SPD fordert die "Überwindung der Zwei-Klassen-Medizin"
Die SPD fordert die "Überwindung der Zwei-Klassen-Medizin". Im Leitantrag, der von der SPD nach ihrem Sonderparteitag am Sonntag veröffentlicht wurde, heißt es: „Dazu muss sich die Versorgung nach dem Bedarf der Patientinnen und Patienten und nicht nach ihrem Versicherungsstatus richten. Hierzu sind eine gerechtere Honorarordnung, die derzeit erhebliche Fehlanreize setzt, sowie die Öffnung der GKV für Beamte geeignete Schritte.“
Ganz knapp hatte der SPD-Sonderparteitag die Verhandlungen eine Große Koalition gebilligt - und die SPD-Parteiführung dazu aufgerufen, weiter zu verhandeln. So heißt es wörtlich im Leitantrag: "Der SPD-Bundesparteitag stellt [...] gleichzeitig fest, dass mit CDU und CSU bislang in für uns essentiellen Projekten für mehr Sicherheit im Arbeitsleben, für mehr Gerechtigkeit in unseren Sozialsystemen und für eine humanitäre Flüchtlingspolitik nur unzureichende Ergebnisse erreicht worden sind. Wir wollen weitere Fortschritte.“
Die meisten Unionspolitiker beharren dagegen auf den Ergebnissen des gemeinsamen Sondierungspapiers und sprechen sich gegen Neuverhandlungen aus. Unionfraktionschef Volker Kauder (CDU) mahnte zudem zur Eile bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen an. "Die Bürger sind des Wartens müde", zitierte ihn ZEIT Online am Montag. "Jeder Tag, der ohne neue Regierung vergeht, erhöht nicht gerade das Vertrauen in die Parteien und die Demokratie."
In dem 28 Seiten umfassenden Papier nimmt der Bereich Gesundheit bislang lediglich eine halbe Seite - 61 Zeilen - ein (siehe Kasten).
Sondierungspapier: Spitzen von CDU, CSU und SPD zur Gesundheitspolitik
Sondierungspapier: Spitzen von CDU, CSU und SPD zur Gesundheitspolitik
Auszug aus dem Dokument "Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD vom 12.1.2018"
Mögliche Kompromisse könnten im Bereich Gesundheit sein:
Eine Annäherung bei der Honorarordnung
Wechselmöglichkeiten zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung schaffen
Öffnung der GKV für Beamte
"Bei der Gesundheitsversorgung will natürlich auch die Union Verbesserungen", räumte Kauder gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe dann am Dienstag ein. Zwar lehne er die von SPD geforderte Vereinheitlichung der Ärztehonorare ab. "Eine pauschale Angleichung der Ärztehonorare würde vermutlich fünf Milliarden Euro kosten", sagte er. "Die bringt uns auch nicht weiter." Dagegen wären "höhere Honorare für die Behandlung von Kassenpatienten" aus seiner Sicht "ein sinnvolles Instrument".
Die gesundheitliche Expertise wird aufgestockt
Dass die Vereinbarungen im Sondierungspapier womöglich "doch nicht in Stein gemeißelt sind", lassen zudem die jüngsten Personalentscheidungen der Union vermuten: Nach Informationen von Spiegel Online soll nämlich die gesundheitspolitische Expertise für die anstehenden Verhandlungen mit der SPD aufgestockt werden - für die CDU sollen der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann und die Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz, mit verhandeln. Die CSU schickt die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml in die Gespräche.
Nachdem bereits der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, davor warnte, "aus Ideologie ein funktionierendes Gesundheitswesen auf den Kopf zu stellen und gefährliche Experimente einzugehen", äußerte sich jetzt auch der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt. Er appellierte an die SPD, sich nicht länger in der Jagd auf das „Phantom Zwei-Klassen-Medizin“ aufzureiben. Dies diffamiere nicht nur alle im GKV-System tätigen Akteure, sondern verstelle auch den Blick für wirklich sinnvolle und längst überfällige Reformen des Gesundheitssystems.
Eine einheitliche Gebührenordnung ist inakzeptabel
Der von der SPD erhobene Forderung nach einer einheitlichen Gebührenordnung erteilte Reinhardt erneut eine klare Absage. Ein solcher Schritt wäre nicht nur unter rechtlichen und ordnungspolitischen Gesichtspunkten inakzeptabel, sondern täusche auch darüber hinweg, dass das bestehende Honorarsystem der GKV das eigentliche Problem darstelle.
„Wenn vor allem lange Wartezeiten am Quartalsende als maßgebliches Problem für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung und angebliches Indiz für vermeintliche Klassenunterschiede zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung ausgemacht werden, dann ist es an der Zeit, endlich grundlegende Änderungen am Honorarsystem in der GKV vorzunehmen", sagte Reinhardt. Denn wenn etwas – zum Beispiel mit Blick auf die Terminvergabe – zu unterschiedlichen Entwicklungen in den Versicherungssystemen geführt habe, dann seien dies ganz maßgeblich im Honorarsystem der GKV implementierte Fehlsteuerungen.
„Die pauschalierte Bezahlung ärztlicher Leistungen in Quartalen unter dem Deckel eines begrenzten Budgets generiert unnötige Patientenkontakte und führt nicht nur gegen Ende des Quartals zu Terminengpässen. Eine wesentliche Maßnahme zur Behebung dieses Problems, wäre in einem ersten Schritt die Umstellung des Systems auf zum Beispiel halbjährige Abrechnungen bei Anerkennung des bestehenden Honoraranspruches“, sagte der Hartmannbund-Vorsitzende.
Dabei gehe es ausdrücklich nicht um Leistungsreduzierung, sondern um größere Freiräume und mehr Zeit für den einzelnen Patienten. Reinhardt appellierte nicht nur an den Gesetzgeber, sondern vor allem auch an die Krankenkassen, sich dieser Diskussion konstruktiv zu stellen – „bitteschön unter Versorgungsgesichtspunkten und nicht mit dem kurzsichtigen Blick auf mögliche Einspareffekte“, machte Reinhardt klar.
Ende der Budgetierung heißt Ende Zwei-Klassen-Medizin
Wer die Patientenversorgung verbessern wolle, müsse den Honorardeckel bei der Vergütung für gesetzlich Versicherte (GKV) abschaffen, bekräftigte der Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV-Virchow-Bundes: „Ein Ende der Budgetierung heißt Ende der immer behaupteten Zwei-Klassen-Medizin.“ Der Verband reagiert damit auf die jüngsten Äußerungen von Unionsfraktionschef Volker Kauder, der SPD bei den Koalitionsverhandlungen beim Thema Gesundheit entgegenkommen zu wollen.
Wie geht es weiter? Am Montagabend hatten die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horste Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) über das weitere Vorgehen beraten. Demnach sollen die Koalitionsverhandlungen noch in dieser Woche beginnen. Ein genauer Termin steht jedoch noch nicht fest. Ziel der Union ist es, vor Ostern eine stabile Regierung präsentieren zu können. Die SPD will ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag zuvor abstimmen lassen.