Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz

Unerträgliche Ungleichbehandlung von Ärzten und Zahnärzten

Dipl.-Psych. Michael Heckeroth

Offener Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn, „Alle, die im Gesundheitswesen arbeiten, brauchen gerade jetzt unsere volle Unterstützung.“ (Bundesgesundheitsminister Jens Spahn)

So steht es, sehr geehrter Herr Minister Spahn, groß und unübersehbar auf der Internetseite Ihres Ministeriums, direkt neben einem Foto von Ihnen, das Sie in energischer Pose und dynamischer Aktion zeigt. Aber befolgen Sie selbst Ihre vorbildliche Maxime gegenüber allen wesentlichen Berufsgruppen im Gesundheitswesen, die täglich die medizinische Versorgung in unserem Land sicherstellen?

In Ihrem soeben verabschiedeten „COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz“ ist jedenfalls eine große Gruppe „ausgespart“, was wohl im Wortsinn zu verstehen ist. Mit großer Bestürzung mussten Deutschlands Zahnärzte erkennen, dass sie – anders als Ärzte und Psychotherapeuten – in dem von Ihrem Ministerium erarbeiteten „Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen“ nicht berücksichtigt werden. In einer Presseerklärung Ihres Hauses vom 23. März 2020 heißt es, mit diesem Gesetz sollen „die wirtschaftlichen Folgen für Krankenhäuser und Vertragsärzte aufgefangen“ und „Honorareinbußen der niedergelassenen Ärzte abgefedert werden“. Daher würden „niedergelassene Ärzte sowie Psychotherapeuten [...] bei einer zu hohen Umsatzminderung aufgrund einer geringeren Inanspruchnahme durch Patienten mit Ausgleichszahlungen sowie mit zeitnahen Anpassungen der Honorarverteilung geschützt“.

Anfänglich glaubte man auf Seiten der Zahnärzte an ein bloßes Versehen Ihres Ministeriums, das der Eile geschuldet war, mit der das Gesetz zustande kam. Doch man musste erkennen, dass die Berufsgruppe der Zahnärzte ganz bewusst und voller Absicht von den vorgesehenen Unterstützungsmaßnahmen ausgenommen wurde. Dies, obwohl allgemein bekannt ist, dass Zahnärzte eine der am meisten gefährdeten Gesundheitsberufe sind, wenn sie nicht sogar dem höchsten Infektionsrisiko innerhalb der gesamten Ärzteschaft ausgesetzt sind.

Zahnärzte sind tagtäglich einer ausgeprägten Exposition gegenüber sogenannten Aerosolen ausgesetzt, einer Sprühnebelwolke, die bei der Behandlung mit rotierenden Instrumenten im Mund ihrer Patienten unter Zufuhr von Wasser unvermeidlich entsteht. Wir wissen zudem, dass ein Vielfaches der identifizierten COVID-19-Erkrankten unerkannt infiziert ist und ahnungslos zahnärztliche Behandlungen in Anspruch nimmt. Nach Untersuchungen des US-Arbeitsministeriums sind Zahnärzte daher am stärksten gefährdet, an COVID-19 zu erkranken.

Überdies müssen sie als mögliche Infektionsmultiplikatoren gelten, was der Bevölkerung nur allzu bewusst ist. Dies führt derzeit zur Absage eines Großteils der vereinbarten Behandlungstermine aus Sorge vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Mit den Patientenzahlen brechen die Praxisumsätze um bis zu 80 Prozent ein. Somit liegt auf der Hand, dass die niedergelassenen Zahnärzte einem finanziellen Desaster entgegengehen.

In dieser Situation ist der Ausschluss dieser Berufsgruppe aus den neuen gesetzlichen Regelungen nicht nur in hohem Maße ungerecht, er ist juristisch betrachtet auch absolut ungerechtfertigt. Die Nichtberücksichtigung der Zahnärzte in diesem Gesetz stellt eine gravierende, illegitime und mit nichts zu rechtfertigende Diskriminierung des zahnärztlichen Berufsstandes dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bindet der allgemeine Gleichheitssatz in Artikel 3 Abs. 1 unseres Grundgesetzes aber nicht nur die Verwaltung und Rechtsprechung, sondern auch den Gesetzgeber (Rechtssetzungsgleichheit).

Auch für ihn gilt, dass wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich behandelt werden darf. „Gleiche Fälle sollen gleiche Regeln treffen“, so hat es ein renommierter Rechtswissenschaftler ausgedrückt. Dies gilt insbesondere in Fällen von Ungleichbehandlung vergleichbarer Personengruppen. Unser Grundgesetz verbietet es dem Gesetzgeber, Personengruppen in mit einander vergleichbaren Fällen nach unterschiedlichen Grundsätzen zu behandeln.

Das Bundesverfassungsgericht hat dies in einem Urteil vom 7. Februar 2012 in juristischer Sprache so formuliert: „Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 126, 400 <416> m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 – 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 76). Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 77). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können.“

Es ist schwer vorstellbar, dass sich mit Blick auf das Regelungsziel des neuen Gesetzes Unterschiede zwischen Vertragsärzten und Vertragszahnärzten von solcher Art und solchem Gewicht konstruieren lassen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten. Nicht zu reden von den im Gesetz berücksichtigten Psychotherapeuten, bei denen die Einhaltung einer gewissen körperlichen Distanz zu ihren Klienten bereits zum Berufsethos gehört, und deren Hilfeleistung auch in Corona-Zeiten weiterhin gut nachgefragt sein dürfte.

Nach allem wird sich kein sachgerechter Differenzierungsgrund zwischen Ärzten und Psychotherapeuten einerseits und Zahnärzten andererseits finden lassen, der rechtfertigen würde, Vertragszahnärzte nicht an den Unterstützungsmaßnahmen des neuen Gesetzes teilhaben zu lassen, zumal in diesem Fall strenge rechtliche Anforderungen an eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Ausschlusses der Zahnärzte zu stellen wären. Aber muss es in dieser Situation zu einem verfassungsrechtlichen Rechtsstreit zwischen den Zahnärzten und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Ihr Ministerium, wirklich kommen? Wäre es nicht möglich, dass Sie sich dieser Berufsgruppe ebenso verpflichtet fühlen würden wie den anderen Gesundheitsberufen?

In diesem Sinn kann man nur an Sie appellieren, zu einer sachgerechten und gerechten Gleichbehandlung zurückzukehren und den Zahnärzten die Unterstützung des COVID-19-Entlastungsgesetzes nicht vorzuenthalten.

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