Experte Prof. Jörg Debatin sieht noch Informationslücken

"Ich würde mir wünschen, dass die ePA ins Fernsehen kommt!"

silv
Am 1. Januar 2021 startet die elektronische Patientenakte (ePA). "Ich würde mir wünschen, dass die ePA ins Fernsehen kommt, am besten in den zehn Sekunden vor der ‚Tagesschau‘“, sagt Prof. Jörg Debatin, Leiter des „health innovation hub“ (hih) des Bundesgesundheitsministeriums (BMG).

Die ersten sechs Monate operiert die ePA im „Soft Launch“-Modus in zwei Testregionen.  Debatin sieht allerdings noch Informationslücken. Im Rahmen einer virtuellen Konferenz des Digitalverbandes Bitkom forderte er in dieser Woche deshalb mehr Aufklärung und eine „Entmystifizierung“ der ePA.

 "Ein kurzer, informativer Werbespot könnte künftige Nutzer überzeugen. Für medizinisches Personal gibt es ePA-Dialogforen: Diese werden zunehmend bestückt und mit Videoclips ergänzt“, so Debatin.

Gestartet wird soft

Am 1. Januar 2021 startet das Projekt mit einem „Soft Launch“. „Die Krankenkassen haben ihre Hausaufgaben gemacht und werden dann ePAs zur Verfügung stellen. Es gibt zwei großflächige Pilotregionen, Westfalen-Lippe und Berlin, die mit der nötigen technischen Infrastruktur ausgestattet sind. Mit den dort gemachten Erfahrungen kann das eine oder andere nachgeschärft werden. Im Sommer wird die ePA dann flächendeckend in ganz Deutschland verfügbar werden.“

"Selbstverständlich werde ich mitmachen!"

Der Radiologe ist von der Bedeutung der ePA überzeugt: „Selbstverständlich werde ich mitmachen!“ Als Arzt weiß er, wie er seine Kollegen ins Boot holen kann: „Wichtig für den Erfolg der ePA ist auch die Akzeptanz der Leistungserbringer. Am Ende wird entscheidend sein, dass der Nutzen der elektronischen Patientenakte offensichtlich wird. Deswegen ist es uns wichtig, dass der Dialog mit der Ärzteschaft geführt wird. In erster Linie sind sie es, denen die ePA die Behandlung erleichtert und sie so sicherer macht. Wenn der behandelnde Arzt zum Beispiel aus der ePA weiß, dass der Patient Allergiker ist, kann das lebensrettend sein.“

Das und weitere Besonderheiten des Patienten sind Informationen, die der Notarzt heute nirgends schnell findet, sondern mühsam erfragen muss. Ein weiteres Beispiel ist die Niereninsuffizienz: „Diese Information ist zum Beispiel für einen Radiologen wichtig, denn der Patient, der daran leidet, darf kein Kontrastmittel bekommen.“

Kritik an der Datensicherheit

Die Vorbereitungsphase der ePA wird von Kritik begleitet. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnt seit Monaten vor der aus seiner Sicht mangelnden Sicherheit er elektronischen Patientenakte. Gemäß Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) wird es zum Beispiel ab Januar 2021 zunächst nur möglich sein, die Akte insgesamt gegenüber Leistungserbringern freizugeben. Erst ab Jahresbeginn 2022 soll der Versicherte eine Auswahl darüber treffen können, wer welche Daten einsehen kann. Ein weiterer Kritikpunkt: Wer kein Smartphone oder Tablet besitzt, kann nicht eigenständig in seine ePA Einsicht nehmen.

"Diese Position ist realitätsfemd!"

Debatin gegenüber zm-online: „Diese Position verstehe ich wirklich nicht – ich halte sie für realitätsfremd. Ich wünsche mir, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte seine Position hier auch mit Blick auf die Versorgungsrealität und den Gesundheitsschutz nochmal überdenkt.“ Debatin erläutert, warum Kelber falsch liegt: „Ab dem ersten Tag ist die ePA mit einer Dreifacheinwilligung versehen. Das bedeutet, dass Patienten zum einen aktiv entscheiden können, überhaupt eine ePA anlegen zu lassen. Punkt 2: Die Patienten müssen aktiv entscheiden, bestimmte Dokumente in die ePA aufnehmen zu lassen, und legen dann, Punkt 3, fest, welcher Arzt die ePA anschauen darf. Lediglich eine weiterführende Feinsteuerung, mit der Patienten steuern können, welches Einzeldokument der freigeschaltete Arzt anschauen kann, kommt erst ab 2022.“

Die Einzigen mit einer Datenautobahn für Gesundheitsdaten

Als Grund für die Erweiterung 2022 nennt er die hohe technische Herausforderung der Umsetzung der Funktion. Und die hohen Sicherheitsansprüche der Deutschen, mit denen sie im europaweiten Vergleich weit oben liegen.

In anderen Ländern, zum Beispiel Finnland, ist die Lage anders: „Dort gilt dieselbe DSGVO, aber die Einstellung der Gesellschaft ist eine andere. Wenn dort jemand Gesundheitsleistungen aus dem solidarisch finanzierten System in Anspruch nimmt, geht man davon aus, dass die Daten der Allgemeinheit nutzen sollen, weshalb sie der Wissenschaft anonymisiert ohne weitere Einwilligung verfügbar gemacht werden. In Deutschland haben wir ein strengeres Verständnis im Umgang mit Daten. Auch deshalb haben wir mit der Telematikinfrastruktur als weltweit einziges Land eine eigene Datenautobahn für Gesundheitsdaten.“

Es gibt keine absolute Sicherheit im Umgang mit Daten

Er betont: „Ich bin ein Fan von Datenschutz, an diesen deutschen Werten sollte man nicht rütteln. Dabei muss aber vollkommen klar sein: Es gibt keine absolute Sicherheit im Umgang mit Daten. Es braucht ein angemessenes Verhältnis zwischen Datensicherheit und Gesundheitsschutz. Datenverfügbarkeit bedeutet auch Patientensicherheit. In Deutschland kann der Patient auch deshalb selbst entscheiden, ob er eine ePA nutzen möchte. Der Gesetzgeber sichert die Freiheit dieser Entscheidung über ein Diskriminierungsverbot ausdrücklich ab.“

Der Patient hat hier drei Möglichkeiten

 „Wer nicht will, dass sein Zahnarzt Kenntnis der psychischen Leidensgeschichte erhält, hat im Umgang mit der ePA drei Möglichkeiten: Man wartet mit der Anlage einer ePA noch ein Jahr, oder legt eine ePA an und der Patient entscheidet, dort die Befunde zu seiner psychischen Leidensgeschichte nicht aufzunehmen beziehungsweise den Psychiater nicht freizuschalten, oder als dritte Möglichkeit: Man berechtigt den Zahnarzt nicht, auf die ePA zuzugreifen. Damit bestehen wirklich ausreichend Möglichkeiten, die Privatsphäre zu schützen. Unabhängig davon ändert sich nichts an dem bestehenden Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient: Die berufsmäßige Schweigepflicht bleibt natürlich weiterhin bestehen.“

Wer seinem Zahnarzt so dermaßen misstraut, sollte ihn wechseln

Mit grundsätzlichem Misstrauen unterstelle man dem Zahnarzt quasi, dass er kriminell sei – so der Patient befürchte, der Zahnarzt könnte die Informationen des Psychologen oder Psychiaters lesen. Wenn man seinem Zahnarzt allerdings dermaßen misstraue, wäre es vielleicht ratsam, den Arzt zu wechseln, so Debatin.

Ab 2022 darf der Patient entscheiden, welcher Arzt welche Dokumente ansehen darf – und welche nicht. Außerdem ist langfristig ein Ausbau der ePA geplant: „Die ePA wird sich als digitales Instrument weiterentwickeln.“ 

Man fängt bei einem Wechsel nicht bei Null an

Die ePA wird für Zahnärzte den Alltag erleichtern, meint Debatin. „Das Zahnbonusheft wird digital verfügbar sein“, sagt er, „und wenn der Patient zustimmt, kann der Zahnarzt zum Beispiel Röntgenbilder oder Befundberichte in die ePA schieben. Und andersrum kann der Zahnarzt bei komplexeren Diagnosen, die womöglich auch die Zahngesundheit mit beeinflussen oder von ihr beeinflusst werden, sein Wissen mit einbringen, und so zu einer ganzheitlichen, besseren Behandlung beitragen. Aber auch so triviale Dinge, wie der Zahnarztwechsel - hier entfällt nun das Mitnehmen der Patientenakte, weil die wichtigsten Informationen dann ja über die ePA verfügbar sind. Man fängt bei einem Wechsel also nicht bei Null an.“ 

So bereitet sich die gematik auf die ePA vor 

So bereitet sich die gematik auf die ePA vor 

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.