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"Nach der Praxis habe ich Kopfschmerzen!"

nh/pm
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Der syrische Zahnarzt Wassim Mukdessi möchte in Deutschland praktizieren. Doch "deutsche Sprache - das ist noch schwieriger als Anatomie!". Deshalb lernt er jeden Abend - und hat dabei das erste dentale Online-Fachwörterbuch in arabisch und deutsch erstellt.

"Nach der Praxis habe ich Kopfschmerzen", sagt Wassim Mukdessi. "Jeden Tag höre ich neue Worte, die ich notieren kann. Ich schreibe das Wort, wie ich es verstanden habe, dazu die Bedeutung in Arabisch. Dann korrigieren die Schwestern in der Praxis die deutsche Schreibweise", erklärt der syrische Zahnarzt seine Vorgehensweise. Wassim Mukdessi, Hospitant von Dr. Joachim Hoffmann im Implantarium Jena, erstellt zurzeit das erste dentale Wörterbuch in Arabisch und Deutsch. 

Herr Mukdessi, Sie sind Zahnarzt aus Syrien und absolvieren ein mehrmonatiges Praktikum im Implantarium Jena bei Dr. Joachim Hoffmann. Was wollen Sie über Implantologie lernen?

Wassim Mukdessi:Implantologie interessiert mich auch. Das Wichtigste aber ist für mich jedoch das Erlernen der zahnärztlichen Fachsprache in Deutsch. Ich möchte für eine Zeit als Zahnarzt in Deutschland arbeiten und muss nach der allgemeinen C1-Sprachprüfung als nächstes eine Fachsprachenprüfung bestehen. Erst dann kann meine Approbation der Universität Latakia anerkannt werden. Deutsche Sprache - das ist noch schwieriger als Anatomie!

"Es muss toll sein, hier in Deutschland als Zahnarzt zu arbeiten!"

Sind Sie als Flüchtling nach Jena gekommen?

Nein, ich habe in der Botschaft in Beirut nach Vorlage meiner Zeugnisse ein Visum für die Sprachausbildung zur Berufsvorbereitung erhalten. Meine Ausbildung wird von meiner Familie in Syrien finanziert. Natürlich spielten die Zerstörung und die Perspektivlosigkeit in unserem Land eine Rolle für meinen Wunsch hier zu arbeiten, aber auch die Möglichkeiten der modernen Zahnmedizin in Deutschland. Es muss toll sein, hier in Deutschland als Zahnarzt zu arbeiten.

Herr Dr. Hoffmann, was waren Ihre Gedanken, als Wassim Mukdessi um einen Praktikumsplatz bat?

Dr. Joachim Hoffmann:Das war für mich nicht besonders überraschend, denn in Jena wurden ja schon vor 1989 Kollegen aus Syrien in verschiedenen medizinischen Fachrichtungen ausgebildet. Auch in unserer Praxis haben wir gelegentlich ausländische Hospitanten. Ich selbst bin zwischen 2004 und 2010 zweimal jährlich in Syrien gewesen, um dort Kollegen in Implantatchirurgie und -prothetik auszubilden. Insofern setzt sich hier eine Tradition fort, wenn auch unter veränderten Voraussetzungen.

"In Saudi-Arabien werden die syrischen Kollegen mit Kusshand genommen!"

Mutig finde ich das Ziel, eine Zulassung in Deutschland zu erwerben, die durch die Sprache so erschwert ist. Dabei hätte es Wassim Mukdessi im arabischsprachigem Raum, zum Beispiel in Saudi-Arabien, Kuwait oder den Emiraten sehr viel leichter. Dort werden die syrischen Kollegen wegen ihrer guten Ausbildung mit Kusshand genommen und gut bezahlt. Im gesamten Nahen Osten gelten sie als die geschicktesten.

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"An einem Tag habe ich über neun Seiten neue Worte gehört!"

Weshalb also wollten Sie gerade nach Deutschland, Herr Mukdessi?

Mukdessi:Einige Zahnärzte und Professoren in Latakia und Damaskus haben in Deutschland studiert. Sie waren die besten Zahnärzte in Syrien. Manchmal kamen Zahnärzte von hier nach Syrien und zeigten uns neue Behandlungsmethoden.

Das Niveau der Zahnmedizin hier ist sehr, sehr hoch. Mein Traum war es immer, einen Master in Deutschland zu machen. Die Ausbildung ist mir das Wichtigste. Das wird einige Jahre dauern. Ich kann mir vorstellen, auch in Deutschland zu arbeiten. Andererseits möchte ich später auch gern wieder nach Syrien zurück. Das hängt dann auch von der Situation in meiner Heimat ab.

Haben Sie schon etwas lernen können?

Oh, sehr viel. Ich höre zu, wenn mit Patienten und unter Kollegen gesprochen wird. Bei einem Fortbildungskurs an der Landeszahnärztekammer in Erfurt, zu dem mich Dr. Hoffmann mitgenommen hat, habe ich an einem Tag über neun Seiten neue Worte gehört. Jeden Tag höre ich neue Worte, die ich notieren kann. Ich schreibe das Wort, wie ich es verstanden habe, dazu die Bedeutung in Arabisch. Dann korrigieren die Schwestern der Praxis die deutsche Schreibweise. Nach der Praxis habe ich Kopfschmerzen. Zu Hause übertrage ich die Fachwörter in eine Datei. Es entsteht ein dentales deutsch arabisches Fachwörterbuch, das im Internet veröffentlicht werden soll. Das ist für mich eine gute Methode zu lernen und vielleicht später anderen arabischsprachigen Kollegen zu helfen. Bisher gibt es so ein Wörterbuch noch nicht. Das Buch hat schon über 80 Seiten.

###more### ###title### "Das Buch kann auch dem deutschen Zahnarzt helfen" ###title### ###more###

"Das Buch kann auch dem deutschen Zahnarzt helfen"

Herr Mukdessi, wo sehen Sie die größten fachlichen Unterschiede in der Zahnmedizin zwischen Syrien und Deutschland?

Wassim Mukdessi:Ein großer Unterschied besteht in der Hygiene. Die Zahnärzte in meiner Heimat müssen viel verbessern. Hier sehe ich selbst nach großen Operationen kaum Infektionen. Das ist in Syrien sogar nach viel kleineren chirurgischen Eingriffen oft der Fall.

Gelegentlich hospitiere ich bei den Operationen. Wenn möglich, erklärt mir Dr. Hoffmann dabei Ausdrücke der Behandlung. Manchmal, wenn sehr offene Patienten behandelt werden, bittet er mich, ihm und den Patienten zu beschreiben, was er gerade macht. Dann wird es zuweilen lustig.

Und wie reagieren dann die Patienten?

Das ist verschieden. Unfreundliche Patienten habe ich nicht erlebt. Manche freuen sich und sprechen mit mir und sind interessiert. Wenn ich ein Wort falsch auf Deutsch sage, korrigieren es manche. Am Anfang der Hospitation hatte ich Sorgen, andere anzusprechen. Aber jeden Tag sage ich mir, dass das deutsche Volk besser und netter ist, als ich zuvor dachte.

Herr Dr. Hoffmann, gibt es etwas, dass Sie und Ihr Praxisteam von Wassim Mukdessi lernen können? Was nehmen Sie selbst aus der Zusammenarbeit mit?

Joachim Hoffmann:Zunächst ist es immer gut, mit Menschen zusammen zu sein, die lernen wollen und an sich arbeiten. Das strahlt Energie aus. Diese Ausstrahlung hat Wassim.

Beeindruckend finde ich die Systematik, mit der er sich mit der Sprache auseinandersetzt. Das Fachwörterbuch ist zwar an arabisch sprechende Zahnärzte adressiert, kann aber auch einmal einem deutschen Zahnarzt helfen, wenn dieser im arabischen Sprachgebiet behandelt. Ich denke da besonders an Kollegen, die als Freiwillige in Flüchtlingscamps arbeiten.

Sicher erleichtert ein solches Wörterbuch auch die Kommunikation mit Patienten, die als Flüchtlinge in Jena leben und bei uns behandelt werden. Im Moment haben wir keine Probleme mit der Verständigung, denn mit Wassim haben wir einen hervorragenden Übersetzer.

Auffällig war aber auch eine Erfahrung, die jeder von uns schon mehrfach gemacht hat: Bei den ersten Begegnungen zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen steht auf beiden Seiten oft das Fremde, vermeintlich Trennende im Zentrum der Wahrnehmung. Das führt zu Unsicherheiten und zu einem Verhalten, das man fast als verklemmt bezeichnen könnte.

Doch sobald Kommunikation beginnt, mag sie durch die Sprache noch so erschwert sein, sobald man zusammen an Themen arbeitet, gewinnen die Gemeinsamkeiten an Bedeutung. Die Fremdheitsgefühle und Klischees lösen sich auf und geben den Blick frei auf den Menschen, der vor uns steht.

Egal ob das, was Wassim jetzt lernt, später Patienten in Syrien zu Gute kommt oder ob er dazu beiträgt, den absehbaren Zahnärztemangel in Deutschland zu lindern – wir helfen Wassim gern, in der Fachsprache und in der Zahnmedizin Fuß zu fassen.

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