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Warum Safari-Chirurgie nicht funktioniert

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Spaltkinder können heute relativ einfach operiert werden. Warum die Hilfe in vielen Ländern trotzdem nicht funktioniert, schildert Alexander Gross, Geschäftsführer der Deutschen Cleft Kinderhilfe.

Wie entwickelt sich die Hilfe für Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten weltweit? Welchen Beitrag leistet die Auslandshilfe? In welche Richtung sollte gearbeitet werden? Mit diesen Fragen setzt sich die Deutsche Cleft Kinderhilfe e.V. mit Sitz in Freiburg seit Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 2002 auseinander.

Dabei stehen sich fundamentale gegensätzliche Vorstellungen der Hilfe gegenüber. Die Deutsche Cleft Kinderhilfe positioniert sich hier klar und richtet ihre Hilfe auf ausschließlich nachhaltige Projektarbeit aus, in deren Rahmen die einheimischen Chirurgen, Ärzte, Therapeuten und Projektmitarbeiter im Zentrum stehen und die Entwicklungen bestimmen.

Die alten Konzepte behindern die Entwicklung im Land

Viele Organisationen und OP-Teams folgen immer noch dem Einsatz-Prinzip für ihre Auslandshilfe. Teams werden zusammengestellt, Partner im Ausland für das Auffinden von betroffenen Kindern gesucht und Krankenhäuser als Operationsstandort ausgewählt. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit unterscheiden sich Einsätze oder „missions“ im Grad ihrer Anbindung an vorhandene einheimische Strukturen.

Die Bandbreite erstreckt sich von einmaligen chirurgischen Einsätzen („Safari-Chirurgie“), über wiederkehrende Einsätze mit Ausbildungskomponenten (die häufig nicht funktionieren), bis hin zu regelmäßigen Einsätzen mit dem Ziel, ein von Einheimischen getragenes Behandlungszentrum aufzubauen und zu etablieren. Doch auch dies scheitert häufig, weil den kulturellen und politischen Gegebenheiten im Projektland viel zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Fatal an diesen alten Konzepten ist, dass sie positive Entwicklungen in einem Land sogar behindern können - mit negativen Folgen für die Patienten.

Wenn OP-Teams "einfallen" - und Patienten ohne Nachsorge zurücklassen

In Indien fördert die Deutsche Cleft Kinderhilfe sechzehn Spaltzentren - unter anderem in Agra einer Millionenstadt südlich Neu-Dehli. Der leitende indische Mund-Kiefer-Gesichtschirurg dort, Dr. Gaurav Gupta,  hat in acht Jahren 1.831 Operationen durchgeführt und betreut seine Patienten über viele Jahre umfassend – so wie es sein muss. Doch seine Arbeit ist heute extrem belastet.

Nicht weil ein anderes gut arbeitendes Zentrum Konkurrenz macht, sondern weil Operationsteams aus dem In- und Ausland „einfallen“, den aus sehr einfachen Verhältnissen stammenden Patienten Versprechungen machen und ihnen sogar direkt Geld anbieten. Gupta äußert sich eindeutig: „Operationseinsätze für Spaltpatienten müssen in Indien aufhören! Die Operationsqualität ist schlechter als in Zentren. Es gibt keine Nachbetreuung bei Komplikationen, von einer umfassenden Behandlung unter Beizug von Sprachtherapeuten, Zahnärzten und Kieferorthopäden ganz zu schweigen."

Die Deutsche Cleft Kinderhilfe kennt die Argumente der Organisationen und Chirurgen, die von der Einzelfallhilfe ausgehen und Einsätze nach wie vor für berechtigt halten. Sie steht diesen Einsätzen in stark unterversorgten Regionen und Ländern auch nicht völlig ablehnend gegenüber, aber eine wirklich positive Veränderung erreichen wir dadurch für ein Land und seine Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Patienten nicht.

Ein langfristig wirksames Konzept bedingt echte Partnerschaft, gute Beziehungsarbeit, kulturelles Verständnis und die intensive Beschäftigung mit regionalen privaten, gesellschaftlichen und politischen Kräften im Land. Nur dann können Anlaufstellen, chirurgische Projekte und später Spaltzentren erfolgreich aufgebaut werden.

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Gute Hilfe ist schwierig: das Beispiel Vietnam

Gute Hilfe im Ausland ist deshalb schwierig. Nehmen wir das Beispiel Vietnam. Das war das Land, das als einer der ersten schon ab Mitte der 80er Jahre von unzähligen LKGS-chirurgischen Gruppen besucht wurde. Zehntausende Kinder sind seither operiert worden, aber die Versorgung im Land ist immer noch auf einem mangelhaften Niveau. Natürlich liegt dies auch an den sozioökonomischen Bedingungen, doch die Initiatoren der Hilfe aus dem Ausland sollten sich heute die Frage stellen, was sie hätten besser machen können.

Bei den zumeist ehrenamtlichen Operationseinsätzen spielt die Interessenlage eine große Rolle. „Ich kann unbürokratisch operieren“, „Ich bekomme seltene chirurgische Fälle“, „Ich kann ein Land anders kennenlernen“, „Ich schätze das Gruppenerlebnis“, „Ich kann zuhause über meinen Einsatz positiv berichten“, sind Schlüsselmotive, die wir gut kennen. Die ehrliche Beschäftigung mit dem Land selbst steht in der Regel hinten an!

Landeskenntnisse sind wichtig, damit das Projekt keine Eintagsfliege wird

Welchen Normen und Werten folgen die Menschen, denen wir helfen? Welchen Normen und Motiven folgen unsere Verhandlungspartner und Freunde im Land? Für wen gibt es eine Krankenversicherung? Wie viel verdienen Ärzte und Krankenhauspersonal im staatlichen System und auf privater Basis? Wie hoch ist der formelle und informelle Eigenbeitrag von Patienten? Wie funktioniert die offizielle Versorgung für Spaltkinder? Wie müssen wir die Politik und die Verwaltung im Land einbinden? Welche negativen Konsequenzen lösen wir im Land durch unser Engagement aus? Welche ausländische Gruppe hilft sonst noch im Land oder in der Region wo ich tätig werden möchte.

Die Suche nach Antworten ist schwierig und zeitaufwendig, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit markant, dass das eigene Projekt eine nachhaltig positive Wirkung für die medizinische Versorgung im Land auslösen kann und keine Eintagsfliege wird. Wir müssen deshalb offen sein für eine intensive Kommunikation mit den unterschiedlichsten Gesprächspartnern.

Im Kern ist es unmöglich, die Lebensbedingungen, Lebensumstände und kulturellen Eigenheiten eines anderen Landes tiefgründig zu verstehen. Wir können uns jedoch annähern und so einen nachhaltigeren Beitrag leisten, damit endlich in unserem Fall mehr Spaltkinder umfassender behandelt werden - inklusive guter Aufklärung der Eltern, psychologischer Betreuung und notwendig

Wir müssen in Zeiträumen von Zehn bis 20 Jahren denken

Eine über einheimische Strukturen getragene eigenverantwortliche Lösung für ein medizinisches Problem sollte unser Anspruch und unser Ziel sein. Zehn bis 20 Jahre sind Zeiträume, die wir dafür einplanen müssen. Alle ehrenamtlich am Ausland Interessierte, bitten wir darum, sich in so angelegten Projekten zu engagieren.

 

Alexander GrossGeschäftsführer Deutsche Cleft Kinderhilfe e.V.

Weitere Informationen zur Hilfsorganisation sowie aktuelle Beiträge aus verschiedenen Hilfseinsätzen finden Siehier.

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