Ganz schön arm

ck/dpa
Gesellschaft
Wenn die Regierung alle vier Jahre die Entwicklung von Armut und Reichtum skizziert, ist Streit programmiert. Erst recht, wenn der Bericht aus Sicht der Kritiker in einer geschönten Version erscheint.

Es geht um die Deutungshoheit: Die einen schlagen wegen der wachsenden Kluft zwischen Vermögenden und Mittellosen lautstark Alarm. Die andern feiern die Rekordzahlen bei der Beschäftigung und setzen auf verbesserte soziale Aufstiegschancen. Wie es im Land tatsächlich aussieht, soll der alle vier Jahre erscheinende Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigen. 

Rösler gegen von der Leyen

An diesem Mittwoch kommt er nach Irrungen und Wirrungen endlich ins Bundeskabinett. 548 Seiten ist er stark. Fast sechs Monate ist es her, dass Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) den ersten Entwurf vorlegte, damit aber im Zuge der Ressortabstimmung auf massiven Widerstand von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) stieß. 

Risiken versus Chancen

Der findet, dass es Deutschland so gut geht wie nie zuvor - und dass dies der - zu negativ angelegte - Bericht auch widerspiegeln müsse. Also wurde geändert und glatt geschliffen. Beleuchtet werden nun soziale Aufstiegschancen und die zuletzt gute Entwicklung am Arbeitsmarkt: Mit dem Nachkriegs-Höchststand an Beschäftigung, flankiert vom Abbau auch der Langzeitarbeitslosigkeit. 

Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände sind dennoch empört. Sie werfen Schwarz-Gelb Schönfärberei und Verharmlosung der realen Lage vor. Sie kritisieren vor allem die stetige Zunahme schlecht bezahlter und atypischer Beschäftigung wie Zeit- und Leiharbeit, Teilzeit- oder Minijobs und die nahezu unverändert hohe Quote der Armutsgefährdung für etwa 14 Prozent der Bevölkerung. 

Eine Frage der Bewertung

So ist in dem aktualisierten Bericht der Hinweis auf den Zusammenhang von Niedriglohn und Altersarmut entfallen: "Stundenlöhne aber, die bei Vollzeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes eines Alleinstehenden nicht ausreichen sowie eine einseitige und polarisierende Lohnentwicklung generieren, verschärfen Armutsrisiken und schwächen den sozialen Zusammenhalt." 

Gestrichen wurde auch der Satz "Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt". Dabei verfügten die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte 2008 über 53 Prozent des gesamten Nettovermögens. 1998 lag die Quote noch bei 45 Prozent. Die gesamte untere Hälfte der Haushalte besaß zuletzt nur noch gut ein Prozent des Nettovermögens - nach vier Prozent zehn Jahre zuvor. 

Das freiwillige soziale Engagement sei bereits jetzt "erfreulich"

Eine Formulierung, die als Ruf nach einer Vermögenssteuer oder einem höheren Spitzensteuersatz verstanden werden konnte, wurde ebenfalls getilgt. In der aktuellen Version setzt sich die Regierung nun für das Einwerben freiwilliger Spenden bei den Vermögenden ein. Keine Rede ist mehr vom "Heranziehen" privaten Reichtums. Das freiwillige soziale Engagement sei bereits jetzt "erfreulich". 

Zurückrudern musste von der Leyen auch mit der folgenden Passage: "Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat damit zugenommen." Fazit: Diese verletze "das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung", könne zudem "den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden". 

"Ausdruck struktureller Verbesserungen"

Jetzt heißt es unter Berufung auf neue Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): "Die Einkommensspreizung hat (...) nicht weiter zugenommen". Dass es mehr Niedriglohn-Jobs gibt, wertet das FDP-geführte Wirtschaftsministerium als "Ausdruck struktureller Verbesserungen" am Arbeitsmarkt. Entstanden doch zwischen 2007 und 2011 viele neue Vollzeitjobs im unteren Lohnbereich - und brachten zwei Millionen Erwerbslose in Arbeit. 

Die Ressortabstimmung nicht überstanden hat der Satz: "Allerdings arbeiteten im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro." Nun heißt es weniger brisant: "Rund vier Millionen Menschen sind derzeit in Branchen beschäftigt, in denen Mindestlöhne gelten." 

Es geht um die Wirklichkeit

Prompt ergriff SPD-Chef Sigmar Gabriel für die Arbeitsministerin Partei: "Es geht um die Wirklichkeit. Die wollte Frau von der Leyen schildern." Die Grünen rügten die "defizitäre Darstellung" von Armut und Reichtum. Und Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, kritisierte: "Mit Niedriglöhnen kann man Menschen zwar aus Arbeitslosigkeit holen, nicht aber aus Armut."

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