Ötzis Zähne und sein Tod

sf/pm
Gesellschaft
Forscher haben Ötzis Zahnstatus analysiert. Neue Erkenntnisse präsentieren Wissenschaftler aus aller Welt aktuell auf dem internationalen Mumien-Kongress in Bozen (Italien).

Zum 25. Jubiläum von Ötzis Entdeckung sind alle drei Kongresstage, vom 19. bis 21. September, dem Mann aus dem Eis gewidmet, berichten die Veranstalter.

Der Befund: Paradontitis, Karies und unfallbedingte Zahnverletzungen

Vor drei Jahren hatten Forscher vom Zentrum für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich (UZH) gemeinsam mit ausländischen Kollegen erstmals an der Mumie - Ötzi genannt - Paradontitis, Karies und unfallbedingte Zahnverletzungen nachweisen können. Demnach litt der "Mann aus dem Eis" an einer starken Zahnabschleifung, an teilweiser ausgeprägter Karies und hatte einen - vermutlich unfallbedingt - abgestorbenen Frontzahn.

Der Zahnarzt Roger Seiler vom Zentrum für Evolutionäre Medizin der UZH hatte in diesem Zusammenhang Ötzis Zähne basierend auf computertomografischen Daten untersucht und stellte fest: "Der Schwund des Zahnhalteapparates war schon immer eine sehr häufige Erkrankung, wie Schädelfunde aus der Steinzeit oder die Untersuchung ägyptischer Mumien zeigen. Ötzi erlaubt uns einen speziell guten Einblick in eine solch frühe Form dieser Erkrankung."

Die Bildgebung zeigt: Verlust des parodontalen Stützgewebes im Molarengebiet

Die computertomographischen dreidimensionalen Rekonstruktionen gaben einen Einblick in die Mundhöhle des Eismannes und zeigten, wie sehr er unter einer fortgeschrittenen Parodontitis litt. Vor allem im Bereich der Molaren fand Seiler einen Verlust des parodontalen Stützgewebes, der beinahe die Wurzelspitze erreichte. Wenngleich Ötzi wohl kaum seine Zähne putzte, trug die abschleifende Nahrung offenbar viel zur Selbstreinigung bei.

Heute wird Paradontitis bekanntlich mit den Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems in Zusammenhang gebracht. Auch Ötzi zeigte der Studie des Forscherkollektivs zufolge Arterienverkalkungen, wofür wie im Falle der Parodontitis in erster Linie seine genetische Veranlagung verantwortlich war.

Dass der Eismann unter Karies litt, sei auf die vermehrt stärkehaltige Nahrung wie Brot und Getreidebrei zurückzuführen, die durch den aufkommenden Ackerbau in der Jungsteinzeit vermehrt konsumiert werden konnte. Dazu war die Nahrung durch Verunreinigungen und den Abrieb der Mahlsteine stark abschleifend, wie die abgeschliffenen Zähne des Eismannes zeigten.

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Gut erhaltene Gletschermumie - Modell vieler Forscher

Seit der Mann aus dem Eis am 19. September 1991 gefunden wurde, zieht er Forscher aus aller Welt in seinen Bann – keine Leiche wurde eingehender untersucht. „Für die Forschung hat Ötzi nicht die Bedeutung eines isolierten Mumienfunds. Er ist vielmehr ein typischer Europäer aus der früheren Zeit und daher so wertvoll“, erklärt der Anthropologe Albert Zink von EURAC Research, der wissenschaftliche Leiter des Mumien-Kongresses. „Dadurch, dass Ötzi als Gletschermumie so gut erhalten ist, dient er uns Forschern als Modell, an dem wir wissenschaftliche Methoden etablieren, die dann auch an anderen Mumien angewendet werden“, so Zink.

„Heute beschäftigt uns vor allem, wer der Mann aus dem Eis war, welche Rolle er in der Gesellschaft hatte und was in seinen letzten Lebenstagen passiert ist. Verfeinerte Methoden, auf die die Forscher heute zurückgreifen können, liefern uns immer neue Hinweise“, sagt Angelika Fleckinger, Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums.

Ein Händler aus der Toskana?

Eine überraschende neue Erkenntnis gibt es laut den Kongressveranstalter: Es geht um Ötzis herausragendsten Ausrüstungsgegenstand, das wertvolle Kupferbeil. Anders als bisher vermutet, stammt das Kupfer der Klinge nicht aus dem Alpenraum – Ost- oder Nordtirol schienen Experten die wahrscheinlichsten Herkunftsorte – sondern aus Mittelitalien: Die Forschungsgruppe Archäometallurgie um Professor Gilberto Artioli von der Universität Padua hat herausgefunden, dass das Metall aus südtoskanischem Erz gewonnen wurde.

Für die Herkunftsbestimmung entnahmen die italienischen Wissenschaftler einer Meldung zufolge eine winzige Probe der Klinge und verglichen die Mengenverhältnisse der Blei-Isotope – eine Art „Fingerabdruck“ von Erzvorkommen, der unverändert an daraus gefertigte Objekte weitergegeben wird – mit den entsprechenden Daten einer Vielzahl von Lagerstätten in Europa und im gesamten Mittelmeerraum. Das Ergebnis zeigt eindeutig in die Südtoskana.

„Mit diesem Befund hatte niemand gerechnet. Wir werden weitere Analysen in Auftrag geben um diese ersten Ergebnisse abzusichern“, unterstreicht Angelika Fleckinger. Wird sie bestätigt, liefert die neue Erkenntnis der Forschung interessante Denkanstöße: Kam Ötzi als Händler womöglich bis in die Gegend des heutigen Florenz? Wie sahen zu seiner Zeit die Handelsverbindungen und kulturellen Kontakte mit dem Süden aus? Waren mit dem Warenaustausch auch Populationswanderungen verbunden, zogen also Menschen aus dem Süden in den Alpenraum und umgekehrt? „Gerade was Fragen zur Bevölkerungsentwicklung angeht, ist das eine spannende Erkenntnis“, erklärt Albert Zink.

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CT-Diagnostik zeigt: Ötzi hatte allgemeine Arteriosklerose

Eine neue Computertomografie (CT) am Mann aus dem Eis haben die Radiologen Paul Gostner und Patrizia Pernter im Jänner 2013 in der Röntgenabteilung im Krankenhaus Bozen durchgeführt. Dabei verwendeten sie ein CT-Gerät der neuesten Generation dank dessen großer Öffnung die Ärzte Ötzi trotz seiner abgewinkelten Armhaltung zügig von Kopf bis Fuß durch das Gerät fahren konnten.

Neben den schon bekannten Gefäßverkalkungen an Bauch- und Beinarterien entdeckten die Mediziner durch die verbesserte Bildqualität drei kleine Verkalkungen nahe der Ausflussbahnen des Herzens, die ihnen bis jetzt entgangen waren. Das untermauert den früheren Befund von Molekularbiologen der EURAC, dass Ötzi eine starke genetische Veranlagung für Herzkreislauferkrankungen hatte und diese vermutlich auch der Hauptgrund für seine allgemeine Arteriosklerose war.

„Mordfall Ötzi“ - Heimtückischer Pfeilschuss aus der Distanz

Ötzi ist ermordet worden, darauf deutet die 2001 entdeckte Pfeilspitze in seiner linken Schulter hin. Aber wie waren die Tatumstände? Das Südtiroler Archäologiemuseum hat Hauptkommissar Alexander Horn von der Kriminalpolizei München im Jahr 2014 damit beauftragt, im „Mordfall Ötzi“ mit neuesten kriminalistischen Methoden zu ermitteln.

Horn befragte demnach beispielsweise Archäologen des Museums, die Ötzi seit Jahren betreuen, sowie Experten aus der Rechtsmedizin, Radiologie und Anthropologie. Mitglieder des Projektteams nahmen auch einen Lokalaugenschein an der Fundstelle in Schnals vor. Das Ergebnis der Ermittlungen: Ötzi fühlte sich kurz vor seiner Ermordung wahrscheinlich nicht bedroht, da die Situation am Auffindungsort am Tisenjoch auf eine Rast mit einer reichlichen Mahlzeit hindeutet.

Tage vorher hatte er sich vermutlich bei einer körperlichen Auseinandersetzung eine Abwehrverletzung an der rechten Hand zugezogen. Es fanden sich keine weiteren Verletzungen, was ein Anzeichen dafür sein könnte, dass er in dieser Auseinandersetzung nicht unterlegen war. Der wohl tödliche Pfeilschuss kam aus größerer Distanz und für das Opfer überraschend, demnach heimtückisch.

Weitere medizinische Befunde legten nahe, dass das Opfer stürzte und der Täter keine weitere Gewalt anwandte. Offenbar wollte der Täter keine körperliche Auseinandersetzung riskieren, sondern wählte einen Angriff aus der Distanz, um den Mann aus dem Eis zu töten. Da wertvolle Gegenstände wie die Kupferaxt am Tatort verblieben, fällt auch Diebstahl als Motiv aus: Der Grund des Delikts ist wohl in einer persönlichen Konfliktsituation zu suchen, in einer vorangegangenen Auseinandersetzung – „ein Verhaltensmuster, wie es sich auch heute noch bei der großen Masse der Tötungsdelikte zeigt“, erklärt Alexander Horn.

Der Mann aus dem Eis – umgangssprachlich Ötzi genannt – ist die älteste Feuchtmumie der Welt. Seit Ihrer Entdeckung im Jahre 1991 haben unzählige wissenschaftliche Untersuchungen stattgefunden. So wurde beispielsweise im Jahre 2007 unter Mithilfe der Forscher vom Zentrum für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich die Todesursache von Ötzi, wohl durch inneres Verbluten, nachgewiesen.

Literatur:

Seiler R, Spielman AI, Zink A, Rühli F. Oral pathologies of the Neolithic Iceman, c.3,300 bc. Eur J Oral Sci 2013; 121: 137–141. © 2013 Eur J Oral Sci

Pressemitteilung "Ötzi: Ein heimtückischer Mord und Kontakte nach Mittelitalien" der Europäischen Akademie Bozen - European Academy Bozen/Bolzano vom 19.9.2016

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