche seien sehr selten. "Blindenfußball hat eine relativ kleine Zielgruppe", sagt er. Deshalb müssten meist Kinder mit Erwachsenen zusammen trainieren.

Kein Hund, kein Stock, kein Leitsystem

Beim Hamburger FC St. Pauli wird inzwischen ebenfalls Blindenfußball speziell für Jugendliche angeboten. Viele Spieler machten die Erfahrung, sich erstmals frei bewegen zu können, sagt St. Pauli-Trainer Wolf Schmidt. "Es gibt keinen Hund, keinen Stock, kein Leitsystem." 

Auch Marvin freut sich, dass er bei Werder "richtig Fußballspielen" lernen kann. Vorher habe er in einem kleinen Verein trainiert. "Da wurde ich aber kaum eingesetzt." 

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