Adipöse Kinder auf dem Zahnarztstuhl

dg
Zahnmedizin
Laut Adipositas Stiftung Deutschland gibt es bei uns 1,9 Millionen übergewichtige Kinder und Jugendliche, davon sind 800.000 adipös. Zwei Experten geben Informationen und Tipps für Zahnärzte.

1. Welche konkreten Zusammenhänge bestehen zwischen adipösen Kindern und ihrer Zahngesundheit?

Prof. Dr. Annette Wiegand:Die Kariesprävalenz scheint bei adipösen Kindern etwas höher als bei normalgewichtigen Kindern zu sein. Neben dem gemeinsamen Risikofaktor der Ernährung tragen aber auch verschiedene sozioökonomische Faktoren dazu bei, das übergewichtige Kinder mehr Karies aufweisen. Daneben gibt es auch einige Hinweise darauf, dass adipöse Kinder und Jugendliche vermehrt dentale Erosionen aufweisen; hier könnte der erhöhte Konsum säurehaltiger Getränke einen gemeinsamen Risikofaktor für beide Erkrankungen darstellen.

Außerdem wird berichtet, dass adipöse Kinder aufgrund des Übergewichts zu Gleichgewichtsproblemen neigen, die indirekt für eine höhere Unfallgefahr, zum Beispiel das Auftreten eines Frontzahntraumas, sprechen.

2. Sind adipöse Kinder besonders für Parodontopathien gefährdet?

Einige Untersuchungen haben gezeigt, dass adipöse Kinder häufiger eine schlechte Mundhygiene und damit mehr Gingivitis aufweisen als normalgewichtige Kinder. Es gibt auch Hinweise darauf, dass adipöse Jugendliche bereits häufiger Entzündungsmediatoren aufweisen, die in der Pathogenese der Parodontitis eine Rolle spielen.

Die Assoziation zwischen Adipositas und Parodontitis ist beim Erwachsenen hingegen gut belegt. Adipöse Patienten weisen eine veränderte Synthese von proinflammatorischen Adipokinen und Zytokinen auf, die die parodontale Entzündungsreaktion verstärken können. Andererseits scheint auch die Parodontitis zur Entstehung der Adipositas beitragen zu können, indem beispielsweise die Synthese von proinflammatorischen Adipokinen durch parodontopathogene Bakterien stimuliert wird. Ähnlich wie bei anderen Allgemeinerkrankungen scheint es verschiedene Wechselwirkungen zwischen Adipositas und Parodontitis zu geben.  

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"Viele Familien erwarten schnelle Lösungen"

1. Wie können Zahnärzte die Eltern auf das Übergewicht ihrer Kinder ansprechen ohne anzuecken?

Dr. Markus Röbl:Hierzu gibt es natürlich keine pauschale Antwort. Zunächst einmal erwartet die Familie ja nicht vom Zahnarzt mit dieser Problematik konfrontiert zu werden. Bevor man dieses sensible Thema anspricht, braucht es ein Vertrauensverhältnis zwischen Familie und Zahnarzt. Wichtig ist es hierbei in einer angenehmen Atmosphäre und mit ausreichend Zeit seine Sorge auszudrücken. Über die gemeinsame Sorge bekommt man häufig einen Zugang zu den Eltern.

Wichtig ist hierbei auch die Vorbildfunktion der Eltern wertschätzend zu thematisieren. Pauschale Verurteilungen produzieren eine Abwehrhaltung und sind nicht hilfreich. Da der Zahnarzt in der Regel nicht über die zeitlichen Ressourcen verfügt, konkrete Tipps zur Therapie der Adipositas zu geben, wäre es sehr hilfreich, wenn der Zahnarzt die Eltern über regionale Angebote der Adipositas-Therapie informieren kann. Informationen zu Therapieangeboten kann der Zahnarzt über die Homepage der Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendliche mit Adipositas finden (www.a-g-a.de).

Hier sind viele Therapie-Angebote deutschlandweit aufgelistet. Falls kein entsprechendes Therapieangebot in der Nähe vorhanden ist, bieten die meisten Krankenkassen als Minimalangebot eine Ernährungsberatung an. Nicht zuletzt ist auch die Broschüre der BZgA für Eltern „Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen“ sehr zu empfehlen (http://www.bzga-kinderuebergewicht.de/adipo_mtp/medien/broschueren.htm).

2. Welche Möglichkeiten haben Zahnärzte und Kieferorthopäden Heranwachsenden das Thema "Übergewicht und Mundgesundheit" nahezubringen?

Noch schwieriger als den Eltern, ist es sicher den Kindern und Jugendlichen diese Problematik nahezubringen. Viele Kinder und Jugendliche leiden selbst sehr an ihrem Übergewicht, haben jedoch meist wenig konkrete Motivation beziehungsweise Veränderungsbereitschaft an dieser Problematik etwas zu ändern. Wir wissen aus Untersuchungen, dass extrem adipöse Jugendliche ihre Lebensqualität schlechter einschätzen als krebskranke Jugendliche.

Wichtig wäre auch hier ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Patienten und dem Zahnarzt. Im Gespräch muss der Jugendliche das Gefühl bekommen, das der Zahnarzt auf seiner Seite steht. Wichtig ist die wertschätzende Haltung im Gespräch mit den Kindern. Wenn man dieses schwierige Thema mit den Kinder und Jugendlichen anspricht wären konkrete Therapie-Angebote in der Region sehr hilfreich. Auch für die Kinder und Jugendlichen hat die BZgA eine sehr gute Broschüre herausgegeben: „Essgestört? Übergewichtig? So findest Du Hilfe“ (http://www.bzga-kinderuebergewicht.de/adipo_mtp/medien/broschueren.htm).

3. Was sind die größten Herausforderungen für die Arbeit mit adipösen Kindern?

Für uns ist die größte Herausforderung die Familien in der Adipositas-Therapie so motivieren zu können, dass sie sich auf eine langfristige Veränderung der Lebensstilfaktoren einlassen. Viele Familien erwarten schnelle Lösungen. Meist versuchen die Eltern die Therapie den Therapeuten zu überlassen und sich schnell zurückzuziehen. Hier ist es wichtig, die Aufgaben der Eltern und der Kinder klar zu definieren und deutlich zu machen, dass die Adipositas-Therapie ein Familienprojekt ist.

Eine besondere Herausforderung in der Adipositas-Therapie sind bildungsferne Familien. Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Schichten sind etwa dreimal häufiger von Übergewicht betroffen als die der sozial höheren Schichten. In diesen Familien sind häufig nicht die pädagogischen Kompetenzen vorhanden, den Kindern und Jugendlichen einen strukturierten Tagesablauf vorzugeben und klare Grenzen zu definieren.

Diese sind jedoch die Grundlagen für eine Veränderung der Lebensstilfaktoren Ernährung und Bewegung und damit für einen Therapieerfolg. Hier arbeiten wir nicht selten mit den Jugendhilfeträgern oder den Erziehungsberatungsstellen zusammen, die die Familien auch zu Hause begleiten können.

Prof. Dr. Annette Wiegand arbeitet an der Poliklinik für Präventive Zahnmedizin, Parodontologie und Kariologie an der Universitätsmedizin in Göttingen. Dr. Markus Röbl, ist Oberarzt der Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Göttingen.

Die Fragen stellte Daniela Goldscheck.

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