MKG lernen in Griechenland

Manuel Mirtakis
Gesellschaft
Letztes Jahr im Juli, nach meinem 8. Fachsemester Zahnmedizin an der Universität Greifswald, wurde mir von meinem Vater kurzerhand eröffnet, dass ich in der MKG-Klinik im staatlichen Krankenhaus Heraklion auf Kreta ein Praktikum machen könnte.

Die vorhergehenden Semesterferien hatte ich meist in der gemeinsamen Praxis meiner Eltern in Heraklion verbracht, um mein neu gewonnenes Wissen dort auch praktisch einzubringen. Begeistert über die Möglichkeit, etwas anderes als den Praxisalltag zu erleben, begab ich mich dann am ersten Tag in die MKG-Klinik des Venizelios-Krankenhauses, eins der zwei großen Bezirkskrankenhäuser in der Präfektur Heraklion mit einem Einzugsgebiet von etwa 200.000 Menschen.

Kleiner Wissenstest in KFC

Das Krankenhaus besteht aus einem renovierungsbedürftigen Altbau und einem Neubau, der relativ gut ausgestattet ist. Oben in der Klinik wurde ich von zwei netten und sehr berufserfahrenen Krankenschwestern begrüßt, bekam meine Arbeitskleidung ausgehändigt (ganz in hellblau) und wurde mit Kaffee und Plätzchen versorgt bis die Kieferchirurgen eintrafen. Von ihnen wurde ich einem einstündigen Wissenstest - die Patientenschlange wurde immer länger - unterzogen, um mich sinnvoll einsetzen zu können. Jede helfende Hand wurde dringend benötigt.

Und dann gingen wir in den klinischen Alltag über. Das heißt, in diesem speziellen Fall arbeiteten auf drei Units (nicht mehr die neuesten Modelle, aber funktionstüchtig) zwei Kieferchirurgen und eine Zahnärztin. Letztere behandelte hauptsächlich stationär liegende beziehungsweise überwiesene Risikopatienten und war den ganzen Tag mit endodontischen Therapien und Extraktionen beschäftigt. Sie arbeitete mit einer solchen Geschwindigkeit und Präzision, dass sich die wartende Patientenzahl schnell verringerte.

Generell wurde unter ausgezeichneten Hygienevorschriften und immer mit Assistenz gearbeitet, dafür mit relativ wenigen Materialien - die Zahnärztin konnte die Wurzelkanäle nur von Hand aufbereiten und musste auf röntgenologische Diagnosen verzichten, da kein intraorales Röntgengerät vorhanden war.

Operieren und über Politik diskutieren

Ich durfte in den ersten Tagen meinem Mentor Dr. Giorgos Mastorakis über die Schulter schauen und assistieren. Während der Eingriffe wurde ständig weiterhin mein Wissen überprüft, es gab stundenlange Diskussionen über anatomische Anomalien, über kieferchirurgische Operationstechniken und natürlich über Politik.

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Hausaufgabe: Nahttechniken üben

Nach zwei Tagen wurde mir dann ein dünnes Seil ausgehändigt und es ging an die Ausübung verschiedener chirurgischen Knoten. Ich musste stundenlang nachmittags über meine Knien bestimmte Nahttechniken üben und wurde am nächsten Tag geprüft, wie schnell und exakt ich diese ausführen kann. Alles war darauf ausgelegt, dass ich so schnell wie möglich im OP -Saal assistieren und schnell gute Nähte unter Aufsicht setzen kann. Leider stand den Chirurgen keine ausgebildete Assistenz zur Verfügung - Planstellen wurden in den letzten fünf Jahren weggekürzt. Sie konnten daher nur zusammen große OP-Termine wahrnehmen.

Zu meiner Freude wurde ich immer besser ins Team aufgenommen, jeden Tag ging ich mit einem Gefühl in die Klinik, dass ich dort dringend gebraucht werde. Täglich wurden mir mehr Aufgaben zugeteilt. Nach etwa zwei Wochen trafen auf einmal so viele Schmerzpatienten ein, dass ich aufgefordert wurde, selbst Hand anzulegen.

"Mein erster Patient hatte einen INR-Wert von 2,6!"

Mein erster Patient hatte einen INR-Wert von 2,6! Schnell musste ich meine Angst überwinden und es ging los: Extraktionen und speicheldichte Nähte immer und immer wieder. Nach ein paar Tagen wurde es bereits Routine und die anwesenden Ärzte vertrauten mir vollständig. Der Direktor der Klinik war begeistert, was  meine deutsche Ausbildung und mein kieferchirurgisches Allgemeinwissen betrifft - an der Universität Greifswald wird darauf besonderen Wert gelegt.

Nach etwa einem Monat durfte ich bereits retinierte Weißheitszähne unter Vollnarkose entfernen, lediglich meine Geschwindigkeit bei den Nähten wurde noch beanstandet. Weil nur mittwochs der OP-Saal zur Verfügung stand, war deshalb immer Eile geboten!

Den kretischen Patienten steht bei Bedarf einer kieferchirurgischen Behandlung nur eine privat arbeitende Kieferchirurgin in Heraklion zur Verfügung. Die meisten gehen natürlich in die Krankenhäuser, da sie dort, soweit versichert, kostenlos behandelt werden. Dadurch entstehen natürlich lange Wartezeiten, oft muss man monatelang auf einen Termin warten!

"Patienten brauchen hier immer ein Familienmitglied!"

Die Situation in den griechischen Krankenhäusern? Kann sich natürlich nicht am deutschen Standard messen, stationär behandelte Menschen brauchen immer, besonders nachts, ein Familienmitglied, um die Arbeit des medizinischen Hilfspersonals zu verrichten. Wenn keine Familienmitglieder zur Verfügung stehen, können arbeitslose Krankenschwestern, die natürlich privat bezahlt werden müssen, sich um die frisch operierten Patienten kümmern.

Einige der Arbeitsplätze hatten keine Saugvorrichtung, OPG-Röntgenaufnahmen mussten vor den anstehenden Eingriffen zuerst an die OP-Leuchte geklebt werden, es gab keine Kieferklemmen, ein Langenbeck mit einem sterilen Tuch umwickelt musste reichen! Zu erwähnen ist aber das sehr gut ausgebildete Personal: Es wurde stets auf steriles OP-Feld und OP-Besteck geachtet, die Patienten wurden immer freundlich behandelt - auch wenn es durch viele wartende Menschen oft sehr unruhig in der Klinik  war. Die Termine wurden nicht nach genauen Uhrzeiten vergeben, jeder musste um 9 Uhr in der Klinik sein.

###more### ###title### "Griechen halten sich ja ungern an Vorschriften." ###title### ###more###

"Griechen halten sich ja ungern an Vorschriften."

Griechen halten sich ja ungern an Vorschriften, es wird gerne gedrängelt und geschimpft, ich wurde oft nach draußen gerufen, mit der Frage: "Junger Mann, wann geht es endlich weiter?" Das Verhältnis Arzt-Patient ist aber dabei sehr viel herzlicher und unkomplizierter. Die Patienten freuen sich, wenn sie in Zeiten der Finanzkrise unentgeltlich behandelt werden, oft werden kleine Geschenke als Aufmerksamkeit mitgebracht: Wir wurden täglich mit frischem Gebäck, Wein, Schnaps und ab und zu mit Eis versorgt. Diese Geschenke können aber leider nicht die extrem niedrige Bezahlung der Kieferchirurgen aufwiegen. Der Grundgehalt liegt bei 900 Euro - zu wenig nach so einer langen Ausbildungszeit!

Die Zeit meines Praktikums verging wie im Fluge und Ende September musste ich wieder nach Greifswald. Ich hatte ein deutlich größeres Selbstvertrauen im Umgang mit Patienten im Gepäck und konnte dies sehr gut im 9. und 10. Semester anwenden. Jetzt sitze ich hier und lerne für das Staatsexamen und denke mit Wehmut an die schöne Zeit letzten Sommer in Heraklion zurück.

"Auf lange Sicht würde ich gerne wieder zurück nach Kreta..."

Wie ich mir meine Zukunft vorstelle? Gerne würde ich meine Assistentenzeit in einer Praxis hier in Deutschland mit Tätigkeitsschwerpunkt Oralchirurgie beginnen, auch eine Spezialisierung zum Kieferchirurgen schließe ich noch nicht aus, denn meine griechischen Mentoren haben mir sehr viel Freude an den chirurgischen Tätigkeiten vermittelt. Auf lange Sicht würde ich aber gerne wieder zurück nach Kreta. Ob das mit der derzeitigen Finanzkrise möglich ist, werden die nächsten Jahre zeigen.

Für diese tolle Erfahrung möchte ich mich bei Dr. Ioannis Logothetis, Dr. Georgios Mastorakis und den Krankenschwestern Anna und Eleni bedanken. Ich wurde nicht als Praktikant, sondern als Familienmitglied behandelt.

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