"Für den Job muss man ein Menschenfreund sein!"

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Gesellschaft
Es ist eng, es ist furchtbar laut und es ist heiß: Dr. Volker Arendt arbeitet regelmäßig ehrenamtlich auf den größten Hospitalschiffen der Welt, den Mercy Ships.

Was hat Sie motiviert, ehrenamtlich tätig zu sein?

Dr. Volker Arendt: Bei mir stand nach 20 Jahren eine berufliche Neuorientierung an, und mir war klar, dass ich das bevorstehende „Sabbatical“ mit einer besonderen Aufgabe ausfüllen wollte. 

Warum haben Sie sich für einen Einsatz auf dem Hospitalschiff entschieden?

Mercy Ships war mir seit vielen Jahren ein Begriff, und da ich selber während meiner Bundeswehrzeit zur See gefahren bin, lag dieser Gedanke und dessen Umsetzung sehr nahe.

Wie haben Sie sich vorbereitet?

Vorbereitungsmöglichkeiten bestehen in erster Linie darin, sich allgemein mit dem Kontinent und den speziellen Verhältnissen des jeweiligen Landes zu beschäftigen. Mercy Ships bereitet die freiwilligen Helfer, egal welchen Arbeitsbereichs, meines Erachtens sehr gut und professionell vor. Das fängt bei den im Vorfeld zu erledigenden medizinischen Check-ups inklusive vieler wichtiger Impfungen etc. an, geht dann weiter über die wichtigen „Benimmregeln“ im jeweiligen Land - Guinea ist beispielsweise muslimisch geprägt - bis zu den wichtigen Regeln, die auch innerhalb der Gemeinschaft an Bord der „Africa Mercy“ und dem zugeteilten Arbeitsabschnitt gelten.

Anders wäre ein so enges Zusammenleben an Bord und das Zusammenarbeiten so vieler verschiedener Menschen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern auch gar nicht vorstellbar. Die Besatzung wird regelmäßig ausgetauscht. Jede Woche verlassen Helfer nach Ablauf ihres jeweiligen zeitlich limitierten Arbeitseinsatzes das Schiff und neue Freiwillige kommen dazu. In der Regel befinden sich immer zwischen bis zu 40 verschiedene Nationalitäten an Bord.

Es gibt einen tollen Zusammenhalt, insbesondere im täglichen Arbeitseinsatz. Die Atmosphäre ist wirklich sehr besonders. Jeder hilft oder assistiert dem anderen. Man muss dabei betonen, dass es viele verschiedene Menschen aus den unterschiedlichsten Sprach- und Kulturkreisen sind, die dort zusammenarbeiten und tatsächlich nach sehr kurzer Eingewöhnung schon als eingespieltes Team funktionieren.

Was macht die Arbeit auf dem Hospitalschiff so besonders?

Die Zusammenarbeit der vielen freiwilligen Mitarbeiter verschiedenster Nationalitäten und den Umgang miteinander muss man persönlich und vor Ort erlebt haben. Alle fühlen sich dem christlichen Glauben verpflichtet und folgen damit auch einem außergewöhnlichen humanitären  Ansatz. Als sehr belebend, geradezu erfrischend empfinde ich die morgendlichen Kurzandachten, sogenannte „devotions“, die vor Arbeitsbeginn mit allen Beteiligten, also auch den einheimischen Helfern, abgehalten werden. Dazu wird mal eine Stelle aus der Bibel zitiert und diskutiert, eine Losung besprochen sowie zusammen musiziert und gesungen. Dies alles ist immer eine sehr afrikanisch geprägte, heitere Angelegenheit, die nichts mit dem gemein hat, was ich persönlich in meinem, doch eher konservativ geprägten kirchlichen Umfeld erlebt habe.

Was waren häufige, was außergewöhnliche Diagnosen?

Allgegenwärtig sind extrem tief kariös zerstörte und parodontal schwerstgeschädigte Zähne, die nur selten konservativ zu behandeln sind, und leider viel öfter einer chirurgischen  Intervention bedürfen. Immer wieder finden sich auch bereits extraorale durchgebrochene Abszesse und Fisteln, die man drainieren muss. Erschreckend sind manchmal fortgeschrittene Osteomyolitiden, die auch über viele Wochen kaum erfolgreich zu therapieren sind. Leider betreffen diese Krankheitsbilder häufig Kinder und Teenager in schlechtem Ernährungszustand und der daraus resultierenden schlechten Immunabwehr.

Worin bestand Ihre Arbeit hauptsächlich?

In erster Linie die klassische chirurgische Zahnheilkunde sowie auch konservierende Behandlungen mit Amalgam- und auch Kunststofffüllungen.

Inwieweit unterscheiden sich die zahnärztlichen Arbeitsabläufe auf dem Schiff von denen in einer Praxis? 

Alles spielt sich in einem einzigen großen Raum mit neun Behandlungseinheiten ab. Es arbeiten zwei bis vier Zahnärzte, jeweils mit Übersetzern und Assistenten. Dazu sind auch Sterilgutassistenten und ein bis zwei Dentalhygienikerinnen im selben Raum tätig. Wenn man nun bedenkt, dass wir meist auf zirka drei Behandlungsstühlen Kinder behandeln, die von ihren Eltern begleitet werden, bekommt man vielleicht eine Vorstellung davon, wie anstrengend das unterschiedliche Sprachengewirr und die damit verbundene Lautstärke sein können. Gleichzeitig laufen dann noch neun Sauganlagen, Turbinen und Handstücke sowie die Klimaanlage, wenn sie nicht gerade mal wieder bei über 35 Grad ausgefallen ist. So ein Tag kann dann manchmal ziemlich an die Substanz gehen. 

Was war das schönste/traurigste Erlebnis für Sie?

Es mag sehr pathetisch klingen, aber am schönsten sind tatsächlich das dankbare Lächeln und die tief empfunden Freude der Patienten, die wir nach langer Leidensphase durch einfache chirurgische Eingriffe von Schmerzen befreien konnten. Als absolut bereichernd erlebe ich immer wieder auch die Zusammenarbeit mit den lokalen „dayworkern“, die uns insbesondere als Übersetzer, aber auch als Assistenten, unterstützen. Ich habe diese Menschen mit sehr viel Freude an der Arbeit erlebt.

Schlimm war für mich eine Situation in Guinea, wo ein Vater mit seinem etwa achtjährigen Sohn, der einen großen Tumor im Gesicht hatte, vertröstet beziehungsweise abgewiesen werden musste. Wäre die erforderliche Operation von den plastischen Chirurgen durchgeführt worden, hätte eine Nachsorge nicht mehr gewährleistet werden können, da das Schiff vier Wochen später den Hafen verlassen sollte. Ich weiß aus Erzählungen, dass solche Situation leider immer wieder vorkommen, wenn die jeweilige Mission nach neun bis zehn Monaten zu Ende geht.

Welche Tipps würden Sie Kollegen geben, die sich ebenfalls auf dem Hospitalschiff engagieren möchten?

Man muss außergewöhnlich viel Freude am Umgang mit fremden Menschen und deren Kultur haben sowie eine große Portion Neugier mitbringen. Nicht unerheblich ist sicherlich auch ein erhebliches Maß an Stressresistenz, wenn ich das mal so sagen darf. Weiterhin helfen viel Flexibilität und Improvisationstalent, außerdem grundsätzlich die Eigenschaft zum Teamplayer. Die Fragen stellte Daniela Goldscheck.

Seinen ersten Einsatz hatte Dr. Volker Arendt im März 2013 in Guinea, Westafrika. Im Januar 2016 war er für einen zweiwöchigen Einsatz auf der Africa Mercy in Madagaskar. Im Januar 2017 will er für zwei Wochen für Mercy Ships in Benin, Westafrika, arbeiten. Arendt ist mehr als 20 Jahre in eigener Praxis tätig. Seit über 25 Jahren arbeitet er in den Bereichen mikroskopische, minimalinvasive Zahnheilkunde, mikrochirurgische, endodontologische Eingriffe sowie Implantologie.

In der Nacht zum Donnerstag hat sich die African Mercy von ihrem Heimathafen Malta auf den Weg an die Küste Westafrikas gemacht. Der nächste Einsatzort ist Benin.

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