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Paracetamol - gefährlich in der Schwangerschaft?

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Paracetamol stört die Hirnentwicklung beim Kind. Zu diesem Ergebnis kommen dänische Forscher. Wo die Studie hinkt und worauf Zahnärzte bei schwangeren Patientinnen achten sollten, erklärt Prof. Christoph Schindler, Leiter des Klinischen Forschungszentrums CRC an der Medizinischen Hochschule Hannover.

zm-online:In einer dänischen Studie mit 7.796 Schwangeren wurde untersucht, ob Verhaltensprobleme bei Kindern im Alter von sieben Jahren mit der mütterlichen Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft in Zusammenhang stehen. Prof. Christoph Schindler, wie beurteilen Sie die Studienergebnisse?

Prof. Christoph Schindler:Sie sprechen die Studienergebnisse einer prospektiven Kohortenstudie von Stergiakouli et al., publiziert in JAMA Pediatrics im August 2016 an, über die auch im Deutschen Ärzteblatt in der Ausgabe vom 16. August 2016 berichtet wurde.

Die Schwangeren wurden in der 18. und 32. Schwangerschaftswoche, sowie 61 Monate nach Geburt befragt, ob sie Paracetamol eingenommen hatten. Auch die Partner wurden nach Paracetamolanwendung befragt. Das Verhalten der Kinder wurde über standardisierte Fragebögen erfasst und analysiert. Stergiakouli et al kommen in dieser Studie zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft insgesamt mit einem signifikant höheren Risiko für Verhaltensstörungen (risk ratio: 1,42) und Hyperaktivität (risk ratio: 1,31) bei den Kindern assoziiert war.

Die Einnahme von Paracetamol in der 32. Schwangerschaftswoche war darüber hinaus auch mit emotionalen Problemen (risk ratio: 1,29) bei den Kindern assoziiert. Zunächst erst einmal möchte ich an dieser Stelle betonen, dass diese Studienergebnisse kritisch zu interpretieren sind: Eine Hauptlimitation dieser Studie besteht darin, dass keinerlei Informationen zur eingenommenen Paracetamol-Dosis und zur Einnahmedauer erhoben wurden. Das Verständnis einer Dosis-Wirkungsbeziehung ist aber eine Grundvoraussetzung für eine verlässliche Kausalitätsbewertung.

"Keine Information zur eingenommenen Paracetamol-Dosis möglich"

Ein pharmakologischer Wirkmechanismus für die postulierte schädigende Paracetamol-Wirkung ist bisher gar nicht bekannt. Die in der Studie als „signifikant“ angegebenen Risk ratios für emotionale Symptome, Betragen und Hyperaktivität verringern sich und verlieren teilweise völlig ihre Signifikanz, wenn auf potentiell einflussnehmende Covariablen wie das Alter der Mutter, den sozioökonomischen Status, Rauchen, Alkohol, BMI, psychiatrische Anamnese und Behandlungsindikation adjustiert wird (diese Informationen finden sich nicht in der Originalpublikation, sondern nur online im E-Supplement). Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft und kognitiven Störungen beim Kind lässt sich daher aus diesen Ergebnissen nicht ableiten.

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"Paracetamol ist kein harmloses Medikament"

Sie sehen die Ergebnisse der neuen Studie offenbar sehr kritisch. Heißt das denn nun, dass Sie dafür plädieren Paracetamol in der Schwangerschaft auch weiterhin mehr oder weniger unkritisch einzunehmen? 

Keinesfalls. Paracetamol ist definitiv kein harmloses Medikament. Die Lebertoxizität von Paracetamol in höheren Dosen (ab > 5g/d beim Erwachsenen) ist beispielsweise wissenschaftlich unzweifelhaft bewiesen. Aber schon Paracelsus hat gesagt: Dosis venenum facit – Die Dosis macht das Gift. Eine sehr sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung ist somit grundsätzlich bei der Einnahme von Paracetamol geboten und in der Schwangerschaft sollte die Indikation zur Schmerzbehandlung mit Paracetamol noch kritischer gestellt werden. Auf der anderen Seite können behandlungsbedürftige Schmerzen und Fieber den Schwangerschaftsverlauf ebenfalls sehr kritisch beeinflussen. Auch eine Nichtbehandlung kann somit ein nicht unerhebliches Risiko für das Ungeborene darstellen und schlimmstenfalls zu einem Abort führen.   

Welche Dosierungsempfehlungen bezüglich der Selbstmedikation können Zahnärzte schwangeren Patientinnen geben?

Zunächst rate ich grundsätzlich jeder Schwangeren von einer unkontrollierten Selbstmedikation ab. Eine strenge Nutzen-Risikoabwägung kann am besten durch einen Arzt erfolgen. Ferner besteht die Möglichkeit, sich von einem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie gezielt beraten zu lassen. Eines der bekanntesten in Deutschland ist das der Charité-Universitätsmedizin Berlin, siehe im Internet die ausgezeichnete Website: www.embryotox.de. Bis zur Schwangerschaftswoche 28 kann alternativ zu Paracetamol der Wirkstoff Ibuprofen zur Schmerzbehandlung eingesetzt werden. Danach bleiben praktisch nur Opioide. Die Empfehlung zur kritischen Nutzen-Risiko-Abwägung bleibt aber völlig unberührt.    

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"Acetylsalicylsäure sollte von Zahnärzten nicht zur Analgesie eingesetzt werden"

Ist ein pharmakologischer Wirkmechanismus vorstellbar, wie Paracetamol bei Kindern kognitive Störungen auslösen könnte, wenn doch das Risiko von Fehlbildungen und Feto- oder Neonataltoxizität nicht erhöht ist?

Nein. Ein pharmakologischer Wirkmechanismus für die postulierte schädigende Paracetamol-Wirkung ist in der Schwangerschaft im Hinblick auf spätere kognitive Störungen beim Kind bisher nicht bekannt. Ferner deuten die neuen Studienergebnisse von Stergiakouli zwar auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für kognitive Störungen beim Kind bei mütterlicher Paracetamoleinnahme in der Schwangerschaft hin, beweisen dieses aber keinesfalls.

Insbesondere bleibt völlig unklar, ob eine Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen Paracetamol und späteren Verhaltensstörungen beim Kind besteht. Die neuen Studienergebnisse lassen aber eben leider auch keine sicher ungefährliche Dosisempfehlung zur Einnahme während der Schwangerschaft ableiten, die sicher ohne Folgen beim ungeborenen Kind bleibt.     

Welche Schmerzmittel sollten Schwangere in der Selbstmedikation dringend vermeiden?

Paracetamol bleibt bei richtiger Indikationsstellung vorläufig Mittel der Wahl. Grundsätzlich gilt: Weniger ist unter Umständen mehr, aber die Nichtbehandlung von Schmerzen in der Schwangerschaft birgt ebenfalls ein Risiko. Also bleibt die Auswahl zwischen Teufel oder Belzebub.

Welche Schmerzmittel sollten Zahnärzte vermeiden?

Insbesondere Acetylsalicylsäure sollte von Zahnärzten nicht zur Analgesie eingesetzt werden, schon gar nicht in der Schwangerschaft, da dadurch gleichzeitig das Blutungsrisiko erhöht wird. 

Welche Eingriffe dürfen Zahnärzte während der Gravidität durchführen?

Nach Möglichkeit sollte während der Schwangerschaft auf schmerzhafte zahnärztliche Eingriffe wenn irgend möglich verzichtet werden.

Die Fragen stellte Daniela Goldscheck.

  

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