"Knapp die Hälfte der Läsionen wird nicht versorgt"

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Zahnmedizin
Schwarze Stümpfe statt weißer Perlen: Die Frühkindliche Karies zerstört offenbar zunehmend die Kindergebisse. Prof. Dr. Norbert Krämer ist Kinderzahnmediziner und erklärt die Zusammenhänge.

Die maßgeblichen Studien zur Zahngesundheit bei Kindern weisen - wenigstens bei den Zwölfjährigen - erfreuliche Erfolge auf. Welche Probleme stehen für Sie aktuell im Vordergrund?

Prof. Dr. Norbert Krämer:Wir haben nach wie vor eine Polarisierung der Karies. Dies äußert sich im Milchgebiss anhand der Frühkindlichen Karies, die nach wie vor vor allem durch "süßen" Flaschen-Abusus verursacht wird.

Ich finde es erschreckend, dass die Milchzahnkaries nur unzureichend versorgt wird. Knapp die Hälfte der Läsionen bei sechs- bis siebenjährigen Grundschülern bleibt offen und wird nicht versorgt. Ein weiteres Problem stellt die Zuwanderung von Menschen aus Krisenregionen dar. Diese haben unsere Prophylaxe-Aktivitäten nicht in Anspruch nehmen dürfen, so dass teilweise katastrophale Befunde festzustellen sind.

Sie haben sehr früh auf die Probleme aufmerksam gemacht, die für Kinder durch immer mehr zucker- und fettreichere Nahrungsmittel und immer weniger Bewegung entstehen, und auf die Notwendigkeit gezielter professioneller Prophylaxe und interdisziplinärer Zusammenarbeit hingewiesen. Trotzdem gab es noch nie so viele übergewichtige Kinder und die Häufigkeit der Frühkindlichen Karies steigt. Woran liegt das - was muss Ihrer Meinung nach verbessert werden?

Dies ist eine sehr vielschichtige Frage. Ob es wirklich eine Zunahme der Frühkindlichen Karies gibt, können wir nur vermuten, wirklich repräsentative Daten für die Republik wurden bis dato nicht publiziert. Fakt ist jedoch, dass nach wie vor die "gesüßte" Flasche eine wichtige Ursache für die Milchzahnkaries ist.

Vor diesem Hintergrund besteht frühzeitig Aufklärungsbedarf, schon bei Schwangeren. Die Babys und Kinder sollten mit etwa neun bis zwölf Monaten, 1,5 Jahren und dann mindestens jährlich dem Zahnarzt vorgestellt werden. Außerdem muss die Karies frühzeitig behandelt werden.

Je nach Kariesrisiko sollte abgewogen werden, ob erstens Füllungen oder Kronen angefertigt werden, zweitens endodontische Maßnahmen noch indiziert sind oder drittens eine Zahnerhaltung noch sinnvoll ist, um die bleibende Dentition nicht zu gefährden.

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Wohin geht die Entwicklung?

Was werten Sie als den größten Erfolg für die Kinderzahnmedizin? Wohin geht die Entwicklung?

Da gibt es kleine Dinge, die im Alter das Leben erleichtern, wie die Cervix-Matrize nach Fust. Für die Kinderzahnheilkunde in Deutschland war sicher ein wichtiger Impuls, dass wir trotz aller Widerstände die Spezialisierungsprogramme auf den Weg gebracht haben. In der Konsequenz haben wir auch den postgradualen Studiengang Kinderzahnheilkunde auf den Weg gebracht. Die Entwicklung sollte daher in Richtung Fachanerkennung unserer Disziplin gehen. Aus meiner Sicht wird die Einführung über die Europäische Union über kurz oder lang kommen. Diese schreibt ein dreijähriges Masterprogramm als Voraussetzung vor.

Hat sich der Bedarf an entsprechend spezialisierten Kolleginnen und Kollegen verändert?

Die IAPD (International Association for Paediatric Dentistry) hat bereits 1999 den Bedarf an Spezialisten für Industrieländer beschrieben. Dieser liegt bei 500 bis 600 Kindern. Zwei Parameter führen aus meiner Sicht zu einem Wachstum des Bedarfs in den nächsten Jahren:

  die steigende Zahl an Kindern mit Allgemeinerkrankungen

  als Zuwanderungsland wird die Zahl der Kinder in Deutschland wieder steigen.

Kinderzähne und Ernährung sind ein großes Thema der Aktion Zahnfreundlich. Wie wichtig ist das in der täglichen Praxis eines Kinderzahnarztes?

Leider beobachte ich, dass der Einfluss auf das Ernährungsverhalten in der täglichen Praxis sehr begrenzt ist und offensichtlich auch in den Praxen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Bei Erkrankungen wie bei der Frühkindlichen Karies hat jedoch das Abstellen des Habits „Flasche“ eine zentrale Bedeutung für den Erfolg unserer therapeutischen Maßnahmen.

Ich bedauere es ebenfalls, dass wir - anders als beispielsweise in Finnland - noch keine richtige Kultur bezüglich zahngesunder Zwischenmahlzeiten entwickelt haben. Xylit hat im hohen Norden eine ganz andere Bedeutung als bei uns. Vor diesem Hintergrund spielen für mich Ernährungsempfehlungen eine zentrale Rolle in der täglichen Praxis.

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Was kann man Eltern empfehlen?

Welche Verhaltens- und Ernährungsempfehlungen geben Sie selbst an Eltern und Paare, die es werden wollen?

Empfehlungen für die Zahngesundheit der Babys und Kinder beginnen bei den Eltern. Daher sollten Ratschläge bereits in der Schwangerschaft gegeben werden. Schwangerschaft: Die Eltern sollten kariesfrei sein, um mögliche Infektionsquellen zu minimieren. Außerdem ist es von Vorteil, wenn zahnschonende (Zwischen-)Mahlzeiten und ungesüßte Getränke schon zur Gewohnheit im Haushalt geworden sind. Nach der Geburt sollten die Babys gestillt werden. Aus zahnmedizinischer Sicht sollte spätestens bis zum ersten Geburtstag abgestillt und keine Flasche mehr benutzt werden.

Werden Sie sich als neuer Träger der Ehrenmedaille und als Ehrenmitglied aktiv in die Arbeit der Aktion Zahnfreundlich einbringen?

Ich bin nun bereits seit zwei Dekaden mit viel Freude Mitglied in dem Verein. Es ist für mich eine Ehre, mit Rat und Tat zu helfen, wo meine Hilfe gewünscht ist.

Welche Gedanken haben Sie bewegt, als Ihr Kollege Stefan Zimmer Sie über die Verleihung des Friedrich-Römer-Ehrenmedaille der Aktion Zahnfreundlich informierte?

Ich fühle mich sehr geehrt, eine solch hohe Auszeichnung zu erhalten, zumal ich Herrn und Frau Römer persönlich kennenlernen durfte. 1993 haben wir in Erlangen gemeinsam den Tag der Zahngesundheit gestaltet und haben dabei intensiv zusammengearbeitet. Außerdem durfte ich als damaliger Vorsitzender und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde einigen Input für seine Recherche zur Geschichte der Deutschen Zahnheilkunde so geben.

Ein weiterer Gedanke bewegte mich aber ebenfalls: „Jetzt wirst Du wirklich alt“! In der Regel erhalten solche Ehrungen doch eher Kolleginnen und Kollegen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn oder auch danach.

Das Interview führte Hedi von Bergh.

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