Trumpcare kostet 14 Millionen die Versicherung

Claudia Pieper
Jahrelang haben die Republikaner versprochen, Obamacare rückgängig zu machen und durch etwas "viel Besseres" zu ersetzen, wie Präsident Donald Trump es zuletzt formuliert hat. Sein Anfang März vorgelegter Gesetzentwurf fällt allerdings bei Demokraten wie Republikanern durch.

Der Entwurf löste massive Kritik aus - von allen Seiten: von der demokratischen Opposition, aber auch von Konsumentenschutzorganisationen und Interessenvertretungen, ebenso wie vom rechten und vom linken Flügel der eigenen Partei.

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Aus europäischer Sicht erscheint es rätselhaft, warum die unter Ex-Präsident Obama im Jahr 2010 verabschiedete Reform so vielen Amerikanern ein Dorn im Auge ist. Schließlich hat „Obamacare“ viel erreicht:

  • Die Zahl der Nichtversicherten ist seit Inkrafttreten laut „Urban Institute“ um rund 20 Millionen Menschen zurückgegangen. Ihr Anteil hat sich damit von 18 Prozent (2010) auf 11,2 Prozent (2015) reduziert.

  • Krankenversicherungen können potenzielle Kunden nicht mehr wegen Vorerkrankungen und anderer Risikofaktoren ablehnen oder höhere Beiträge verlangen. Sie dürfen außerdem nicht wegen hoher Behandlungskosten kündigen oder Obergrenzen für Auszahlungen festlegen.

  • Versicherungspolicen müssen einen bestimmten Mindestkatalog von Leistungen (inklusive kostenfreier Prophylaxe) umfassen, um einen zuverlässigen Schutz zu gewährleisten. Vorher hatten sich viele Amerikaner aus Kostengründen für Policen entschieden, die ihnen bei Krankheit nicht halfen.

  • Amerikaner, die keinen Versicherungszugang über ihren Arbeitgeber haben, können sich seit 2013 auf digitalen Versicherungsmarktplätzen Policen aussuchen. Je nach Einkommen werden ihnen öffentliche Finanzhilfen gewährt.

  • Einkommensschwache haben in vielen Bundesstaaten von einer Erweiterung der Armenversicherung Medicaid profitiert, die finanziell fast ganz von der Zentralregierung getragen wird. Vorher deckte Medicaid vor allem arme Kinder, Schwangere, Familien und Senioren ab. Seit Inkrafttreten der Reform werden Bundesstaaten ermutigt, auch kinderlose Erwachsene gesundheitlich zu versorgen.

  • Millionen junger Erwachsener haben durch die Reform einen Zugang zur Versicherung erhalten, weil erstmals festgelegt wurde, dass sie bis zum 26. Geburtstag bei ihren Eltern mitversichert sein können.

Warum kam Obamacare beim amerikanischen Volk trotzdem nicht gut an?

Warum war und ist die Gesundheitsreform beim amerikanischen Volk trotzdem nicht gut angekommen?Zu den Hauptgründen zählt die Tatsache, dass die oben genannten Schutzmaßnahmen ihren Preis haben: Um sicherzustellen, dass sich nicht nur Kranke und Menschen mit hohem Krankheitsrisiko versichern, wurde mit Obamacare eine allgemeine Versicherungspflicht eingeführt.

Wer dieser Pflicht nicht nachkam, sah sich bei der Steuerabrechnung mit zunehmenden Strafzahlungen konfrontiert. Viele jüngere gesunde Amerikaner rebellierten dagegen, indem sie lieber die Strafe zahlten als sich Obamacare hatte auf Solidarität gesetzt einem Versicherungspool anzuschließen - ein Indiz dafür, dass die Demokraten die Strafsteuern zu niedrig angesetzt hatten.

Die Folge war, dass sich nicht genug gesunde Junge an den Versicherungsmärkten beteiligten. Die Krankenversicherer reagierten entweder mit einem Rückzug aus dem Markt oder mit Beitragserhöhungen, was zu erheblicher öffentlicher Kritik an der Reform führte. Die Dynamik legte insgesamt offen, dass der Solidargedanke in den Vereinigten Staaten schwach ausgeprägt ist und Jüngere, Gesunde und Einkommensstärkere nur sehr begrenzt bereit sind, die Gesundheitsversorgung „verletzbarer“ Mitglieder der Gesellschaft mitzutragen.

Die hohe Unzufriedenheit vieler Amerikaner mit ihrer Versicherungssituation ist außerdem einem Umstand geschuldet, der schon lange vor der Reform problematisch war: Das hohe und steigende Preisniveau medizinischer Leistungen führt zu immer höheren Versicherungs- und Selbstkostenbeiträgen. Selbstkostenbeiträge von mehreren Tausend Dollar pro Jahr sind mittlerweile die Regel und geben Betroffenen nicht das Gefühl, adäquat abgesichert zu sein.

Obamacare ist zu teuer

Weil es die Reform hier nicht geschafft, das Kostenniveau spürbar einzudämmen (obwohl die Steigerungsraten niedriger sind als vorher), ist sie – teilweise unberechtigt – zum Sündenbock geworden. Animositäten gibt es auch zwischen den Bevölkerungsgruppen: Diejenigen, die mit medizinischen Kosten kämpfen, finden es ungerecht, dass Empfänger im Armenprogramm Medicaid weitgehend kostenfrei behandelt werden.

Die republikanische Parteiführung hat nun den „American Health Care Act“ (AHCA) vorgelegt, der „Obamacare“ aus der Welt schaffen soll. Trump nannte den Entwurf „unser wunderbares neues Gesundheits‧gesetz“, doch sowohl parteiintern als auch -extern erhielt der AHCA gleich harsche Kritik. Parteiintern legte der Entwurf offen, wie gespalten die Republikaner darüber sind, welche Rolle die Regierung in der Gesundheitsversorgung spielen soll.

Dem ultrarechten Flügel der Partei schwebt ein weitgehender Rückzug aus der zentralen Verantwortung vor. Der linke, moderate Flügel ist besorgt, dass unter einer Neuorientierung zu viele Menschen ihre unter Obamacare gewonnene Versicherung verlieren. Trump hatte im Wahlkampf versprochen, dass unter ihm alle eine „viel bessere, viel günstigere“ Versicherung haben werden. Daraufhin versprach die Parteiführung besorgten Bürgern, dass keinem der Boden unter den Füßen weggezogen werde. Der neue Reformentwurf demonstriert diesen Spagat zwischen den parteiinternen Extremen.

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"Unser wunderbares neues Gesundheitsgesetz"

Die Kernpunkte des AHCA:

  • Die einkommensabhängigen Finanzhilfen zum Kauf von Krankenversicherungen werden durch altersabhängige Finanzhilfen ersetzt, die ebenfalls ab einem bestimmten Einkommensniveau auslaufen.

  • Versicherungen dürfen Älteren statt drei- dann fünfmal soviel in Rechnung stellen.

  • Die Versicherungspflicht wird abgeschafft. Stattdessen dürfen Versicherungen aber 30 Prozent zuschlagen, wenn jemand nicht durchgängig versichert ist.

  • Die Erweiterung der Armenversicherung Medicaid wird ab 2020 eingefroren. Statt einen festen Anteil der Medicaid-Kosten zu übernehmen, zahlt die Regierung den Bundesstaaten in Zukunft eine fixe Summe, die von der Zahl der Medicaid-Empfänger abhängt.

  • Der AHCA ermutigt die steuerfreie Investition in Gesundheitskonten (Health Savings Accounts), mit deren Hilfe man die Versorgungskosten bestreitet.

  • Alle im Rahmen der bisherigen Reform erhobenen Steuern werden abgeschafft.

Die Kritik am AHCA ist vielschichtig: Mitglieder des rechten Parteiflügels wehren sich vor allem gegen die – wenn auch modifizierten – Finanzhilfen. Statt Obamacare wie versprochen rückgängig zu machen, schaffe der parteieigene Entwurf nur ein neues System an Finanzansprüchen, hieß es von den Konservativen.

###more### ###title### Allenfalls "Obamacare Lite" ###title### ###more###

Allenfalls "Obamacare Lite"

Das sei allenfalls „Obamacare Lite“, kritisierte zum Beispiel der Senator Rand Paul aus Kentucky. Moderate Republikaner, wie die Senatorin Lisa Murkowski aus Alaska, verliehen dagegen ihrer Sorge Ausdruck, dass durch die Einschränkungen in der Medicaid-Finanzierung zu viele Einkommensschwache ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung verlieren würden.

Heftig kritisiert wurde der Entwurf auch außerhalb der Partei. Wie erwartet stellte sich die demokratische Opposition geschlossen gegen die Abschaffung von Obamacare - mit dem Hauptargument, dass vor allem Reiche profitieren, Einkommensschwache dagegen Schaden nehmen würden. Entrüstung gab es auch darüber, wie hastig der Entwurf in den legislativen Prozess geschleust wurde: Er wurde den Parlamentsausschüssen vorgelegt, bevor das überparteiliche Congressional Budget Office (CBO) die Gelegenheit zur wirtschaftlichen Analyse hatte.

Kritik von allen Seiten

Die Interessenvertretungen der Ärzte, Krankenschwestern, Krankenhäuser und der Versicherungen sprachen sich ebenfalls gegen den Entwurf aus, weil der AHCA die Gesundheitsversorgung vieler Einkommensschwacher gefährden würde. Die Lobby der Senioren protestierte besonders heftig.

Eine Analyse der „Kaiser Family Foundation“ hatte offengelegt, dass sich vor allem für ältere Amerikaner mit bescheidenem Einkommen das Vorhaben negativ auswirken würde: So würde ein 60-Jähriger mit 20.000 Dollar Jahreseinkommen, der sich versichern muss, unter Obamacare im Jahr 2020 durchschnittlich 9.874 Dollar an Finanzhilfe erhalten (angepasst an regionale Beitragsunterschiede), unter dem AHCA nur fixe 4.000 Dollar. Bei 40.000 Dollar Einkommen würde sich die Finanzhilfe unter Obamacare auf 6.752 Dollar verringern, der Betrag laut AHCA dagegen nicht verändern.

Extrem würde jemand in diesem Alter mit einem Einkommen von 75.000 Dollar profitieren: Unter Obamacare würde er keine Finanzhilfe erhalten, unter dem AHCA immer noch 4.000 Dollar (wobei berücksichtigt werden muss, dass Ältere unter dem AHCA bis zu fünfmal mehr für ihre Versicherungen zahlen sollen, unter Obamacare nur dreimal mehr). Jüngere mit gutem Einkommen würden ebenfalls besser gestellt: Ein 40-Jähriger mit 75.000 Dollar Jahresverdienst bekommt unter Obamacare nichts. Nach der neuen Reform immerhin 3.000 Dollar.

Claudia Pieper, Freie Journalistin

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