Urteile

Arzthaftung bei nicht anerkannter Therapie

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Praxis
Ein Zahnarzt extrahiert seiner Patientin im Rahmen einer alternativen Therapie sämtliche Backenzähne und fräst den Kiefer gründlich aus. Die Frau klagte, nun urteilte der Bundesgerichtshof.

Tatbestand

: Die Klägerin macht gegen den beklagten Zahnarzt Schadensersatzansprüche aus einer fehlerhaften zahnärztlicher Behandlung geltend.

Am 14.September 2006 besuchte sie einen Vortrag des Beklagten, der auf seiner Homepage für eine ganzheitliche Behandlung durch Beseitigung von Störfeldern im Kiefer wirbt, die er als Ursache von allgemeinen körperlichen Beschwerden sieht.

Die "Herd- und Störfeldtestung" ergibt ein  "Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von Eiweißverfallsgiften"

Am 15. September 2006 führte der Zahnarzt dann bei der Klägerin eine von ihm so bezeichnete "Herd- und Störfeldtestung" durch. Er befundete dabei ein "mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von Eiweißverfallsgiften in den rechten Schläfen- und Hinterkopfbereich und bis in den Unterleib". Darüber hinaus diagnostizierte er ein "Kieferknochenendystrophie-Syndrom" und einen "stillen Gewebsuntergang im Knochenmark".

Alle Backenzähne werden entfernt, der gesamte Kieferknochen wird ausgefräst

Als Therapie empfahl er der Klägerin die operative Entfernung sämtlicher Backenzähne und die gründliche Ausfräsung des gesamten Kieferknochens. Am 21. September 2006 entfernte der Beklagte bei der Klägerin operativ unter Lokalanästhesie die Zähne Nr.14, 15, 16 und 17 im rechten Oberkiefer und fräste den Kieferknochen in diesem Bereich „gründlich" aus. 

Keine Einsetzung, Anpassung oder Einweisung in den Umgang mit der Prothese

Den verordneten Zahnersatz holte sich die Patientin am 7. November 2006 selbst in einem

Zahnlabor ab, ohne dass eine Einsetzung, Anpassung oder Einweisung in den Umgang mit der Prothese durch den Beklagten erfolgte.

Wegen Problemen mit der Prothese wandte sich die Klägerin an einen in ihrer Nähe tätigen Zahnarzt, der sich sehr kritisch zu der von dem Beklagten durchgeführten Behandlung äußerte. Bei dem Beklagten stellte sich die Klägerin wegen Schwierigkeiten mit dem Zahnersatz letztmalig am 17. November 2006 vor. Danach setzte sie die Behandlung bei ihm nicht mehr fort, so dass es auch zu keinen weiteren Zahnentfernungen und Ausfräsungen des Kiefers mehr kam.

Klage auf Honorarrückzahlung, Schadensersatz, Schmerzensgeld  und Einstandspflicht

In der Folge konsultierte sie verschiedene andere Zahnärzte. Mit ihrer vorliegenden Klage verlangte sie vom Beklagten die Rückzahlung des geleisteten Honorars (1.187,06 Euro), materiellen Schadensersatz (Folgebehandlungskosten von 10.372,22 Euro und Schmerzensgeld (mindestens 5.000 Euro sowie die Feststellung seiner weitergehenden Einstandspflicht. Das Landgericht Frankenthal (Az.: 4 O 450/11, Urteil vom 19. März 2014) gab der Klage überwiegend statt.

Die Berufung des Beklagten vor dem Oberlandesgericht Zweibrücken AZ: 5 U 8/14, Urteil vom 19. April 2016) hatte nur in geringem Maß Erfolg (Rückzahlung des geleisteten Honorars 1.187,06 Euro Folgebehandlungskosten 3.219,81 Euro Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 Euro und Einstandspflicht für sämtliche weiteren Schäden). Da das Berufungsgericht eine Revision zugelassen hatte, klagte der Zahnarzt weiter auf Abweisung aller Forderungen.

Das BGH-Urteil

Mit seinem am 30. Mai 2017 veröffentlichten Urteil hob der BGH die Vorentscheidungen auf und verwies den Streit zur erneuten Prüfung an das OLG zurück, da das Berufungsurteil der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhalte: Die Richter könnten auf dieser Basis nicht beurteilen, ob der Beklagte zum Schadensersatz verpflichtet ist.

Die Vorinstanzen hätten sich auf einen Gutachter gestützt, der nach eigener Aussage nicht mit den Grundlagen der alternativen Zahnmedizin vertraut sei. Das sei in solchen Fällen aber notwendig.

Im Übrigen sei die Anwendung nicht allgemein bekannter Therapieformen rechtlich grundsätzlich erlaubt. Sofern Patienten die Tragweite ihrer Entscheidung beurteilen können, könnten sie "jede nicht gegen die guten Sitten verstoßende Behandlungsmethode" wählen, betonten die Karlsruher Richter.

Aus einem alternativen Behandlungsansatz könne nicht von vornherein auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden. Jedoch müssten Ärzte bei einer solchen Therapie immer die Vor- und Nachteile für den konkreten Patienten abwägen - und dabei auch die Möglichkeiten der Schulmedizin im Blick haben: "Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode."

 Die Begründung der obersten Richter im Einzelnen

1. Die Anwendung von nicht allgemein anerkannten Therapieformen ist rechtlich grundsätzlich erlaubt. Es könne demnach dahingestellt bleiben, ob dies schon deswegen der Fall sein muss, weil sich eine Beschränkung der Methodenfreiheit aus Rechtsgründen als Hemmnis des medizinischen Fortschritts bzw. als Stillstand der Medizin darstellen würde. "Entscheidend ist, dass jeder Patient, bei dem eine von der Schulmedizin nicht oder noch nicht anerkannte Methode angewendet wird, innerhalb der durch die §§ 138 BGB, 228 StGB gezogenen Grenzen eigenverantwortlich entscheiden kann, welchen Behandlungen er sich unterziehen will." 

Schließt aber das Selbstbestimmungsrecht eines um die Tragweite seiner Entscheidung wissenden Patienten die Befugnis ein, jede nicht gegen die guten Sitten verstoßende Behandlungsmethode zu wählen, könne aus dem Umstand, dass der Heilbehandler den Bereich der Schulmedizin verlassen hat, nicht von vornherein auf einen Behandlungsfehler  geschlossen werden.

2. Die Entscheidung des Arztes für die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Therapieform setzt allerdings eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und des Wohls des konkreten Patienten voraus. Bei dieser Abwägung dürfen den Richtern zufolge auch die Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin nicht aus dem Blick verloren werden. Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode.

3. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die radikale Behandlungsmaßnahme des Beklagten bei der Klägerin zu schwerwiegenden, irreversiblen Gesundheitsschäden geführt (Verlust bzw. Teilverlust der Kau-,Gebiss- und Implantatfähigkeit).

Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht die verantwortliche medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen auf der Grundlage des Gutachtens eines Sachverständigen beurteilt hat, der nicht über die erforderliche umfassende Sachkunde verfügt.

Das Berufungsgericht hat es allerdings verfahrensfehlerhaft unterlassen, einen auch mit der ganzheitlichen Zahnmedizin in Theorie und Praxis vertrauten Sachverständigen zu beauftragen. Hierfür bestand umso mehr Veranlassung, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige offengelegt hat, sich selbst nicht ausführlich mit der Alternativmedizin befasst zu haben, und zwei ihm geeignet erscheinende Sachverständige benannt hat.

4. Das Berufungsurteil erweist sich schließlich nicht aus anderen Gründen als richtig, weil – wie das Berufungsgericht weiter meint - der Beklagte die Klägerin auch nicht hinreichend aufgeklärt hat. Die Frage einer hinreichenden Aufklärung lässt sich ebenfalls erst nach der Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens abschließend beantworten.

BundesgerichtshofAz.: VI ZR 203/16Urteil vom 30. Mai 2017

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