Meinung

Äthiopiens revolutionäres Gesundheitskonzept

eb/dpa
Nachrichten
Äthiopien hat in den vergangenen 20 Jahren die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesenkt und damit ein wichtiges Milleniumsziel schon zwei Jahre vorzeitig erreicht. Unicef-Landeschef Peter Salama verrät die Gründe.

zm-online: Wie hat Äthiopien es geschafft, die Kindersterblichkeit innerhalb relativ kurzer Zeit so drastisch zu reduzieren? 

Salama:Äthiopien hat in den vergangenen zehn Jahren wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Im Jahr 2003 hat die Regierung beschlossen, 38.000 Gesundheitsarbeiter auszubilden, um Menschen in den armen, entlegenen Teilen des Landes zu helfen. So etwas gab es vorher zwar schon in anderen Ländern, aber noch nie in einem so großen Umfang. Zudem profitiert normalerweise zunächst die privilegierte, städtische Bevölkerung vom Gesundheitswesen eines Landes. Aber Äthiopien hat plötzlich die ländliche Bevölkerung zur Priorität erklärt - ein geradezu revolutionäres Konzept. Alle Gesundheitsarbeiter wurden dabei umgehend auf eine Gehaltsliste der Regierung gesetzt. Das Programm wurde also nicht von Gebern und Hilfen aus dem Ausland initiiert, sondern von Äthiopien selbst. 

Besonders in West- und Zentralafrika tun sich die meisten Länder viel schwerer, das Milleniumsziel zur Kindersterblichkeit zu erreichen. Warum ist das so? 

Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens geht es um die politischen Entscheidungen, die eine Regierung trifft. Viele Staaten verfolgen ein falsches Modell, das nicht der armen Bevölkerung zugutekommt und das nicht direkt auf die häufigsten Todesursachen abzielt. Ein zweiter Grund sind die Krankheiten selbst. Zum Beispiel erkranken viel mehr Kleinkinder in West- und Zentralafrika an Malaria als im Osten und Süden des Kontinents. Drittens spielen auch politische Stabilität und die Sicherheitslage eine Rolle. Es gibt da ein Muster, wenn man die Daten verschiedener Länder bezüglich der MDG's (Entwicklungsziele) vergleicht: Politisch instabile Staaten tendieren zu einem Rückwärtstrend, in stabilen Ländern geht es hingegen aufwärts.

Können Sie ein Beispiel nennen? 

Nehmen wir doch einmal Somalia, Äthiopiens östliches Nachbarland. Hier herrscht eine der höchsten Quoten der Kindersterblichkeit weltweit. Im Westen liegt der Südsudan, da sieht es kaum besser aus. Und etwas weiter südlich in der Demokratischen Republik Kongo ist die Quote ebenfalls sehr hoch. Alle drei Länder leiden unter Krisen und Konflikten und liegen weit zurück, wenn es um die Erreichung der Millenniumsziele geht. 

Was ist wichtiger zur Senkung der Kindersterblichkeit: Schwangerschaften zu verhindern oder die Gesundheitsvorsorge? 

Beides. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Frauen weniger Kinder zur Welt bringen, wenn die Sterblichkeitsquote sinkt. Das hängt wohl damit zusammen, dass die Menschen in armen Ländern Kinder als eine Art Sozialversicherung und Altersvorsorge betrachten. Sobald sie aber sehen, dass ihre Kinder überleben, treffen sie selbst die Entscheidung, keine weiteren Babys mehr zu bekommen. Wenn man also das Gesundheitswesen verbessert und die Kindersterblichkeit reduziert, dann werden die Frauen weniger häufig schwanger. 

Woran sterben Kinder in Äthiopien heute am häufigsten? 

44 Prozent aller Todesfälle von Kindern unter fünf Jahren ereignen sich in Äthiopien heute in den ersten 28 Tagen nach der Geburt. Also ist die Hauptursache, dass es bei Neugeborenen zu Komplikationen kommt, was auch mit dem Gesundheitszustand und einer eventuellen Mangelernährung der Mutter zusammenhängt. Die zweithäufigste Ursache sind Durchfallerkrankungen, gefolgt von Lungenentzündungen und Malaria. Bis vor wenigen Jahren war es noch umgekehrt, da war Malaria die Todesursache Nummer eins. 

Was sind die nächsten Herausforderungen? 

Die Senkung der Sterbequote von Kindern unter fünf Jahren ist zwar eine nationale Erfolgsgeschichte, aber sie ist regional ungleichmäßig verteilt. In der Hauptstadt Addis Abeba liegt die Quote etwa bei 55 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten. In der westlichen Region Benishangul-Gumuz an der Grenze zum Sudan beträgt sie hingegen 169. Das gleiche gilt für die abgelegenen Regionen Afar, Gambella und Somali. Es ist jetzt wichtig sicherzustellen, dass diese Gebiete mit dem Rest des Landes gleichziehen.

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