Tag der Zahngesundheit 2019

"Wir sprechen die Jugendlichen auf Augenhöhe an"

Susanne Theisen
Gesellschaft
Mit einem neuen Prophylaxekonzept widmen sich Dr. Uta Brix und Dr. Pantelis Petrakakis vom Zahnärztlichen Dienst Rhein-Erft-Kreis seit 2018 der Zielgruppe des diesjährigen Tags der Zahngesundheit. Im Interview berichten sie von ihren Erfahrungen.

Aus Ihrer Erfahrung: Wie spannend finden Jugendliche das Thema Zahnpflege?

Dr. Pantelis Petrakakis: Die Spannbreite reicht von absolutem Desinteresse – und den teilweise entsprechend verheerenden Befunden – über Behandlungsängste bis hin zu einer unwahrscheinlichen Aufgeschlossenheit und Neugier. Manchmal sind wir auch total überrascht über das Wissen, das die jungen Heranwachsenden mitbringen.

Dr. Uta Brix: Wir haben festgestellt, dass Jugendliche das Thema Zahnpflege meist dann spannend finden, wenn man es ihnen anhand ihrer eigenen Zähne und ihrer Mundhygienesituation deutlich macht. Ganz wichtig ist dabei, dass man die Jugendlichen auf Augenhöhe anspricht und ihnen den ganz persönlichen Benefit einer guten Mundhygiene vermittelt.

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Zu diesem Zweck haben Sie 2018 im Rhein-Erft-Kreis ein Projekt gestartet, um Jugendliche ganz gezielt anzusprechen. Beschreiben Sie bitte kurz, worum es geht.

Brix: Im Schuljahr 2018/2019 haben wir unsere zahnmedizinische Vorsorgeuntersuchung auf die weiterführenden Schulen des Kreises ausgeweitet. Im Gegensatz zu den Untersuchungen in Gruppen in Kindertagesstätten und Grundschulen, untersuchen wir die Jugendlichen allein, das heißt ohne "Publikum". Das gibt uns die Möglichkeit, individuell auf die jeweilige Mundhygienesituation und den erhobenen Zahnbefund und auch auf Fragen einzugehen.

Petrakakis: Einen geschützten Raum zu schaffen, war uns sehr wichtig. Wir nennen diese Form der gruppenprophylaktischen Betreuung auch "Individualisierte Gruppenprophylaxe" bzw. "Individualisierte aufsuchende Betreuung". Außer uns ist nur eine Zahnmedizinische Fachangestellte anwesend. Die Ergebnisse der zahnärztlichen Untersuchung bieten eine sehr gute Grundlage, einen objektiven Handlungsbedarf für jedes Kind zu erkennen und es entsprechend zu beraten.

Wann und wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden?

Brix: Die Idee für ein spezifisches Prophylaxekonzept bei Heranwachsenden bestand meines Wissens schon sehr lange, da für Kinder aus weiterführenden Schulen keine verlässlichen Zahlen zu Mund- und Zahngesundheit vorlagen.

Petrakakis: Das stimmt. Ursprünglich ging es darum, einen Überblick über die Zahngesundheit von Kindern in weiterführenden Schulen des Rhein-Erft-Kreises – und hier insbesondere die der 12-Jährigen – zu erhalten und daraus potenziell notwendige Handlungsoptionen abzuleiten. Untersuchungen an Stichprobenschulen im Rahmen der epidemiologischen Begleituntersuchung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege e. V. (DAJ-Studie) im Jahr 2016 lieferte dann den entscheidenden Impuls, die Untersuchungen an weiterführenden Schulen in einem Pilotprojekt umzusetzen.

Warum kamen Sie nach den Stichproben zu diesem Schluss?

Petrakakis:Unsere Erfahrungen zeigten, dass Aufklärungs- und Prophylaxemaßnahmen bei Heranwachsenden – ungeachtet der geringen Kariesrate – dringend notwendig sind. So konnten wir in dieser Gruppe, neben einer häufig defizitären Mundhygiene mit einem hohen Anteil plaquebedingter Gingivitiden, auch einen sehr hohen Beratungsbedarf feststellen. Gleichzeitig machten wir die sehr positive Erfahrung, dass die Schulen uns dabei unterstützten und diese präventive Maßnahme sehr begrüßten.

Wie läuft die individualisierte aufsuchende Betreuung ab? Welche Themen sprechen Sie beispielsweise an?

Petrakakis:Die Termine finden an Vormittagen in den Schulen statt. Im Vorfeld erhalten wir unter Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen die notwendigen Daten der Schülerinnen und Schüler, die wir anschließend in unsere Erfassungssoftware übertragen. Vor Ort führen wir unsere Untersuchungen in einem leeren Klassenraum durch.

Brix: Pro Schulstunde untersuchen wir etwa eine Schulklasse. Die Jugendlichen werden, wie oben schon beschrieben, alleine in den Untersuchungsraum gebeten. Nachdem wir einen umfassenden, zahnärztlichen Befund erhoben haben, fragen wir die Jugendlichen nach ihren Zahnputzgewohnheiten, welche Hilfsmittel sie benutzen etc. Bei Mundhygienedefiziten zeigen wir dann mit Hilfe eines Handspiegels wo die problematischen Bereiche liegen, erklären die Notwendigkeit des "richtigen" Zähneputzens, demonstrieren Zahnputzbewegungen und verschiedene Hilfsmittel wie Zahnseide und/oder Interdentalraumbürsten.

###more### ###title### Wirksamstes Instrument: Der Handspiegel ###title### ###more###

Was überrascht die Jugendlichen besonders?

Petrakakis:Der Einsatz des Handspiegels ist enorm wirkungsvoll, da wir genau zeigen können, wo sich Zahnbelag befindet und wie man ihn am besten entfernen kann. Dies demonstrieren wir mit der Handzahnbürste direkt am Patienten. Die Jugendlichen reagieren häufig sehr überrascht, wie sehr sich die Putzmethoden voneinander unterscheiden und dass das Zähneputzen mit einer oszillierenden elektrischen Rundkopfbürste auch mit einer bestimmten Technik erfolgen muss. Wir demonstrieren – je nach manueller Geschicklichkeit – die Fegetechnik oder eine Modifikation der "KAI-Methode" aber auch die Handhabung der elektrischen Zahnbürste. Wir führen den Einsatz von Zahnseide vor. Bei Trägern festsitzender kieferorthopädischer Brackets zeigen wir, wie sie ihre Zähne mittels Interdentalraumbürsten effizient reinigen können.

Welche Beobachtungen haben Sie gemacht?

 

Wie viele Schüler treffen Sie im Laufe eines Termins?

Brix: An einem Vormittag treffen wir zwischen 90 und 120 Schüler.

Wie viele Schulen betreuen Sie?

Petrakakis: Im Schuljahr 2018/2019 haben wir neben den standardmäßig betreuten neun Hauptschulen und zehn Förderschulen, fünf von acht Gesamtschulen, acht von zehn Realschulen und vier von acht Gymnasien besucht. Die jeweilige Anzahl benötigter Termine hängt naturgemäß von der Schulform und der Schulgröße ab. Man sollte je Schule daher ein bis drei Vormittage einplanen.

Ist das 1:1-Gespräch die einzige Möglichkeit, um Jugendliche wirklich zu erreichen?

Brix: In dieser Konstellation besteht meines Erachtens die einzige Möglichkeit, jeden Jugendlichen wirklich bei seinen "Bedürfnissen" abzuholen und damit sein ganz persönliches Interesse an einer gesunden Mundflora zu wecken. In der Gruppe wird besonders in diesem Altersband vieles zum Thema Mundhygiene und Mundgesundheit als bekannt und dann als langweilig empfunden. Dadurch kommt es in der Gruppe leicht zu Unruhe und fehlender Ernsthaftigkeit. Zudem darf man nicht unterschätzen, dass sich die wenigsten in der Gruppe trauen, zu diesem recht intimen Thema Fragen zu stellen oder ihren Beratungsbedarf zu offenbaren.

Petrakakis: Das kann ich nur bestätigen. Erst im Zwiegespräch sind die meisten Jugendlichen bereit, sich zu öffnen und Fragen zu stellen bzw. Fragen zu beantworten. Auf diese Weise können wir Schwachstellen im System erkennen und entsprechende individuelle Mundhygiene-Tipps geben, ohne dass es zu einer Stigmatisierung der Betroffenen kommt.

Welche Fragen stellen Ihnen die Jugendlichen denn im Laufe der Gespräche?

Brix: Es werden eigentlich weniger gezielt Fragen gestellt. Die Jugendlichen sind vielmehr häufig überrascht, was wir anhand der Untersuchung über ihre Mundhygiene herausfinden können. Besonders beeindruckend – oder auch eklig – finden sie, wenn wir ihnen durch Abkratzen ihre Plaque zeigen und dabei die krankmachende Wirkung auf die Gingiva in ihrem Mund veranschaulichen. Dass dadurch auch unangenehmer Mundgeruch entsteht, der zu sozialen Konflikten führen kann, weckt großes Interesse bei den Jugendlichen.

Petrakakis: Wenn Fragen gestellt werden, dann sehr häufig Fragen zur "richtigen" Zahnbürste bzw. der "besten" Zahnpasta und wie man die Zähne effizient reinigen kann. Ein anderes sehr beliebtes Thema ist, wie man die Zähne strahlend weiß bekommen kann. Diese Frage stellen überraschenderweise sehr häufig die Jungs. Oft werden wir auch gefragt, ob eine Zahnspange nötig ist. Wir sprechen auch immer wieder über die Themen Weisheitszähne und den besten Zeitpunkt zum Zähneputzen.

###more### ###title### Wissenslücken und Crystal Meth  ###title### ###more###

Welche Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr haben Sie überrascht?

Brix: Es war bemerkenswert für uns zu sehen, welche Gründe für die festgestellten Mundhygieneversäumnisse angeführt werden. Im Allgemeinen scheint es bei Jugendlichen doch einige Wissenslücken zum Zähneputzen zu geben.

Petrakakis: Die bereits genannte Frage gerade der Jungs nach weißen Zähnen war für mich persönlich sehr interessant. Einmal fragte mich ein Schüler, ob Crystal Meth wirklich den Zähnen schadet. Ein anderer stellte die Frage nach Zusammenhängen von Cannabiskonsum und schlechten Zähnen.

War es schwierig, das Konzept umzusetzen? Wie haben Sie das im Team mit Ihren Ressourcen organisiert?

Brix: Da uns dieses Thema sehr am Herzen liegt, mussten wir an anderer Stelle leider Abstriche machen, da wir ohnehin schon mit unseren Personalressourcen bei steigenden Kinderzahlen knapp bestückt sind. So besuchen wir zum Beispiel die Kindergärten mit sehr guten Untersuchungsergebnissen nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle 18 Monate.

Petrakakis: Wegen des Ressourcenmangels können wir die Untersuchungen an weiterführenden Schulen in erster Linie auch nur mit zwei unserer vier zahnärztlichen Untersuchungsteams durchführen. Daher ist maximal die Betreuung der fünften und sechsten und in wenigen Ausnahmen die der siebten Jahrgangsstufe möglich. Die Einrichtungen, die dadurch nicht besucht werden konnten, versuchen wir möglichst zeitnah im neuen Schuljahr zu besuchen, was eben zu den von Frau Dr. Brix genannten größeren untersuchungsfreien Intervallen für diese Einrichtungen führt.

Wollen Sie das Projekt in Zukunft weiterführen und vielleicht ausbauen?

Brix: Aufgrund der bisher gewonnenen Untersuchungsergebnisse halten wir es für unbedingt erforderlich, dieses Projekt weiterzuführen. Je nach Schulform sind die Mundhygienedefizite und leider auch das Ausmaß der plaqueinduzierten Gingivitiden zum Teil so gravierend, dass jede Möglichkeit zur Verbesserung der Mundhygienesituation genutzt werden muss. Besonders wenn man berücksichtigt, dass im Teenageralter oft noch weitere Risikofaktoren wie Rauchen, Alkohol, Drogen etc. die Mundgesundheit negativ beeinflussen können.

Petrakakis: Auch ich halte die Weiterführung und den Ausbau des Projekts für dringend angezeigt, da wir den Eindruck haben, dass es positive Effekte erzeugt. Um diesen Eindruck zu verifizieren, werden wir das Konzept evaluieren müssen. Wie wir das machen wollen, ob qualitativ in Form von Befragungen oder anhand objektiver Hygieneparameter, ist noch nicht entschieden. Daran arbeiten wir derzeit.

Ihr Fazit: Was muss ein Prophylaxekonzept leisten, um Jugendliche zu erreichen, das heißt, wie sensibilisiert man sie dann doch für die Bedeutung gesunder Zähne?

Brix: Die bereits erwähnte 1:1-Situation ermöglicht es, dass wir die Jugendlichen auf Augenhöhe ansprechen und versuchen können, Motivation zur Mundhygiene mit anschaulichen und lebensnahen Beispielen zu wecken. Dabei sollte man möglichst eine wenig "verkopfte" bzw. keine zu wissenschaftliche Sprache verwenden.

Petrakakis: Ich teile diese Einschätzung. Ein Prophylaxekonzept kann nur dann wirkungsvoll sein, wenn es den jeweiligen Adressaten dort abholt, wo er gerade steht. Es nutzt nichts, bei der Vermittlung von Inhalten Stereotypen abzurufen und mit Unverständnis zu reagieren, wenn die "Botschaft" nicht ankommt. Empathie ist eine Eigenschaft, die sehr hilfreich ist, Menschen zu erreichen. Man sollte in jedem Fall sein Gegenüber ernst nehmen und Verständnis für dessen Vorstellungen und auch Nöte haben. Nur wenn sich die Heranwachsenden ernst genommen fühlen und selber merken, dass wir sie akzeptieren und respektieren, bildet sich Vertrauen. Wir sollten in jedem Fall immer positiv an ihr Selbstwertgefühl appellieren und das Selbstwirksamkeitspotenzial der Jugendlichen stärken. Sie sollen verstehen, dass gesunde Zähne die Grundlage für ihren beruflichen und privaten Erfolg sein können und dass der Schlüssel für den Erhalt der Zahngesundheit in ihren Händen liegt. Das zu vermitteln ist aus meiner Sicht die zentrale Herausforderung an die Akteure in der Gruppen- und auch in der Individualprophylaxe.

Zu den Personen

Dr. Pantelis Petrakakis studierte von 1984 bis 1990 Zahnheilkunde an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 1990 bis 1994 war er dort wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Zahnerhaltung und Parodontologie der Klinik und Poliklinik für Zahn-, Mund-, Kieferheilkunde. Im Anschluss daran arbeitete er jeweils zwei Jahre als angestellter Zahnarzt in Köln und als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Zahnerhaltung und Parodontologie des Zentrums für Zahn-, Mund-, Kieferheilkunde der Universität zu Köln. Ab 1998 war er zehn Jahre lang angestellter Zahnarzt beim Jugendzahnärztlichen Dienst der Stadt Köln und machte 2006 seinen Fachzahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen. 2008 bis 2010 leitete er den Jugendzahnärztlichen Dienst und den Arbeitskreis Jugendzahnpflege im Fachbereich Gesundheit des Landkreises Marburg-Biedenkopf. 2010 bis 2013 leitete er den Zahnärztlichen Dienst der Stadt Wuppertal und seit 2013 den Zahnärztlichen Dienst des Rhein-Erft-Kreises.

Dr. Uta Brix trat 1994 die Sanitätsoffizierslaufbahn der Bundeswehr an. Von 1995 bis 2003 erfolgten das Studium und die Approbation an der Universität zu Köln. Von 2004 bis 2017 war sie Sanitätsstabsoffizier (Truppenzahnarzt) FachSanZ Köln-Wahn und von 2004 bis 2008 zahnärztlich in freier Praxis in Bonn tätig. Im Jahr 2008 machte sie ihren Fachzahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen und arbeitet seit Juni 2017 für den Zahnärztlichen Dienst des Rhein-Erft-Kreises.

Der Zahnärztliche Dienst des Rhein-Erft-Kreises besteht aus insgesamt acht Mitarbeiter*innen, die in vier Teams aufgeteilt sind. Diese vier Teams betreuen die Einrichtungen in den insgesamt zehn kreisangehörigen Städten. Im Rhein-Erft-Kreis gibt es neben den oben aufgeführten weiterführenden Schulen derzeit 263 Kitas und 78 Grundschulen, die ebenfalls betreut werden. Im Schuljahr 2018/2019 wurden fast 36.000 Kinder und Jugendliche zahnärztlich untersucht.

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