14 Kilometer Aktenordner

pr
Praxis
Der Nationale Normenkontrollrat hat den Bericht zum Bürokratieabbau in Zahnarzt- und Arztpraxen vorgestellt. Was ist eigentlich der Sinn? Wir haben den stellvertretenden KZBV-Vorsitzenden Dr. Günther E. Buchholz und BZÄK-Vizepräsident Prof. Christoph Benz gefragt.

Was ist der Sinn des NKR-Projekts für die zahnärztlichen Praxis?

Dr. Günther E. Buchholz:Grundsätzlich betrachten wir es als sehr begrüßenswert, dass der Normenkontrollrat den Bürokratieabbau in Zahnarzt- und Arztpraxen ganz oben auf die politische Agenda gesetzt hat. Er hat die maßgeblichen Institutionen zusammengebracht, um eine erste unabhängige und systematische Bestandsaufnahme über bürokratische Reglementierungen im Praxisalltag zu erarbeiten.

Seit Jahren weisen wir auf die überbordende Bürokratie in unserem Bereich hin. Die Verwaltungstätigkeit nimmt zu, und damit bleibt immer weniger Zeit für die Zahnärzte, ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen, nämlich die Behandlung und Versorgung der Patienten. Prof. Christoph Benz:Wir haben mit dem Projekt zwei Ziele verbunden: Wir wollten die von den Kollegen tagtäglich erlebte und gefühlte Bürokratie endlich durch eine externe valide Messung belegen können. Dies ist mithilfe des Statistischen Bundesamts und durch die tatkräftige Unterstützung von fast 500 Kollegen gelungen. Und wir wollten mit unseren Abbauvorschlägen zumindest Pflöcke in die richtige Richtung einschlagen: Auch dies könnte klappen, wenn unser Vorschlag zur Negativdokumentation bei der Aufbereitung von Medizinprodukten aufgegriffen wird. Denn dann müsste nicht mehr jeder Arbeitsschritt doppelt und dreifach dokumentiert werden, sondern nur noch Abweichungen von der Norm.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse aus Ihrer Sicht?

Buchholz:Die Bestandsmessung hat gezeigt, dass die zahnärztlichen Praxen auch im Vergleich zu den Ärzten besonders hohe bürokratische Belastungen aushalten müssen. Ich greife hier mal das von Prof. Benz genannte Beispiel der Negativdokumentation heraus: Tagtäglich muss jede der 45.000 Zahnarztpraxen einen Hygiene-Dokumentationsbogen ausfüllen. Dadurch wird pro Jahr so viel Papier beschrieben, dass eine 14 Kilometer lange Reihe von Aktenordnern entstehen würde.

###more### ###title### "Dadurch entsteht ein Aktenordner-Lindwurm!" ###title### ###more###

"Dadurch entsteht ein Aktenordner-Lindwurm!"

Weil wir Zahnärzte diese Papierflut fünf Jahre lang aufbewahren müssen, entsteht ein Aktenordner-Lindwurm, der etwa die Länge der Strecke Berlin - Zahna-Elster bei Wittenberg in Sachsen-Anhalt hat. Es ist zwar wichtig, dass Hygiene korrekt dokumentiert wird. Aber müssen dafür solche Papierberge produziert werden? Zahnärzte sind keine Verwaltungsangestellten und ihre Mitarbeiter sind es auch nicht! Benz:Die Zahlen von destatis sind ernüchternd: Rein rechnerisch muss in jeder Zahnarztpraxis eine Person allein 100 Tage im Jahr ausschließlich für die Erfüllung von Informationspflichten der gemeinsamen Selbstverwaltung aufwenden. Hinzu kommen die Bürokratiebelastungen aus bundesrechtlichen Vorschriften, die für Ärzte und Zahnärzte rechnerisch weitere 96 Arbeitstage für diese Person in Anspruch nehmen würden. Es kommen also rund 200 Arbeitstage für jede Praxis zusammen.

Bei einem durchschnittlichen Ansatz von 250 Arbeitstagen pro Jahr bedeutet dies, dass rund 80 Prozent der Arbeitszeit dieser Person nur für die Erfüllung von so genannten Informationspflichten des Bundes- und der Selbstverwaltung aufgewendet werden würden. Das ist auf Dauer zu viel, um die freie Niederlassung attraktiv zu machen.

Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich aus dem Projekt?

Buchholz:Ich nehme mal das Beispiel der Dokumentation der Aufbereitung von Medizinprodukten. Die im Bereich Qualitätsmanagement (QM) gemessene Belastung der Zahnarztpraxen, zu der diese Dokumentation gehört, ist die achthöchste gemessene Belastung des gesamten Projekts und die dritthöchste im Bereich der Zahnärzte. Gefordert ist hier eine Vereinfachung der Dokumentation im Bereich QM - ein richtungsweisender Vorschlag, wie überbordende Bürokratie sinnvoll zurückgeführt werden kann, ohne die Qualität und Patientensicherheit zu beeinträchtigen. Dass dies möglich ist, zeigen erste Erfahrungen in der Pflegeversicherung.

Ein zweites Beispiel sind Praxisbegehungen. Sie verursachen enorme zeitliche Belastungen für die Praxen. Sie erfordern umfangreiche Vorbereitungszeiten, angefangen von der Zusammenstellung der von den Aufsichtsbehörden geforderten Unterlagen bis zur Begehung selbst, weil da die Schließung der Praxis nötig ist und so keine Patienten behandelt werden können. Eine bessere Abstimmung und gemeinsame Begehungen der Aufsichtsbehörden könnten zu einer spürbaren Entlastung führen.

"Wir sind schon froh, wenn endlich ein Umdenken erfolgt!"

Benz: Mit dem Projekt „Mehr Zeit für Behandlung“ wurde in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Grundstein gelegt. Es hat gezeigt, wie der steinige Weg zum Abbau unnützer Bürokratie beschritten werden muss – nur durch alle Beteiligten gemeinsam: Bürokratieabbau kann nur in Zusammenarbeit sowohl mit dem Gesetzgeber und den ausführenden Behörden als auch mit den Vertretern der gemeinsamen Selbstverwaltung zum Erfolg führen.

Gemeinsam sollten wir diese Chancen nutzen, um „Mehr Zeit für Behandlung“ zum Wohle der Patienten zu erreichen. Die Messergebnisse und die im Projektbericht vorgestellten Handlungsempfehlungen können aber nur ein erster kleiner Schritt sein - weitere müssen folgen. Wir sind schon froh, wenn endlich ein Umdenken erfolgt: dass weniger Bürokratie und mehr Zeit für die Behandlung in den Zahnarztpraxen gut für die Patienten ist.

Die Fragen stellte Gabriele Prchala.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.