Aufklären und dokumentieren – darauf kommt es an!

sf
Praxis
"Nichts führt zu derart kontroversen Diskussionen und so viel Frustration wie das Thema Aufklärung!“, sagte Prof. Bilal Al-Nawas zur Eröffnung des diesjährigen Sommersymposiums der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) in Frankfurt. Hier lesen Sie, was Sie dabei beachten sollten.

Gibt es einen Standard für das Thema "Aufklärung und Dokumentation bei zahnärztlichen Eingriffen"? Landesverbände wünschen sich oft ein derartiges Formular. „Das ist aber der falsche Weg“, konstatierte Tagungsleiter und DGI-Vizepräsident Prof. Knut A. Grötz (Wiesbaden) einleitend. "Aufklärung muss immer individuell erfolgen! Ein reines Formblatt ist deshalb aus Sicht der DGI ungeeignet."

Grötz relativierte dabei auch die häufig formulierten Vorbehalte zum Patientenrechtegesetz. Denn in einem Arzthaftungsprozess muss der Patient den vermeintlichen Behandlungsfehler, den Behandlungsmisserfolg und die Sorgfaltspflichtverletzung beziehungsweise Fahrlässigkeit darlegen - und im Streitfalle auch beweisen können. Grötz: „Beim Behandlungsfehler im engeren Sinne haben wir einen juristischen Schutzwall, der uns eigentlich sehr gut schützt.“

So klären Sie richtig auf!

Der MKG-Chirurg gab den Gästen im Raum zahlreiche nützliche Hinweise an die Hand. Zum Beispiel zur Diagnose- und Behandlungsaufklärung: Erläutert werden muss demnach das Wesen des Eingriffs „im Großen und Ganzen“, nicht aber im kleinsten Detail. Informationen über Heilungschancen gehören aber genau so dazu wie der zu erwartende postoperative Zustand.

Auch die Risikoaufklärung bezog er in seinen Vortrag ein: Gefahren, mit denen nicht zu rechnen ist, sollen erwähnt werden, aber unter Berücksichtigung der Güterabwägung. Die Gratwanderung bestehe darin, Bagatellisierung wie Dramatisierung zu vermeiden.

Will ein Patient partout nicht aufgeklärt werden, könne man erwidern: "Gut, ich erkläre Ihnen nur kurz, was ich tun werde", um dieser Pflicht trotzdem nachzukommen. OP-Folgen, die immer auftreten, sollten stets  in der Aufklärung benannt werden: Etwa Wundschmerz oder Funktionsminderungen. OP-Folgen, die nur gegebenenfalls auftreten, müssen auch nur so benannt werden. Bei einer Kieferhöhlenöffnung sollte beispielsweise darauf hinweisen, dass 14 Tage post-op keine Flugreise durchgeführt werden sollte. Auch hier gilt: Ein Merkblatt ist gut, ersetzt aber nicht die mündliche Vermittlung. In der Akte sollte konkret stehen: "mündlich aufgeklärt + Merkblatt".

Grötz machte klar: "Die Notiz „Befund unklar“ kann im Falle eines Prozesses als „Befundunterlassung“ gedeutet werden!" Besser sei, eine Verdachtsdiagnose zu fixieren. Lehnt ein Patient ein DVT ab, sollte man ihn darauf hinweisen, dass man für die Therapieentscheidung auf das DVT angewiesen ist und ohne keine Behandlung durchführen kann.

###more### ###title### Diese S3-Leitlinie ist eine Steilvorlage! ###title### ###more###

Diese S3-Leitlinie ist eine Steilvorlage!

Grötz verwies schließlich auf die S3-Leitlinie "Implantate bei Patienten mit medikamentöser Therapie inkl. Bisphosphonate" und das Formblatt "DGI-Laufzettel zur OP-Risiko-Evaluation" -  beides "Steilvorlagen für eine komplette Patientenaufklärung im Sinne einer aufklärungsunterstützenden Formulardokumentation".

Prof. Matthias Schneider aus der Praxis für MKG-Chirurgie, Plastische Operationen, Implantologie in Dresden, ergänzte über das DVT müsse aufgeklärt werden, weil die Kosten grundsätzlich nicht übernommen werden. Nur in begründeten Fällen erstatten demnach einige Kassen die Gebühr. Seit Januar 2017 ist das DVT über die Gebührenordnung für Ärzte der Gesetzlichen Unfallversicherung (UV-GOÄ) abrechenbar.

Gerichtsprozesse sind nur so gut wie ihre Gutachten

Kommt es dann doch einmal zum Gerichtsprozess, könne der letztlich immer nur so gut ausgehen, wie es das zugrunde liegende Gutachten zulässt. Darauf wies Dr. Rainer Fries hin - Vorsitzender Richter am Landgericht Saarbrücken. Fries beobachtet es im südwestdeutschen Raum einen überdurchschnittlichen Anstieg an zahnärztlichen Arzthaftungsfällen. Für Juristen seien die Fälle schwieriger zu verstehen als medizinische. Fakt sei: „Die ärztliche Dokumentation hat Beweiswert!" Deshalb sei es wichtig, das Notwendige wirklich zu dokumentieren. Notwendig bedeutet hier: Geht der Patient zu einem Nachbehandler, muss dieser verstehen, was der Vorbehandler gemacht hat.

Prüfungsmaßstab für das Gericht sei ausschließlich, ob ein mündliches Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat. Eine Delegation ist möglich – aber nicht an nicht ärztliches Personal. Unterschriften des Patienten sind nicht erforderlich. Werden Aufklärungsformulare verwendet, sollten sie individualisiert und personalisiert werden, empfiehlt Fries. Unter „Ärztliche Anmerkungen“ sollten beispielsweise Risiken für diesen Patienten dokumentiert werden, ebenso atypische Besonderheiten.Geht es um einen „schwierigen Patienten“, sollten auch das festgehalten werden. Romane sind ungeeignet, Richter wünschen sich eine ausreichende Kurzdokumentation. 

Fries empfiehlt, über Alternativen aufzuklären, wenn der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat. Sonst gilt die Therapiefreiheit des Arztes gemäß BGH-Urteil von 1998. Im Bereich Zahnmedizin sei der Behandler sehr schnell bei gleichwertigen Wahlmöglichkeiten. Ist eine konservative Behandlung möglich, stellt sie gegenüber einem Eingriff eine aufklärungspflichtige Alternative dar (beispielsweise WKB versus Extraktion).

Auch Bedenken sollten dokumentiert werden

Die therapeutische Sicherungsaufklärung bezieht sich darüber hinaus auf die fachliche Beratung des Patienten. Als Grundsatz gilt ja: Der Patient ist dahingehend beweispflichtig, dass eine Aufklärung unterblieben ist oder unzureichend war. Ein Beispiel: Eine Parodontitis-Patientin hat ihren befreundeten Zahnarzt aufgesucht. Er plante eine Teleskop-getragene Lösung. Sie wünschte sich eine Lösung mit Mini-Implantaten. Der Zahnarzt hat seine Bedenken nicht dokumentiert. Es kam zur Klage. Der Richter urteilte, dass zwar dies keinen Behandlungsfehler darstellt, aber immer dort, wo man das routinemäßige Planungsgespräch verlässt, muss man die Entscheidung begründen und dokumentieren.

Richter müssen Fries zufolge immer den Behandlungsstandard zum Zeitpunkt der Behandlung zugrrunde legen. Unterschreitungen des Standards müssen dokumentiert werden. Kontraindiziert durchgeführte Maßnahmen sind schadensersatzpflichtig. Äußert ein Patient schließlich "bedenkliche" Sonderwünsche, kann man die Behandlung ablehnen oder an einen Kollegen weiterleiten.

Im Übrigen habe der Gesetzgeber mit dem Patientenrechtegesetz "nichts „Besonderes gemacht", sondern „das bestehende Richterrecht im Wesentlichen kodifiziert". Für Zahnärzte bringt das keine Haftungsverschärfung und keine Haftungserleichterung", sagte der Jurist abschließend.

###more### ###title### Fotodokumentation als Beweis- und Kommunikationsmittel ###title### ###more###

Fotodokumentation als Beweis- und Kommunikationsmittel

Dass vor Gericht eine Fotodokumentation hilfreich sein kann, erläuterte Priv.-Doz. Dr. Philipp Streckbein von der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Gießen. Kommt es nach Implantationen zu Explantationen und zum Prozess, können die Komplikationen im Gericht bildlich dargestellt werden.

Streckbein empfiehlt, die Patienten standardmäßig eingangs zu fotografieren und ein Archiv anzulegen. Das könne auch hilfreich für die Kommunikation mit der Prothetik sein, sowie für die Verlaufskontrolle. Auch bei Übernahme durch einen anderen Behandler. Tumorpatienten und Kieferfehlstellungspatienten würden häufig vergessen, wo ihr Startpunkt war. Auch hier helfe eine Fotodokumentation von der Ausgangssituation. Dokumentiert werden sollte möglichst mit einer Spiegelreflexkamera mit 60 mm Festbrennweite, ideal seien 100 mm.

Der Rapport als Instrument zur Verständigung

Um sich im Rahmen der Aufklärung auch über die Therapieziele zu verständigen, könne das Instrument des "Rapports" angewendet werden, regte Prof. Peter Pospiech, stellvertretender Abteilungsleiter am Charité Centrum für Zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre, an. Er beleuchtete die Aufklärung und Dokumentation aus prothetischer Sicht. Speziell für die Aufklärung von älteren Patienten gelte: keine Hintergrundgeräusche, Erläuterung der Behandlungsabläufe, übersichtliche Formulare, einfach gehaltene Info-Schriften (etwa für die Prothesenhygiene).

Könnte der Zeitdruck ein Grund für die Fehler sein, die gemacht werden, weil Protokolle nicht stringent abgearbeitet werden und dann mitunter zu Klagen führen?, fragte Pospiech. Er rät, intern wirklich immer wieder die gleichen Checklisten abzuarbeiten, damit die Standards eingehalten werden. 

###more### ###title### Bilden Sie Aufklärungsblöcke! ###title### ###more###

Bilden Sie Aufklärungsblöcke!

Eine solche Aufklärungscheckliste für Implantologen hat Priv.-Doz. Dr. Joachim Nickenig, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Köln erarbeitet. Sein Tipp: kompakte Aufklärungsblöcke zu bilden. Bewährt habe sich beispielsweise, an einem Nachmittag in der Woche nur Patientengespräche zu führen. Zwischen Operationen geführte  Gespräche stören dagegen die Konzentration und den Workflow.

Was  für die Aufklärung zur Socket Preservation gilt, führte Dr. Torsten S. Conrad M.Sc., Oralchirurg aus Bingen am Rhein, aus. Grundsätzlich bekomme man bei der Socket Preservation immer eine knöcherne Ausheilung. Im Unterschied zur Ridge Preservation, wo eine weichgewebige Ausheilung erzielt werden kann. Aufgeklärt werden sollte neben dem Therapieziel (Kierferkammerhalt) auch über die Dauer der Therapie. Wird dies unterlassen, laufe man Gefahr, den Patienten zu enttäuschen.

Klären Sie rechtzeitig auf und dokumentieren Sie - auch nachträglich!!

Wann muss man nun den Patienten vor dem Hintergrund des Patientenrechtegesetzes aufklären? Immer rechtzeitig! Und zwar so rechtzeitig, dass der Patient seine Entscheidung nach §630e SGB V wohlüberlegt treffen kann, berichtete in Frankfurt Susanne Ottmann-Kolbe, Juristin bei der Bayerischen Landeszahnärztekammer. Bei planbaren Operationen übrigens spätestens am Vortag - 24 Stunden vor dem Eingriff. Sie machte darauf aufmerksam, dass gerade viele jüngere Zahnärzte ein eigenes Sprechzimmer einrichten, in dem sie die Patienten aufklären.

Die Dokumentation der Aufklärung soll dann "im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang in Papierform oder elektronisch" geführt werden. Ottmann-Kolbe räumte ein: „Unmittelbar ist nicht immer realisierbar., aber binnen einer Woche ist machbar."

Nachträgliche Eintragungen seien übrigens möglich - wenn das Datum mit eingetragen wird. Denn laut Urteil vom OLG München vom 14. September 2016 dürfen Einträge, die den Eindruck erwecken, nachträglich zum Nachteil des Patienten dokumentiert worden zu sein, nicht gegen den Patienten verwendet werden.

Die Aufbewahrungsfrist beträgt bekanntlich zehn Jahre. Textbausteine in der Patientenakte sind nach Aussage von Ottmann-Kolbe "in Ordnung", sollten aber individualisiert werden. Ihr Hinweis an Zahnärzte: "Patienten, die ihre Behandlungsunterlagen erhalten möchten, haben auch ein Recht auf Aushändigung." Analoge Röntgenbilder müssen dann dupliziert, die digitale Bildgebung kann auf CD gebrannt werden.

 

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.