EU soll gegen hormonstörende Stoffe vorgehen

Petra Spielberg
In einer an die EU-Kommission gerichteten Erklärung machen Wissenschaftler aus zahlreichen Nationen auf die Risiken sogenannter Endokriner Disruptoren (ED) aufmerksam.

Die in Lebensmittelverpackungen und alltäglichen Gebrauchsgegenständen vorkommenden Substanzen stehen im Verdacht, Erkrankungen des Hormonsystems zu verursachen. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) begrüßt den Vorstoß und rät Verbrauchern zu einem zurückhaltenden und vorsichtigen Umgang mit ED.

Derzeit gibt es Schätzungen zufolge rund 800 Substanzen, die in Wechselwirkung mit dem menschlichen Hormonsystem und Stoffwechsel treten und gesundheitliche Störungen bis hin zu schwerwiegenden Erkrankungen hervorrufen können. Solche Endokrinen Disruptoren (ED) befinden sich zum Beispiel in Kunststoffverpackungen für Lebensmittel, Kosmetika, elektronischen Geräten, aber auch in Medizinprodukten  wie Blutbeuteln, Kathetern oder Infusionsflaschen.

Neben chemischen Substanzen wie Pestizide, PCB, Konservierungsmittel oder Bestandteile von Druckfarben und Sonnenschutzmitteln sowie Bausteine und Weichmacher, die in Kunststoffen Verwendung finden, darunter vor allem Bisphenol A oder Phtalate, können sich aber auch Pflanzeninhaltsstoffe wie die im Soja vorkommenden Isoflavone störend auf das Hormonsystem auswirken.

Manche Stoffe wirken wie Hormone

Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) weist bereits seit Jahren auf mögliche Gesundheitsgefährdungen durch ED hin. Erste Forschungen machten deutlich, dass Endokrine Disruptoren starke Auswirkungen haben können, erklärt der Bochumer Hormonspezialist Prof. Helmut Schatz. Einige von ihnen wirkten wie Hormone, andere blockierten einen Hormonrezeptor und verhinderten so, dass körpereigene Hormone andocken und wirksam werden können. Wieder andere störten die Produktion oder die Umwandlung körpereigener Hormone.

Weichmacher zum Beispiel stünden einer amerikanischen Studie zufolge im Verdacht, bei Frauen eine vorzeitige Menopause einzuleiten. Bei der Entwicklung des kindlichen Nervensystems spielten ED vermutlich ebenfalls eine große Rolle, so der Hormonexperte. „Sie können zu Genitalmissbildungen bei Jungen führen, die Samenbildung stören oder auch das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom bei Kindern fördern und bei endokrin-bezogenen Krebsformen von Prostata, Brust und Schilddrüse beteiligt sein.“

Bei rund 1.000 Probanden mit Diabetes Typ 2 konnten schwedische Forscher zudem zahlreiche Abbauprodukte von Phtalaten im Körper nachweisen. Sie folgerten daraus, dass die Weichmacher den Glukosehaushalt negativ beeinflussen. "Anscheinend hemmen bestimmte Phtalate die Bildung von Insulin, andere begünstigen dagegen vermutlich eine Resistenz gegen das Hormon“, so Schatz.

Wissenschaftler fordern strengere Regeln

Aufgrund der potenziellen Risiken haben sich 89 Wissenschaftler aus zahlreichen Nationen nun mit einer Deklaration an die Europäische Union (EU) gewandt, in der sie strengere Regularien für die industrielle Verwendung von ED und eine Ausweitung der Forschung fordern. Und auch das Europäische Parlament drängt die Brüsseler Behörde, endlich zu handeln.

Bis Ende dieses Jahres hat die EU-Kommission noch Zeit, ein Konzept für die Bewertung und das Risikomanagement von hormonell schädlichen Chemikalien auf der Grundlage der Definition der Weltgesundheitsorganisation vorzulegen. Daraus sich ergebende neue Rechtsvorschriften sollen dann dazu dienen, die Exposition insbesondere von Risikogruppen wie Schwangere, Säuglinge, Kinder und Jugendliche zu verringern. 

Zwar ist es der Industrie bereits EU-weit untersagt, Weichmacher in Kinderspielzeug zu verwenden. Die Union schreibt darüber hinaus eine Kennzeichnungspflicht für Phtalate in sonstigen Gebrauchsgegenständen vor. Eine verbindliche Definition von hormonstörenden Substanzen und möglicher Gesundheitsrisiken gibt es bislang allerdings nicht.

Die Stoffe sind nicht einheitlich

Die Schwierigkeit hierbei besteht dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zufolge unter anderem darin, dass es sich bei den ED nicht um eine einheitliche Stoffgruppe handelt. „Die einzelnen Stoffe können strukturell und mechanistisch sehr unterschiedlich sein. Sie müssen daher toxikologisch differenziert betrachtet werden, um ein gesundheitliches Risiko abzuschätzen“, so das BfR.

Die Unterzeichner der Deklaration bemängeln dagegen, dass für eine ganze Reihe der verdächtigen Stoffe überhaupt keine Testmethoden zur Verfügung stünden oder aber dass bei den testbaren Substanzen nicht die derzeit effektivsten Methoden angewendet würden, mit der Folge, dass die Datenlage ungenügend sei.

Besonders besorgniserregend sei ferner die Einschätzung, dass niedrige Belastungsmengen mit ED ungefährlich seien. „Eine große Zahl der Endokrinen Disruptoren beginnt schon bei kleiner Dosis zu wirken“, bestätigt Schatz. Es bestehe nämlich keine Schwellenwert, unter dem die Substanzen ungefährlich seien: Ihre schädigende Wirkung addiere sich vielmehr über längere Zeiträume.

Besser Frisches als Fertiges verzehren

Der Hormonexperte rät daher dazu, im Umgang mit Materialien, die ED enthalten können, zurückhaltend zu sein. Das heißt: So wenig Fertigkost wie möglich verzehren, auf in Plastik Verpacktes verzichten, statt Konserven besser frisches Gemüse vom Markt kaufen und Getränke aus Plastikflaschen oder Verbundverpackungen meiden.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.