Institut der deutschen Wirtschaft

Immer mehr Pflegebedürftige: Versorgungslücke wird größer

nb/pm
Bis 2035 könnten bereits vier Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen sein. Das zeigt eine Simulationsrechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Die Lücke an Pflegefachkräften werde stetig größer.

Bundesweit waren 2015 rund drei Millionen Menschen pflegebedürftig, rund 50 Prozent mehr als im Jahr 1999. Vor allem in Ostdeutschland ist laut IW-Simulationsrechnung der Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich hoch: In Mecklenburg-Vorpommern sind es rund fünf Prozent, in Sachsen mehr als vier Prozent – der Bundesdurchschnitt liegt bei 3,7 Prozent.

Zahl der Pflegefachkräfte müsste um 44 Prozent steigen

Um die Pflege dieser Menschen auch in Zukunft gewährleisten zu können, müsste demnach die Zahl der Pflegefachkräfte deutschlandweit stark ansteigen – bis 2035 auf rund eine halbe Million. Dies entspräche einem Plus von gut 44 Prozent im Vergleich zu heute. Laut IW werde die Lücke zwischen Bedarf und Realität stetig größer: "Die Zahl der Altenpfleger steigt zwar derzeit an, doch langsamer als der Bedarf. Die Lücke wird größer", kommentiert IW-Wissenschaftlerin Susanna Kochskämper.

Schon jetzt können offene Stellen in der Pflege nicht besetzt werden, betont IW-Direktor Prof. Michael Hüther: "Derzeit kommen auf je 100 gemeldete Stellen für Altenpfleger gerade einmal 22 arbeitslose Fachkräfte – und das vor dem Hintergrund, dass erfahrungsgemäß nur etwa jede zweite offene Stelle auch bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wird." Laut Hüther könne man daher schon heute von einem "anhaltenden" und "bundesweite, flächendeckendem" Fachkräftemangel an Altenpflegern sprechen.

Hüther: "Mehr Gehalt allein reicht nicht mehr!"

Um einen Kollaps zu verhindern, müssten Bund und Länder die Rahmenbedingungen für eine ausreichende Versorgung schaffen und den Pflegeberuf attraktiver machen, fordert Hüther. In der Vergangenheit seien seitens der Politik bereits viele Maßnahmen ergriffen worden, um dem Pflegenotstand entgegenzuwirken. Auch der aktuelle Gesetzentwurf zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz benenne darüber hinaus Vorschläge, wie das Arbeitsumfeld und damit die Bedingungen für die Pflegekräfte attraktiver gestaltet werden können.

"Aber so wie es das Bundesgesundheitsministerium plant, ist ein hohes Maß an Bürokratie mit letztlich wenig oder nur kurzfristigem Nutzen für die Einrichtungen zu befürchten", betont Hüther. "Denn in diesen Bereichen sollen laut Gesetzentwurf einmalig oder zeitlich befristet gedeckelte Budgets bereitgestellt werden, die dann von den Pflegeanbietern abgerufen werden können." So lange sich die Strukturen nicht ändern, seien laut IW auch kurzfristig bereitgestellte Mittel, die durch den Bund verordnet sind, daher nicht nachhaltig.

Anzusetzen sei daher vielmehr bei der Weiterbildung von Pflegehelfern, ebenso biete die Digitalisierung die Chance, Abläufe zu optimieren und Pfleger zu entlasten. "Solche Maßnahmen können aber langfristig nur fruchten, wenn gleichzeitig konsequent Bürokratie abgebaut wird", argumentiert Kochskämper. "Dazu gehören die Reduktion und Bündelung von Dokumentationsanforderungen", ergänzt Hüther. "Dazu gehört aber auch, dass Anbieter bei einem Fachkräfteengpass flexibler Mittel umwidmen können, um beispielsweise in Digitalisierung zu investieren und das bestehende Personal so zu unterstützen."

Bessere Finanzierung durch Pflegevollversicherung?

Laut IW müsse dafür die gesetzliche Pflegeversicherung zunächst in eine "echte Teilleistungsversicherung" ausgebaut werden. Derzeit sind die Leistungsbeträge der Versicherung ausschließlich nominal festgeschrieben, für Pflegegrad 3 zahlt die Versicherung zum Beispiel 1.262 Euro für die vollstationäre Pflege. "Wird dieser Betrag aber im Laufe der Zeit nicht an die tatsächliche Entwicklung der Pflegepreise angepasst, wird die Versicherungsleistung im Laufe der Zeit immer weniger wert", sagt Hüther. 

Außerdem solle politisch durchaus über eine Pflegevollversicherung diskutiert werden. "Wenn eine Vollversicherung eingeführt werden soll, dann bietet sich dringend eine zweite Säule in Form eines kapitalgedeckten Systems an. Ansonsten drohen die Kosten eines weiteren Sozialversicherungssystems durch die Bevölkerungsalterung aus dem Ruder zu laufen", mahnt Hüther.

"Wir geben aber auch zu bedenken, dass im Fall einer Vollversicherung zwar Kostensteigerungen auf alle Versicherten verteilt würden, umgekehrt aber auch alle Bürger verpflichtet würden, einen höheren Teil ihres Einkommens als heute verbindlich in eine Pflegeversicherung einzuzahlen", räumt Hüther ein. "Gerade Geringverdiener haben dann noch deutlich weniger frei zur Verfügung stehende Mittel in der Erwerbsphase – ohne im Pflegefall unbedingt besser abgesichert zu sein als heute."

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