Orbitaphlegmone bei einem Kind

Susanne Schnabel, Simone Bojer, Herbert Rodemer
Zahnmedizin
Eine Zehnjährige wird mit einer starken und schmerzhaften periorbitalen Rötung und Schwellung mit Protrusio bulbi rechts vorstellig. Aufgrund einer Pansinusitis hatte sich eine ausgeprägte Orbitaphlegmone am rechten Auge entwickelt.

Das Mädchen wurde uns konsiliarisch von den Kollegen der Kinderklinik zur Mitbehandlung vorgestellt. Dort kam es als Notfall wegen einer zunehmenden Schwellung periorbital rechts und Schmerzen beim Bewegen der Augen. Zusätzlich klagte die Patientin über Kopfschmerzen und Schwindel.

Der Allgemeinzustand war deutlich reduziert, gleichzeitig bestanden subfebrile Temperaturen. Allgemeinerkrankungen und Allergien des Kindes waren nicht bekannt. Laborchemisch waren eine Leukozytose von 12,1/nl sowie ein CRP Anstieg von 27,6 mg/l auffällig.

Aufgrund der akuten Entzündungssymptomatik erfolgten die umgehende stationäre Aufnahme und die Einleitung einer hochdosierten intravenösen Antibiose mit Cefuroxim. Bei der ophthalmologischen Untersuchung äußerten die Kollegen der Augenklinik den dringenden Verdacht auf das Vorliegen einer Orbitaphlegmone und stellten uns das Kind mit der Bitte um chirurgische Therapie vor.

Klinische Diagnosestellung

Die klinische Untersuchung zeigte eine ausgeprägte und schmerzhafte periorbitale Rötung und Schwellung mit Protrusio bulbi (Exophthalmus) rechts (Abbildung 1). Das rechte Auge konnte nicht aktiv geöffnet werden. Die Nasenatmung war verlegt. Rechts cervikal waren vergrößerte Lymphknoten tastbar. Enoral zeigte sich keine erkennbare Schwellung, die Zähne im Oberkiefer waren kariesfrei, so dass eine dentogene Ursache ausgeschlossen werden konnte. In der augenärztlichen Untersuchung zeigten sich Bulbus-Motilitätsstörungen und eine Diplopie.

Aufgrund dieser Befunde und der klinischen Untersuchung wurde zur weiteren Abklärung eine Magnetresonanztomografie des Mittelgesichts veranlasst. Dabei sah man eine deutliche Protrusio bulbi rechts mit hierdurch gestrecktem Verlauf des N. opticus. Des Weiteren konnte man eine Schleimhautschwellung mit kompletter Sekretausfüllung des Sinus maxillaris rechts ausmachen. Flüssigkeitsverhalte zeigten sich ebenfalls im Sinus sphenoidalis rechts, in den Ethmoidalzellen und in der Nasenhaupthöhle.

Zudem fand sich eine 3,2 x 0,9 Zentimeter große Raumforderung im kranialen Teil der Orbita mit Verdrängung des Bulbus nach kaudal (Abbildung 2). Mit Blick auf den MRT-Befund und die akute Symptomatik mit einer beginnenden Ophthalmoplegie ergab sich die Diagnose eines Orbita-Abszesses und damit die Indikation zur notfallmäßigen chirurgischen Entlastung, zumal eine Gefährdung des Visus bestand.

Abszessinzision mit supraorbitalem Zugang rechts

In oraler Intubationsnarkose erfolgte in der rechten Augenbraue ein etwa zwei Zentimeter langer Schnitt in Richtung medialer Augenwinkel rechts; von hier aus die schichtweise Präparation auf den Supraorbitalrand. So dann die Inzision und das Abheben der Periorbita mit breitflächiger Eröffnung der zwischen Orbitadach, medialer Orbitawand und Periorbita gelegenen Abszesshöhle aus der sich spontan reichlich rahmiger Pus entleerte (Abbildung 3).

Intraoperativ erfolgten eine Abstrichnahme, die mehrfache Spülung der Abszesshöhle sowie die Einlage und Fixation einer Easy-Flow-Drainage und die Anlage eines Verbandes.

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Postoperative Therapie

Die präoperativ eingeleitete hochdosierte intravenöse Antibiose wurde nach Erhalt des  Antibiogramms auf Cefuroxim 1g und Penicillin G 5 Mega intravenös dreimal täglich von den Kollegen der Kinderklinik erweitert. Im intraoperativ entnommenen Abszessabstrich gelang der Nachweis vergrünender Streptokokken, welche auf beide Antibiosen sensibel reagierten. Darüber hinaus wurden lokal physikalisch abschwellende Maßnahmen durchgeführt.

Postoperativ erfolgte regelmäßig die konsiliarische Vorstellung des Kindes in der Augenklinik. Es zeigte sich eine Besserung der Bulbusmotilität, die ursprünglich aufgetretenen Diplopien bestanden nicht mehr. Unter täglicher Spülung über die Drainage kam es zu einer Regredienz der Entzündungssymptomatik, so dass die Drainage am vierten postoperativen Tage entfernt werden konnte.

Zur weiteren Beurteilung, ob eine Sanierung der Sinusitiden und Fokusbeseitigung durch eine endonasal-endoskopische Pansinusoperation ratsam ist, wurde die Patientin unter Fortführung der intravenöser Doppelantibiose in eine Hals-, Nasen- und Ohrenklinik verlegt.

Fazit

Generell werden die Orbitainfektionen und ihre Komplikationen nach Chandler et al. wie folgt eingeteilt:I. Entzündliches Ödem (präseptale Cellulitis)II. Orbitale Cellulitis / PeriostitisIII. SubperiostalabszessIV. OrbitaphlegmoneV. Sinus cavernosus Thrombose[Chandler et al., 1970]

Bei der Orbitainfektion in unserem beschriebenen Fallbericht handelt es sich bereits um eine Orbitaphlegmone (Stadium IV). Die Orbitaphlegmone ist eine gefährliche bakterielle Infektion, die im schlimmsten Fall bei einer Nichtbehandlung mit der Erblindung des betreffenden Auges oder sogar mit dem Tod durch eine Sepsis einhergehen kann. Daher ist eine schnelle Diagnostik und Therapie unabdingbar [Fechner et al. 2000].

In diesem Stadium der Orbitainfektion ist die Entzündung durch die weitere Ausbreitung durch die Periorbita in die intrakonal gelegenen Augenmuskulatur infiltriert [Fokkens et al. 2012]. Die Bakterien Staphylococcus aureus und Strepptokokken sind die häufigsten Erreger einer Orbitaphlegmone [Fechner et al. 2000].

In den meisten Fällen entsteht die Orbitaphlegmone auf dem Boden einer unbehandelten Sinusitis (Nasennebenhöhlenentzündung) - wie auch in unserem beschriebenen Fall. Die Bakterien breiten sich von den Nasennebenhöhlen weiter in Richtung Augenhöhle oder sogar bis ins Gehirn aus. 

Kinder sind aufgrund der noch sehr weichen knöchernen Strukturen besonders anfällig für die Ausbreitung einer Sinusitis auf die Augenhöhle. Erste Warnhinweise für das Vorliegen einer Orbitaphlegmone sind ein gerötetes und geschwollenes Augenlid, starke Schmerzen, ein Exophthalmus, eine Visusminderung und Motalitätsstörungen.

In solchen Fällen sollte direkt mit einem hochdosierten intravenös verabreichten Antibiotikum begonnen werden. Ist das nicht ausreichend, sollte eine Abszessinzision oder sogar einer Sanierung der Nasennebenhöhlen erfolgen. Bei einer Orbitaphlegmone spricht man immer von einer Notfallsituation [Gallagher et al. 1998; Hytönen et al. 2000; Lehnerdt et al. 2011; Reid 2004].

Susanne Schnabel, Dr. Simone Bojer, Dr. Dr. Herbert RodemerKlinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Klinikum Saarbrücken GmbhWinterberg 1, 66119 Saarbrückensbojer@klinikum-saarbruecken.de

Chandler JR, Langenbrunner DJ, Stevens ER: The pathogenesis of orbital complications in acute sinusitis. Laryngoscope 80 (9), 1414–1428, 1970

Fechner P, Teichmann K: Medikamentöse Augentherapie: Grundlagen und Praxis. Enke im Georg Thieme Verlag, 4. Auflage 2000

Fokkens WJ, Lund VJ, Mullol J, Bachert C, Alobid I, Baroody F: European Position Paper on Rhinosinusitis and Nasal Polyps 2012. Rhinol. Suppl. [23], S. 3 p preceding table of contents, 1-298, 2012

Gallagher RM, Gross CW, Phillips CD: Suppurative intracranial complications of sinusitis. Laryngoscope; 108:1635-1642, 1998

Hytönen M, Atula T, Pitkäranta A: Complications of acuata sinusitis in children. Acta Otolaryngol Suppl.; 543: 154-157, 2000

Lehnerdt G, Peraud A, Berghaus A, Hoffmann TK, Sommer K, Rotter N, Lang S: Orbitale und intrakranielle Komplikationen akuter Sinusitiden. Diagnostik und Therapie bei Kindern und Jugendlichen. HNO 59 [1], 75-86; quiz 87-8, 2011

Reid JR: Complications of pediatric paranasal sinusitis. Pediatr Radiol; 34: 933-42 [Heft 12], Epub 2004 Jul 27.

  

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