Diskussion um Pharma-Honorare

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Nachdem 54 Pharmahersteller ihre Zahlungen an deutsche Ärzte und Heilberufler offengelegt haben, titelte "Spiegel Online" "Vielen Dank für die Millionen" und veröffentlichte unter der Fragestellung "Wie viel Geld hat mein Arzt angenommen?" eine interaktive Datenbank. Wie aussagekräftig sind die Zahlen? Über Sinn und Unsinn der Debatte.

575 Millionen Euro zahlten 54 große Pharmafirmen im vergangenen Jahr an Ärzte, Apotheker und andere Heilberufler - dies legten sie selbst im Rahmen der „Freiwilligen Selbstkontrolle Arzneimittelindustrie“ (FSA) Ende Juni offen. Ziel war, transparent zu machen, wer in welcher Höhe von dem Geld profitierte.

119 Millionen Euro davon flossen an mehr als 71.000 Ärzte und Heilberufler für Vortragshonorare, Fortbildungen und Reisespesen. Im Durchschnitt erhielt ein Mediziner 1.646 Euro. Ein knappes Drittel dieser Ärzte hat zugestimmt, dass die an sie geleisteten Zahlungen veröffentlicht werden dürfen. Das Nachrichtenmagazin "Spiegel Online" führte daraufhin gemeinsam mit dem Recherchebüro "Correctiv" die Daten zusammen und baute eine Gesamtdatenbank auf. Über eine Suchmaske können Name oder Ort eines Arztes oder Apothekers eingegeben und eine Liste der Zahlungen abgerufen werden, deren Veröffentlichung er zugestimmt hat.

Kleine Revolution oder halbherziger Versuch?

Die Datenbank macht Informationen transparent, die bisher nicht direkt zugänglich waren. Beispielsweise, wie hoch die Summen sind, die einzelne Ärzte insgesamt bekommen: Top-Verdiener der in die Veröffentlichung einwilligenden Ärzte war mit rund 200.000 Euro der Neurologe Hans-Christoph Diener, der bis vor Kurzem am Uniklinikum Essen tätig war. Danach folgte mit knapp 150.000 Euro der Virologe Jürgen Rockstroh vom Uniklinikum Bonn. Auf Platz drei schaffte es der Bochumer Diabetologe Michael Albrecht Nauck mit 128.000 Euro und auf Platz vier der Diabetologe Thomas Forst aus Mainz mit 100.000 Euro.

Für viele - vor allem Medienvertreter - sei es eine "kleine Revolution", dass die Zahlen nun auf dem Tisch liegen. So heißt es bei Spiegel Online wörtlich: "Die neuen Zahlen gewähren jetzt erstmals einen tieferen Einblick in diese Verstrickungen zwischen Medizinern und Pharmaunternehmen, die längst nicht jeder Arzt für problematisch hält. Das ist ein bedeutender Fortschritt."

Fehlende Transparenz: Das Problem mit den Daten

Nach Angaben des Recherchebüros Correctiv hat sich ein Team aus rund zehn Datenjournalisten und Autoren mit der Aufbereitung der Daten beschäftigt. Das Problem: Die aufgeführten Zahlungen in den Transparenz-Listen der Pharmaunternehmen sind keineswegs vollständig. Da Heilberufler jeder Veröffentlichung zustimmen müssen, können sie große Zahlungen verstecken, indem sie nur bei kleineren Summen einwilligen. Auf diesem Weg können sie Transparenz vortäuschen, da sie in der Veröffentlichungsliste erscheinen. Auch können Ärzte oder Apotheker ihre Einwilligung zur Veröffentlichung jederzeit zurückziehen – es gab bereits Veränderungen in den Transparenzlisten.

Des Weiteren erfasst die Datenbank von Spiegel Online nicht alle Zahlungen der Industrie an Ärzte. So wurden Honorare für die Durchführung von Anwendungsbeobachtungen und Studien für neue Medikamente nur in ihrer Summe erfasst. Aus dem Topf von 575 Millionen Euro sollen rund 366 Millionen Euro an Ärzte und Institutionen für Forschungs- und Entwicklungsarbeit gezahlt worden seien, heißt es in einem Hintergrundartikel von Correctiv. Welcher Anteil davon nur an Ärzte ging, ist nicht bekannt.

Nicht zu vergessen: Nur 29 Prozent der Ärzte haben nach den Berechnungen von Correctiv und Spiegel Online der Veröffentlichung ihres Namens überhaupt zugestimmt.

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Pharmafirmen sponsern Ärzte - ja und?

Die meisten Mediziner glauben, unbestechlich zu sein, auch wenn sie von der Industrie Zahlungen erhalten haben. Welchen Einfluss Pharmafirmen dennoch nehmen könnten, ist schwer fassbar und seit Jahren Streitpunkt der Experten. Konsens scheint zu sein, dass jede finanzielle Verbindung von Ärzten zur Industrie die Gefahr birgt, dass sich ein Interessenkonflikt auf die Urteilskraft eines Mediziners auswirken "könnte" - es muss nicht so sein - es besteht aber dieses Risiko.

Demgegenüber steht der gesellschaftliche Nutzen, den die Pharmaunternehmen für sich beanspruchen. So sind Pharmafirmen bei der Entwicklung und den Tests neuer Wirkstoffe oft auf die Unterstützung und Beratung praktizierender Ärzte angewiesen - die Zusammenarbeit sei also notwendig.

"Ich habe nichts zu verbergen"

Neurologe Hans-Christoph Diener gilt laut Datenbank als Top-Verdiener: Er hat im Jahr 2015 rund 200.000 Euro von Pharmafirmen bekommen. Gegenüber Spiegel Online sagte er im Interview, den Großteil seiner Einnahmen erhalte er für die Beratung bei großen Medikamentenstudien. Außerdem trete er als führender Neurologe in Deutschland häufig als Redner auf. Im Jahr 2015 habe er neben den 200.000 Euro von Pharmafirmen zusätzlich etwa 75.000 Euro für Bücher, Artikel und die Tätigkeit als Herausgeber erhalten. Von dieser Summe seien 265.000 Euro abgeführt worden für Klinikstellen im Kopfschmerzzentrum, Schwindelzentrum und in der Neurologie - also mehr als 96 Prozent. Sein Fazit: "Ich habe nichts zu verbergen", sagt Diener, "ich habe immer mit offenen Karten gespielt."

"Dollars for Docs": Vorbild aus den USA

Die Datenbank stellt einen Schritt in Richtung der Plattform „Dollars for Docs“ dar, in der Zahlungen an Ärzte in den USA veröffentlicht werden - vollständig. Denn dort sind seit 2013 alle Unternehmen durch den "Physician Payment Sunshine Act" gesetzlich verpflichtet, einer Behörde Zahlungen an Ärzte zu melden. Neben dem Namen umfassen die Angaben den Grund für die Zahlung und die Höhe. Die Daten werden in eine zentrale, öffentlich zugängliche und durchsuchbare Datenbank eingepflegt, in der jeder nach seinem Mediziner suchen kann. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, hatte dies auch für Deutschland gefordert. Alternativ sollten Pharma­unternehmen auf die Zusammen­arbeit mit Ärzten verzichten, die nicht genannt werden wollten, sagte er dem Deutschen Ärzteblatt. 

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