Sylter Woche

So erkennt man CMD

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ZahnmedizinFunktionslehre
Was sind craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD), wie erkennen wir sie und was sind die Risikofaktoren? Auf der Sylter Woche gab Prof. Ingrid Peroz, Charité Berlin, einen fundierten Einstieg in die Thematik.

Ätiologische Faktoren: Okklusion, Bruxismus, Stress, Traumata

Zu den ätiologischen Faktoren zählt Peroz die Okklusion, Bruxismus, Stress oder Traumata. Dem entgegen stehen Peroz zufolge unsere Fähigkeiten, mit Stress umzugehen, sowie biologische, hormonelle und genetische Faktoren. Sind die ätiologischen Faktoren sehr dominant und die Widerstandsfähigkeit nicht hoch genug, könne das Gleichgewicht gestört werden und eine CMD entstehen.

Peroz begann ihren Vortrag mit der Definition der craniomandibulären Dysfunktionen (CMD). Diese umfassen Schmerz und / oder Dysfunktion. Der Schmerz könne in den drei Strukturen auftreten, die unser craniomandibuläres Kauorgan bestimmen: der Muskulatur (Muskelschmerz), dem Kiefergelenk (Gelenkschmerz) und den Zähnen (schmerzbedingt durch parafunktionelle Aktivitäten). Dysfunktion könne sich in Form von Bewegungseinschränkungen, Überbeweglichkeit, Koordinationsstörungen, Gelenkschmerzen, zahnbezogenen Vorkontakten oder Gleithindernissen beim Zusammenbiss äußern.

Okklusion ist nicht Haupt-, sondern Kofaktor

CMD kann somit als multikausales Geschehen verstanden werden, betonte Peroz. Dabei werde die Okklusion als ätiologischer Faktor bisweilen kontrovers diskutiert. Es gebe bislang keine okklusalen Parameter, die eindeutig mit craniomandibulären Dysfunktionen korrelierten. Einzig der offene Biss trete häufig im Zusammenhang mit CMD auf. Okklusion sei demnach aktuell nicht mehr ein Hauptfaktor, sondern als Kofaktor für CMD.

Bruxismus hingegen stellt laut Peroz eindeutig einen Risikofaktor dar, wobei die Prävalenz in der Literatur mit 8 bis 68 Prozent recht uneinheitlich angegeben wird. Es könne differenziert werden in Schlaf- und Wachbruxismus, wobei die Symptome variieren. Sie reichen vom Einsaugen der Wangenschleimhaut bishin zu exzessiven Schliffacetten.

Bruxismus ist dagegen ein Risikofaktor

Bruxismus sei dabei grundsätzlich als Muskelaktivität der Kaumuskulatur definiert. Zu Wachbruxismus zählen demnach nicht nur unbewusste, parafunktionelle Aktivitäten, sondern auch berufsbedingte Belastungen wie das Spielen von Blasinstrumenten oder das Beißen auf ein Tauchermundstück. Schlafbruxismus habe eine hohe Assoziation mit Schlafstörungen wie Schlafapnoe, Insomnie oder Alpträumen und trete meist am Übergang zwischen REM und non-REM Phasen auf.

Peroz erklärte, dass eine physiologische Kontaktsituation der Zähne von rund 30 Minuten über den Tag hinweg besteht. Nachts könne die Dauer der Bruxismus-Phasen allein innerhalb eines Schlafzeitraums von 8 Stunden durchschnittlich 38,7 Minuten betragen. Dabei würden ungefähr 60 Prozent der Kaukraft aufgewendet und die Kräfte seien vorwiegend in horizontal ausgerichtet.

Charakteristisch seien zudem exzentrische Positionen, eine eher isometrische statt isotonische Muskelaktivität sowie das Abstumpfen protektiver Reflexe, was die Wahrscheinlichkeit pathologischer Effekte im Vergleich zur normalen Aktivität erhöht.

Makro-und Mikrotraumen können CMD begünstigen

Stress, Medikamente (Antidepressiva), aber auch exzessiver Kaffee- oder Alkoholkonsum korrelieren laut Peroz sehr stark mit Bruxismus und CMD. Zudem gebe es eine geschlechterspezifische Prädisposition: Frauen seien häufiger betroffen als Männer. Traumata wie zum Beispiel eine Weisheitszahnoperation, Intubationsnarkose oder ein Unfall könnten ebenfalls eine CMD begünstigen.

Wie erkennen wir nun eine CMD? Peroz empfiehlt zunächst eine Basisdiagnostik durch einen Screening-Fragebogen (kostenlos zugänglich über die Seite der DGFDT (Befundbögen auf dgfdt.de) . Farblich markierte Felder weisen hier auf eine eventuelle oder zwingend erforderliche weiterführende Diagnostik hin. Bei unauffälliger Anamnese sollten wenigstens drei aussagekräftige Strukturen untersucht werden: die Kaumuskulatur, das Kiefergelenk, sowie die Mobilität des Unterkiefers.

Ein gesunder Muskel ist nicht palpationsempfindlich

Die Muskelpalpation sei wichtig, weil Muskulatur bei einer Überaktivität verspannt, so Peroz. Ein Muskel solle beim Palpieren demnach nicht weh tun. Sie empfiehlt eine bimanuelle Palpation des Musculus masseter sup. und des Musculus temporalis ant. mit 1 bis 2 Fingern von extraoral mit ungefähr 1.000 Gramm Druck und einer Dauer von maximal 20 Sekunden.

Gewertet werden sowohl die Angaben des Patienten als auch palpierbare Muskelverhärtungen. Bei Palpation des Kiefergelenks könne eine Druckdolenz zum Beispiel von einer Entzündung der Gelenkkapsel oder der bilaminären Zone ausgehen.

Die Palpation könne hier von präauriculär (Gelenkkapsel) und intraauriculär (bilaminäre Zone) erfolgen. Die Mundöffnung sollte ungefähr 40 Millimeter betragen (gemessen werden Überbiss + SKD). Eine eingeschränkte Mundöffnung könne verschiedene myogene, arthogene oder psychogene Ursachen haben.

Bei einer stabilen Interkuspidationsposition bestehe überall gleichmäßiger Okklusionskontakt, bei Vorkontakten könnten hingegen Gleitbewegungen bestehen. Zur Prüfung von Okklusionsstörungen schlägt Peroz eine visuelle, akustische oder mittels Shimstockfolie zu erfolgende Prüfung vor. Liegen Kiefergelenksgeräusche vor, könnten diese durch präauriculäre, bimanuelle Palpation bei Öffnungs-und Schließbewegungen detektiert werden. Ursächlich für Kiefergelenksgeräusche seien zum Beispiel Diskusdislokationen.

Verschiedene Klassifikationen für CMD

Peroz stellte verschiedene Klassifikationen vor, so zum Beispiel die Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders (RDC/TMD) aus dem Jahr 1992, die CMD in drei große Untergruppen aufteilen. Die erste Gruppe umfasst dabei myofasziale Schmerzzustände, die zweite Gruppe die Diskusverlagerungen und die dritte Gruppe Arthritis, Arthrose und Arthralgie.

Eine neuere Klassifikation (Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders) richtet sich mit insgesamt 12 Diagnosen eher nach dem klinischen Beschwerdebild – die anamnestischen Angaben werden hier direkt den Diagnosen zugeordnet. Eine weitere Klassifikation der DGFDT ist derzeit in Überarbeitung.

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