Statement zur Bürgerversicherung

Untote leben länger!

Wolfgang Menke
Gegenwärtig wird hierzulande heftig über eine Bürgerversicherung debattiert. Dr. Wolfgang Menke, Präsident der Zahnärztekammer Bremen, warnt ebenfalls vor den Folgen. Ein Statement.

In der jetzigen politischen Konstellation auf Bundesebene ist wieder einmal die Bürgerversicherung - und als deren erster Schritt - eine einheitliche Gebührenordnung für alle Patienten ein wichtiges Thema. Ist eine Bürgerversicherung in Deutschland zum Erlangen einer besseren Gesundheitsversorgung wirklich wünschenswert oder gar zwingend erforderlich?

Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt in unserem in weiten Teilen selbstverwalteten Gesundheitswesen liegt unter den OECD-Staaten mit 11 Prozent an etwa fünfter Stelle nach den USA, den Niederlanden, Schweiz und Schweden. Der Anteil ist so hoch, weil es für die Patienten keine grundsätzlichen Zugangsbeschränkungen zu oder Rationierung von Gesundheitsleistungen gibt. Der gegenwärtige Dualismus von gesetzlicher und privater Krankenversicherung schafft einen Wettbewerbs- und Modernisierungsdruck, welcher sich segensreich auf die Versorgung aller Patienten auswirkt.

Auch die bessere Finanzierung des Systems durch die höheren Honorare der Privatversicherung kommt letztlich allen Patienten zugute, weil Privatpatienten in aller Regel in den gleichen Versorgungseinrichtungen wie auch die Kassenpatienten behandelt werden. Dieses Geld fließt in Investitionen und Fortbildung, die danach letztlich auch allen Patienten unabhängig vom Versicherungsstatus zugute kommen. Eine einheitliche Vergütung auf jetzigem Niveau der GKV entzieht dem Gesundheitsmarkt mit 2,8 Millionen Beschäftigten (3,5 mal so viel wie in der Autoindustrie) etwa 12,4  Milliarden Euro. Durch das Fehlen dieser Gelder würden gerade die ambulanten medizinischen Strukturen in Deutschland massiv in ihrer Existenz gefährdet. Daher wären zum zwangsläufig notwendigen Ausgleich eine Anhebung des Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung um ca. einen Prozentpunkt sowie voraussichtlich zusätzlich eine Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze und/oder Zuschüsse aus Steuergeldern notwendig.

Die Zugangshürden zu Gesundheitsleitungen in Form von Wartezeiten auf Untersuchungen und Behandlungen sind in Deutschland statistisch belegt im europäischen Vergleich gegenüber Einheitsversicherungssystemen am geringsten und spielen in der tatsächlichen Versorgung eine auch nach Patientenbefragungen untergeordnete Rolle. Bewusst offene, kapazitätsbedingte Wartezeiten oder Ausschlüsse für bestimmte Behandlungen ab einem festgesetzten Alter wie im britischen National Health Service sind unserem System bisher fremd. Neu zugelassene Medikamente werden in Deutschland europaweit am schnellsten am Patienten eingesetzt. Die Bereitschaft von Patienten, sich für eine Behandlung ins Ausland zu begeben, ist in Deutschland im europäischen Vergleich mit 11 Prozent am geringsten. Den ersten Platz belegen hingegen die Niederlande mit 67 Prozent! Darüber hinaus würden sich fast alle Bundesbürger bei einer Erkrankung am liebsten in Deutschland behandeln lassen und dafür auch zurückreisen. Beides ein Zeichen für die Zufriedenheit und das Vertrauen der Deutschen in ihre Gesundheitsversorgung.

Patienten in anderen europäischen Ländern mit beitragsfinanzierten oder staatlichen Einheitsversicherungen haben teilweise zwischen 6 Prozent und bis zu 96 Prozent private Zusatzversicherungen für medizinische Behandlungen. Je nach finanzieller Leistungsfähigkeit manifestiert sich dann und dort real eine bei uns nur befürchtete Zweiklassenmedizin. In vielen Ländern bleiben Privatausgaben für Gesundheit auch nicht im Gesamtsystem der medizinischen Einheits-Versorgung, weil erstere nur in rein private Versorgungseinrichtungen, in denen keine Patienten der Einheitsversicherung behandelt werden, gelangen.

Unser jetziges Gesundheitswesen ist grundsätzlich gut, leistungsfähig und patientenorientiert. Gleichwohl bedarf es immer wieder einer behutsamen Nachjustierung. Große Probleme bereitet z.B. bereits jetzt die medizinische Versorgung im ländlichen Raum.

Bei dem Propagieren der „Bürgerversicherung“ geht es hingegen vordergründig um das Bedienen diffuser Ungerechtigkeitsfantasien. Tatsächlich geht es jedoch unter dem Deckmantel des Gerechtigkeits- und Effizienzgewinns um mehr staatlichen Einfluss, weniger Selbstverwaltung, mehr Fremdbestimmung für Patienten und Leistungserbringer sowie in letzter Konsequenz um Rationierung von Gesundheitsleistungen für uns alle.

Das wird man den Wählern nicht sagen, aber sie müssen es wissen.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.