Studie

Was uns der Molar des Neandertalers verrät

sf/pm
Nachrichten
Ein internationales Forscherteam hat untersucht, wie Ernährungsstrategien die menschliche Entwicklung beeinflusst haben. Wichtige Erkenntnisse gewannen sie aus den Mikroabnutzungsspuren der fossilen Molaren.

Über Hunderttausende von Jahren entwickelten sich die Neandertaler erfolgreich im westlichen Eurasien und überlebten selbst die Eiszeit. Doch vor rund 40.000 Jahren, auf dem Höhepunkt der letzten Kaltzeit und der ersten Einwanderung moderner Menschen nach Europa, verschwanden die Neandertaler. Was zu ihrem Niedergang führte, ist nicht geklärt.

Dr. Sireen El Zaatari vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen ist mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der Stony Brook University und der University of Arkansas in Fayetteville in den USA der Frage nachgegangen, welchen Einfluss Ernährungsstrategien auf die menschliche Entwicklung genommen haben könnten.

Der Neandertaler: faul - fleißiger Mensch der Moderne

Mithilfe der Analyse von Mikroabnutzungsspuren der Backenzähne an fossilen Überresten von Neandertalern und jungpaläolithischen Menschen zogen sie Rückschlüsse auf die Art der Nahrung und stellten einen zeitlichen Zusammenhang zu den jeweils herrschenden klimatischen Bedingungen her. Dabei ergaben sich deutliche Verhaltensunterschiede: Die Neandertaler passten ihre Ernährung an einfacher zugängliche Nahrungsressourcen an, während die modernen Menschen sich auch um schwerer verfügbare Nahrung bemühten. Bei ihnen waren Änderungen möglicherweise stärker von der Nutzung neuer Technologien geprägt. Die Forscher gehen davon aus, dass die unterschiedlichen Ernährungsstrategien den modernen Menschen des Jungpaläolithikums gegenüber den Neandertalern Vorteile verschafft haben könnten.

Untersucht wurden fossile Molaren von 52 Menschen

„Eigentlich hätte man erwartet, dass die Neandertaler besser an die zeitweise sehr rauen Klimabedingungen im eiszeitlichen Europa angepasst waren“, sagt El Zaatari. „Sie haben sich dort entwickelt, während der anatomisch moderne Mensch in Afrika entstand und erst viel später nach Europa eingewandert ist.“ Die Forscherin kann über die Art und Stärke der Abnutzung von Backenzähnen Rückschlüsse auf die Ernährung ziehen.

Überreste - wie die Molaren - von insgesamt 52 Menschen aus Europa und den Mittelmeerländern gingen in die Studie ein, von Neandertalern und jungpaläolithischen modernen Menschen von 37 Fundstätten aus dem Zeitraum von 500.000 bis 12.000 Jahren vor heute. „Der Wechsel von Kalt- und Warmzeiten formte die Landschaft immer wieder neu, mal gab es offene Steppenlandschaften, mal Wälder“, beschreibt El Zaatari.

Zahnabnutzungsmuster geben Hinweise

Ihre Untersuchungen legen nahe, dass sich die Neandertaler als anpassungsfähig erwiesen: In Steppenlandschaften ernährten sie sich vorrangig von Fleisch. Wälder boten dagegen viel pflanzliche Nahrung, die offenbar ebenfalls von den Neandertalern genutzt wurde. In bewaldeten Landschaften schloss die Nahrung der Neandertaler neben Fleisch einen beträchtlichen Anteil von Pflanzen ein wie zum Beispiel harte Samen und Nüsse, die komplexere Abnutzungsmuster auf den Zähnen hinterließen.

„Diese Umstellungen haben die Neandertaler über lange Zeit erfolgreich gemeistert“, sagt die Forscherin. Bei den modernen Menschen konnte sie Änderungen in der Ernährungsweise stärker an der kulturellen Entwicklung festmachen. Sie schienen auch bei kleinen Umweltänderungen an ihrem Speiseplan festzuhalten und behielten auch in Steppenlandschaften einen vergleichsweise hohen Anteil an pflanzlicher Nahrung bei. „Dafür entwickelten sie Werkzeuge, um etwa an Pflanzenknollen im Boden zu kommen.“

Fazit: Die modernen Menschen hatten die bessere Ernährungsstrategie

Die Studienergebnisse stützten nicht die häufige Annahme, dass die Neandertaler unflexibel gewesen seien und dadurch Nachteile erlitten. Doch vor ungefähr 42.000 Jahren bekamen sie zusätzlich Konkurrenz durch die Ausbreitung des modernen Menschen. „Wenn sich die unterschiedlichen Ernährungsstrategien bei der Begegnung bereits etabliert hatten, könnten die modernen Menschen im Vorteil gewesen sein“, meint Sireen El Zaatari.

Sireen El Zaatari, Frederick E. Grine, Peter S. Ungar, and Jean-Jacques Hublin: Neandertal versus Modern Human Dietary Responses to Climatic Fluctuations. PLOS ONE, 27. April 2016.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.