Zahnmedizin: 5.000 Jahre älter als gedacht

ck/mg
Zahnmedizin
Ein Forscherteam untersuchte den kariösen Weisheitszahn eines 14.000 Jahre alten Menschen, dessen Überreste 1988 in der Felshöhle von Riparo Villabruna in Norditalien gefunden wurde: Das Loch im Zahn wurde mit einer kleinen spitzen Steinklinge bearbeitet wurde.

Der älteste Nachweis für einen zahnmedizinischen Eingriff stammt damit aus dem Jungpaläolithikum. Der Nachweis ist damit rund 5.000 Jahre älter als die in Pakistan entdeckten Backenzähne mit Bohrlöchern aus dem Neolithikum.

Karies zählt zu den häufigsten Infektionskrankheiten in modernen Industriestaaten. Doch auch steinzeitliche Jäger und Sammler hatten schon ein Problem mit faulenden Zähnen, mit dem Einzug von Ackerbau und Viehzucht sowie der damit verbundenen veränderten Ernährung hatte sich diese Erkrankung ausgebreitet hat.

Erste Eingriffe an kariösem Zahngewebe gab es vor mindestens 14.000 Jahren

Nachweise für vorzeitliche Zahnbehandlungen sind allerdings äußerst selten. Die bisher ältesten Funde stammen aus der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, vor rund 9.000 Jahren. „Doch der Backenzahn aus Villabruna beweist, dass es bereits vor mindestens 14.000 Jahren, in der jüngeren Altsteinzeit, erste Eingriffe an kariösem Zahngewebe gab“, erklärt PD Dr. Ottmar Kullmer, Mitautor der Studie sowie Experte für Evolution und Funktionsmorphologie von Urmenschen-Zähnen im Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt am Main.

Das internationale Forscherteam untersuchte das Fundstück mit verschiedenen fachübergreifenden Methoden: Unter anderem schlossen die Wissenschaftler mithilfe einer Rekonstruktion des Gebisses aus, dass die markanten Absprengungen und Rillen am Zahnschmelz durch den Kauvorgang verursacht worden sein könnten.

„Aufnahmen mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM), Profilanalysen der Spuren und der Vergleich mit den rekonstruierten Kaubewegungen zeigen uns, dass im Zahnloch mit Gegenständen manipuliert wurde“, sagt Kullmer und führt aus: „Die experimentellen Tests legen es nahe, dass die Rillen von sogenannten Mikrolithen, sehr kleinen steinzeitlichen Klingen oder Spitzen von bis zu drei Zentimeter Länge, verursacht wurden.“

Schon in der Altsteinzeit entfernte man infiziertes Gewebe und reinigte Löcher im Zahn

„Der Villabruna-Backenzahn ist älter als alle früheren Funde, die zahnmedizinische Operationen wie Bohrungen oder Eingriffe am Schädel belegen. Unser Fund lässt aber darauf schließen, dass Menschen schon in der Altsteinzeit wussten, dass von Karies befallene Zähne behandelt werden müssen, indem infiziertes Gewebe entfernt und Löcher im Zahn gereinigt werden“, stellt Dr. Stefano Benazzi, Hauptautor der Studie von der Universität Bologna fest.

„Das Entfernen von Essensresten mit Hilfe von Zahnstocherähnlichen Werkzeugen z.B. aus Holz ist schon von Beginn der Gattung Homo an dokumentiert. Anscheinend wurde diese Gewohnheit weiterentwickelt zu einer schabenden oder hebelnden Behandlung von schadhaften Zähnen, bevor die Methode des Bohrens entwickelt wurde, die wir heute in der modernen Zahnmedizin kennen“, fügt Marco Peresani von der Universität Ferrara hinzu.“

Gregorio Oxilia, Marco Peresani, Matteo Romandini, Chiara Matteucci, Cynthianne Debono Spiteri, Amanda G. Henry, Dieter Schulz, Will Archer, Jacopo Crezzini, Francesco Boschin, Paolo Boscato, Klervia Jaouen, Tamara Dogandzic, Alberto Broglio, Jacopo Moggi-Cecchi, Luca Fiorenza, Jean-Jacques Hublin, Ottmar Kullmer & Stefano Benazzi, Earliest evidence of dental caries manipulation in the Late Upper Palaeolithic. Sci. Rep. 5, 12150; doi: 10.1038/srep12150 (2015).

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