Medizin

Worauf es auf Intensivstationen ankommt

ck/pm
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Was macht eine gute Intensivstation aus? Diese Frage stellen sich alle Einrichtungen dieser Art und manche von ihnen orientieren sich an der Sterblichkeitsrate. Je niedriger sie ist, desto besser die Qualität? Genau dieser Qualitätsindikator ist problematisch.

Prof. Rainer Röhrig, Leiter der Sektion Informations- und Medizintechnik der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI): „Unser Ziel darf es nicht nur sein, Leben unter allen Umständen zu erhalten, vielmehr sollte es darum gehen, die Lebensqualität zu erhalten oder unter Umständen auch ein würdiges Sterben zu ermöglichen. Es gibt schwerkranke oder auch sehr alte Patienten, die bestimmte lebenserhaltene Maßnahmen nicht wollen und deshalb auch sterben dürfen.“

Entscheidend ist die Prognose

„Entscheidend ist dabei immer die Prognose“, sagt der Experte des Departments Versorgungsforschung der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. „Das Überleben darf weder in die Qualitätsbewertung noch in die Leistungsvereinbarungen eines Krankenhauses einfließen, weil dadurch falsche Anreize gesetzt werden. Ein viel wichtigerer Qualitätsindikator ist es, sich auf die Infrastruktur und vor allem die einzelnen Prozesse und Abläufe auf einer Intensivstation zu konzentrieren.“

Das Stichwort lautet hier: multiprofessionelle Visiten. Dabei handelt es sich um einmal tägliche Visiten, an denen alle für einen Patienten zuständigen Fachkräfte teilnehmen sollen. Dazu gehören Ärzte und Pflegekräfte, aber auch Ergo-, Physio- und Sprachtherapeuten. „Alle gemeinsam sollten sich für jeden Patienten Tagesziele setzen und diese dokumentieren, damit diese schichtübergreifend verfügbar ist“, sagt Röhrig.

Dokumentation zwingt zum Dialog

„Die Dokumentation zwingt zu einem interdisziplinären und interprofessionellen Dialog und einen Konsens, der einsehbar ist und auf den sich alle berufen können, sich aber auch daran halten sollten und nur in begründeten Fällen abweichen. Wenn eine Therapie für alle Beteiligten nachvollziehbar ist, dann werden weniger Fehler gemacht. Die Zeit, die man durch vergeudete Rückfragen und Diskussionen einspart, steht danach für individuelle Pflege, Diagnostik oder Therapieentscheidungen zur Verfügung. Es klingt paradox, aber man kann durch diesen Standard individueller auf den Patienten eingehen.“

Dabei sei es überaus sinnvoll, sich an die international anerkannten Richtlinien zu halten. Ein gutes Beispiel dafür sei die häufig notwendige Beatmung eines Patienten. Hier ist es Röhrig zufolge ratsam, jeden Tag einen so genannten Sedierungsstopp durchzuführen, um zu sehen, ob der Patient wach wird und von alleine wieder atmen kann.

„Häufig besteht bei Patienten und Angehörigen eine Angst vor der „Maschinenmedizin“ auf der Intensivstation. Es ist wichtig zu erklären, dass in der Intensivmedizin die Medizintechnik vor allem lebenswichtige Organfunktionen überwacht oder ersetzt und damit dem Menschen die Möglichkeit zur Heilung bietet. Wir müssen akzeptieren, dass die moderne Medizintechnik ein unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Intensivstation ist“, sagt  er.

Zeit gewinnen bis Prognose möglich ist

„Das Ziel ist nicht, einen Menschen möglichst lange am Leben zu erhalten. Aber wir müssen Zeit gewinnen, bis eine Prognose möglich ist. Wie lange dies dauert, wird derzeit von der Öffentlichkeit an dem früheren Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher verfolgt.“

Bei jeder Intensivstation handele es sich um eine hochinvasive, hochspezialisierte und hochtechnisierte Einrichtung, die Voraussetzungen schafft, damit es bei einem Patienten zu Heilungsprozessen kommt. „Dazu gehört natürlich auch die menschliche Zuneigung“, sagt Röhrig. „Das Personal muss sich nicht nur mit der teilweise sehr komplizierten Technik auskennen, es sollte auch über die notwendige Sensibilität bei Patienten und Angehörigen verfügen. Deshalb sind regelmäßige Fortbildungen und vor allem klar definierte Therapieziele so wichtig.“

Ein entscheidendes Werkzeug : das Peer Review-Verfahren

Ein entscheidendes Werkzeug zur Verbesserung der Versorgung von Patienten auf Intensivstationen ist das Peer Review-Verfahren für die Intensivmedizin. „Dabei handelt es sich um die Bewertung einer Intensivstation unter anderem von konsentierten Qualitätsindikatoren, zum einen von den Mitarbeitern selbst und zum anderen durch externe Experten“, erklärt Prof. Elke Muhl, Präsidentin der DIVI. „Personal, Organisation, Patientenbelange und die Qualität der Behandlung werden genau unter die Lupe genommen, um so Stärken und eventuelle Schwächen aufzulisten und dann zu beheben.“

Das Thema „Qualitätsindikatoren auf Intensivstationen“ ist ein Schwerpunkt auf dem DIVI-Kongress 2014, der unter dem Motto „Humanität und Technologie“ vom 3. bis 5. Dezember im CCH Congress Center in Hamburg stattfindet.

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