Sind Hirntote tot?

nh/pm
Gesellschaft
Leben hirntote Patienten bei der Entnahme ihrer Organe? Diese Frage diskutiert der Deutsche Ethikrat kontrovers. Das Gremium fordert außerdem mehr Transparenz und Aufklärung rund um das Thema Organspende.

Nach mehreren Skandalen ist die Bereitschaft der Deutschen ein Organ zu spenden auf dem Tiefpunkt. Der Deutsche Ethikrat fordert deswegen gesetzliche Änderungen und eine umfassende Aufklärung etwa über die Frage des Hirntods, um das Vertrauen in die Transplantationsmedizin wieder zu stärken.

"Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, seine individuelle Entscheidung zur Organspende auf der Grundlage hinreichender Information zu treffen. Dies gilt auch für die Frage, wann der Mensch tot ist", erklärten Vertreter des Deutschen Ethikrats heute in Berlin.

Minderheit spricht sich für 'Lebendigkeit' aus

Sieben der insgesamt 26 Mediziner, Philosophen, Theologen und Juristen sind der Ansicht, dass "der Hirntod keine hinreichende Bedingung für den Tod des Menschen" ist. Auf den Intensivstationen, wo die Hirntoten zur Funktionserhaltung ihrer Organe bis zur Entnahme unter anderem beatmet werden, befänden sie sich in einem "dritten Stadium minimalster Lebendigkeit" zwischen Leben und Tod, argumentieren sie.

"Das Gehirn ist keine unersetzliche Integrations- und Koordinationsstelle des Organismus", heißt es in der Stellungnahme. Vielmehr sei der Organismus charakterisiert durch ein komplexes Zusammenspiel von Organsystemen, der auch bei vollständigem Gehirnausfall nicht einfach vorbei sei. "Man kann kaum bestreiten", so schreibt diese Gruppe, "dass der Körper eines Patienten mit völligem Hirnversagen immer noch lebendig sein kann, zumindest in einigen Fällen".

Mehrheit sieht im Hirntod ein sicheres 'Zeichen des Todes'

Die anderen 18 Mitglieder des Gremiums widersprechen. Sie unterstützen die gegenwärtige Rechtslage, laut der ein Hirntod, der in Deutschland vor der Organentnahme von zwei unabhängigen Ärzten diagnostiziert werden muss und nicht mit dem Wachkoma oder dem Locked-in-Syndrom verwechselt werden darf, ein "sicheres Anzeichen für den Tod des Menschen" sei. 

Mit dem vollständigen Funktionsverlust des Gehirns gehe "die leib-seelische Einheit" eines Organismus verloren, "die für Lebende charakteristisch" sei, argumentiert diese Fraktion. "Daher kann vom Körper des Hirntoten nicht mehr als einem lebendigen Menschen gesprochen werden, auch wenn in diesem Körper aufgrund der intensivmedizinischen Maßnahmen noch isolierte biologische Aktivitäten möglich sind."

Einigkeit: Hirntod gilt als Entnahmekriterium

Übereinstimmung gibt es darin, dass Organspenden unverzichtbare Bestandteile der modernen Medizin seien, die Menschenleben retten. Außerdem sind sich beide Fraktionen einig, dass für die Organentnahme der Hirntod ein "notwendiges Kriterium" sei, also ohne seine Diagnostizierung nichts geschehen dürfe. Daher lehnt es der Ethikrat ab, als Kriterium statt des Hirntods einen längeren Herzstillstand zu wählen.

Im Interesse einer verlässlichen Hirntoddiagnostik sieht der Deutsche Ethikrat die Ärzte in der Pflicht, die Methoden dem Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft kontinuierlich anzupassen sowie in der Praxis sicher umzusetzen. Durch eine entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildung sei das hohe medizinische Konw-how der untersuchenden Ärzte zu gewährleisten. Fachkompetente Ärzte sollten flächendeckend und zeitnah zur Verfügung stehen.

Mehr Aufklärung für Spender gefordert

Der Deutsche Ethikrat hält es darüber hinaus für erforderlich, die Information und Kommunikation rund um die Organspende zu verbessern. Seine Empfehlungen beziehen sich auf die Gespräche mit den Angehörigen, die Aufklärung der Bevölkerung und die Bestellung von Transplantationsbeauftragten.

Die Gespräche und die Beratung der Personen, die anstelle des möglichen Spenders eine Entscheidung über eine Organspende treffen müssen, sollten bereits vor der Feststellung des Hirntodes begonnen werden dürfen. Dies sollte in § 7 des Transplantationsgesetzes (TPG) klargestellt werden. Angemessene Rahmenbedingungen für diese Gespräche sollten eine ergebnisoffene und nondirektive Kommunikation fördern sowie besondere kulturelle und sprachliche Belange berücksichtigen.

Angesichts der zentralen Funktion der Transplantationsbeauftragten für den gesamten Prozess der Organspende hält es der Deutsche Ethikrat für unerlässlich, in allen Bundesländern auf Basis der  gesetzlichen Vorgaben unverzüglich die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass in den Entnahmekrankenhäusern Transplantationsbeauftragte bestellt werden und diese ihre Aufgabe angemessen erfüllen können.

Organprotektive Maßnahmen sollen gesetzlich verankert werden

Die Materialien zur Aufklärung der Bevölkerung über "die gesamte Tragweite der Entscheidung" (§ 2 Abs. 1 TPG) zur Organspende sollten ergänzt werden. Dazu gehören unter anderem Informationen über eine mögliche Kollision von Patientenverfügung und Organspendeerklärung sowie über Art, Umfang und Zeitpunkt von organprotektiven Maßnahmen, die beim möglichen Organspender unter bestimmten Umständen schon vor der Hirntoddiagnostik zur Erhaltung der zu entnehmenden Organe erforderlich sind. Zudem sollten die Materialien Informationen darüber enthalten, dass in anderen Staaten auch für deutsche Staatsbürger, die dorthin reisen, andere Regelungen für eine Organentnahme gelten können.

Hinsichtlich der organprotektiven Maßnahmen sieht die Mehrheit des Deutschen Ethikrats auch gesetzlichen Handlungsbedarf. Für den Fall, dass eine Einwilligung des Organspenders in organprotektive Maßnahmen nicht festgestellt werden kann, sollte gesetzlich geregelt werden, welche Menschen die Entscheidung über das Einleiten solcher Maßnahmen vor Feststellung des Hirntodes treffen dürfen. Die Zulässigkeit der Durchführung dieser Maßnahmen bis zur abschließenden Feststellung des Hirntodes sollte gesetzlich an zusätzliche Anforderungen gebunden werden.

In einem Sondervotum lehnen drei Mitglieder des Deutschen Ethikrats die geforderte gesetzliche Regelung organprotektiver Maßnahmen vor Feststellung des Hirntodes ab und erklären, dass sich der ärztliche Behandlungsauftrag grundsätzlich auf das Wohl des Patienten konzentriert und nicht auf eine theoretische Möglichkeit zur Organspende. Die Differenzierung intensivmedizinischer Behandlungsmaßnahmen in patientenorientierte und organprotektive Maßnahmen halten sie daher für klinisch nicht relevant und irreführend.

Der vollständige Text der Stellungnahme findet sich hier:Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zum Thema Hirntod und Entscheidung zur Organspende

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