Gutachten mit Zündstoff

ck/mg
Praxis
Wenn Patienten mehr ambulant und weniger stationär behandelt würden, ließen sich jährlich 2 Milliarden Euro sparen, so das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi). Andere Experten widersprechen.

Wissenschaftler des Zi in Berlin haben die Arbeitsteilung zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte untersucht. Dabei machten die Forscher 21 Kreisregionen (fünf Prozent) mit vorbildlicher Arbeitsteilung („Best-Practice-Regionen“) aus. Die Simulationsrechnungen wurden jetzt im Versorgungsatlas veröffentlicht.

In diesen Landkreisen und Städten entsprach die ambulante Versorgung demnach mindestens dem Bundesdurchschnitt oder lag darüber, die Rate der stationären Behandlungen war hingegen unterdurchschnittlich. Eine solche Konstellation gilt allgemein als Merkmal hoher Versorgungsqualität und kann darüber hinaus auch Gesundheitskosten reduzieren.

Ärzte und Kassen streiten über die Folgen

Während die Ergebnisse der Studie unumstritten sind, sind sich die verschiedenen Akteure auf Leistungserbringer- und Kostenträgerseite uneins, welche Schlüsse man daraus zieht. Auf der gestrigen Fachtagung "Ambulant vor stationär" in Berlin diskutierte Hausherr KBV-Chef Dr. Andreas Gassen diese Frage mit Barmer GEK-Vize Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, Hans-Georg Baum, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft, und Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser im GKV-Spitzenverband, und dem anwesenden Fachpublikum.

Aber erst zu den Fakten: „In den 21 Best-Practice-Regionen liegt die stationäre Versorgung 15 Prozent unter und die ambulante 13 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. In diesen Regionen leben insgesamt rund 11 Millionen Menschen. Der regionale Vergleich vermittelt uns daher greifbar, welches ambulante Potenzial heute schon realisiert wird. Das können andere Regionen nachmachen.“ sagte Dr. Dominik Graf von Stillfried, Geschäftsführer des Zi, bei der Vorstellung der Studie.

Baden-Württemberg führt

Mit insgesamt sieben „Best-Practice-Regionen“ (siehe Tabelle) führt Baden-Württemberg die Liste der Bundesländer an, gefolgt von Niedersachsen mit fünf sowie Bayern und Hessen mit jeweils zwei vorbildlichen Regionen. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern stimmt das Verhältnis zwischen ambulanter und stationärer Versorgung in den Städten Leipzig und Rostock. Ebenso ist es in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg positiv.

Das gemeinsame Merkmal der Best-Practice-Regionen: Dort gibt es mehr niedergelassene Ärzte pro 100.000 Einwohner als im Bundesdurchschnitt und eine unterdurchschnittliche Zahl von Krankenhausbetten. In jenen fünf Prozent der Regionen, in denen das Potenzial für ambulante Behandlungen nicht ausgeschöpft wurde, ist die Arztdichte hingegen unter- und die Zahl der Krankenhausbetten überdurchschnittlich.

Wissenschaftler rechnen zwei verschiedene Szenarien

Um zu analysieren, welche ökonomischen Auswirkungen das Ausmaß der Arbeitsteilung zwischen ambulant und stationär auf die Gesundheitskosten bis zum Jahr 2020 haben würde, simulierten die Zi-Wissenschaftler zwei Szenarien. Im Szenario 1 ermittelten sie die Auswirkungen auf die Gesundheitsausgaben, wenn die derzeitigen Verhältnisse mit ihren regional stark ausgeprägten Unterschieden einfach nur fortgeschrieben werden.

Zwei Milliarden Euro Sparpotenzial bis 2020

Im Szenario 2 wurden die Konsequenzen simuliert, wenn in allen Regionen Deutschlands das Verhältnis zwischen ambulanter und stationärer Versorgung jener in den Best-Practice-Regionen entspräche. Resultat: Beim Status-Quo-Szenario liegen die Ausgaben im Jahr 2020 vier Milliarden Euro höher als heute, beim „Best-Practice“-Szenario würden sie hingegen nur um zwei Milliarden steigen.

Zi plädiert für ambulant vor stationär

„Ob eine solche Reduktion der demografisch bedingten Mehrkosten erreicht werden kann, hängt aber davon ab, wie schnell Krankenhausbehandlungen durch ambulante Behandlungen ersetzt werden. Je früher eine Orientierung an den Best-Practice-Regionen stattfindet, desto größer fällt der Einspareffekt von Jahr zu Jahr aus“, erklärt von Stillfried.

„Die Förderung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, zu der auch ermächtigte Krankenhausärzte oder Medizinische Versorgungszentren gehören, sollte daher besonders unterstützt werden“, lautet die Schlussfolgerung der Zi-Autoren.

Baum: "Gutachten beeindrucken mich überhaupt nicht!"

Wie eine solche Verlagerung der Versorgung von stationär zu ambulant aussehen könnte, beschäftigte die Diskussionsrunde gestern. "Wir akzeptieren, dass es einen Verlagerungsprozess gibt", sagte Schlenker. Nun müsse geklärt werden, wie ein lokales Versorgungsangebot dargestellt werden kann. In jedem Fall müsse dieser Aspekt in der anstehenden Krankenhausreform seinen Niederschlag finden.

"Gutachten beeindrucken mich überhaupt nicht", sagte hingegen Baum. "Die Frage ist doch: Ist der ambulante Bereich überhaupt in der Lage, dieses Potenzial zu heben?" Weiter monierte er, im niedergelassenen Bereich gebe es kein dem Krankenhausbereich vergleichbares Qualitätsmanagement - eine Behauptung, die im Anschluss zahlreiche pointierte bis polemische Wortmeldungen aus dem Publikum provozierte. 

Leber widersprach der Darstellung, Städte wie München, Hamburg, Berlin und Wiesbaden taugten als nachahmenswerte Best-Practice-Beispiele. "Wie sagt der Kölner? Da kannste doch dran riechen", scherzte er, um zu verdeutlichen, dass an dieser Betrachtung überversorgter Ballungszentren seiner Ansicht nach etwas faul sei.

Gassen: "Ergebnisse ohne falsche Emotionalität betrachten"

Gassen plädierte indes dafür, die Resultate der Studie ohne falsche Emotionalität zu betrachten. "Das Ergebnis überrascht uns natürlich nicht. Medizin wird ambulanter", sagte er. Gleichzeitig leiste sich Deutschland ein Krankenhauslevel von Häusern und Betten, das in Europa einzigartig sei. Doch dürften Kliniken dürften auch nicht nur nach Rentabilitätsgesichtskriterien beurteilt werden.

Einig waren sich alle, dass die Steigerung der jährlichen Krankenhausfälle von 17 auf 18,5 Millionen fast ausschließlich auf eine gestiegene Zahl von Notfallbehandlungen zurückzuführen sei. Gassen: "Vielleicht ist es auch die Bequemlichkeit einiger Patienten. Da kann ich auch abends um acht hingehen und muss keinen Termin machen."

Die StudieDie Zi-Wissenschaftler haben bei ihrer Studie Statistiken des Statistischen Bundesamts zu diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) von Kliniken sowie vertragsärztliche Abrechnungsdaten der KVen aus 2011 genutzt. Die ambulanten und stationären Versorgungsdaten wurden für den jeweiligen Versorgungsbedarf bezüglich Alter, Geschlecht, Erkrankungshäufigkeit und Sozialstruktur adjustiert, damit sie vergleichbar sind.

Der Versorgungsatlaswww.versorgungsatlas.deist eine Einrichtung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Schwerpunkt der Studien sind regionale Unterschiede in der Versorgung sowie deren unterschiedliche Strukturen und Abläufe. Die Analysen sollen Anhaltspunkte liefern, wie die Versorgung verbessert werden kann. In Diskussionsforen kann jeder Beitrag öffentlich diskutiert werden. Die Analysen der Wissenschaftler basieren auf den bundesweiten Abrechnungsdaten der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland. Die Internet-Plattform steht aber auch anderen Forschergruppen zur Verfügung, die ihre Untersuchungen nach einem Peer-Review dort veröffentlichen können.

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