Zwei Mal täglich die Welt retten

Susanne Theisen
Zahnmedizin
Alles geht heute bio - auch Zahnbürsten. Die Designer Benjamin Beck und Fabian Ghoshal haben eine aus Biokunststoff entworfen: "Ein Produkt, das die Ansprüche der Mundhygiene erfüllt und mit dem man zwei Mal am Tag die Welt retten kann!"

Ist TIO ein Akronym?

Benjamin Beck:Nein. Der Name geht auf einen Südamerikaurlaub zurück, den ich kurz vor Start des Projekts gemacht habe. Dort ist Tio ein Rufname. Er ist kurz und einprägsam und hat einen sehr schönen, freundlichen Klang. Als wir auf der Suche nach einem Namen für unsere Zahnbürste waren, fiel uns Tio wieder ein.

Fabian Ghoshal:Wir hatten vorher versucht, einen Namen zu konstruieren. Aber keine der Ideen hat sich passend angefühlt. An TIO gefällt uns, dass es anders klingt als Dentalprodukte üblicherweise heißen. Dass TIO sich auf bio reimt, ist nur ein Zufall.

Wann ist die Idee zu TIO entstanden?

Ghoshal:Das erste Mal darüber gesprochen haben wir in einem Surfurlaub im Oktober 2012. Wir waren beide irgendwie unzufrieden mit unseren Jobs für große Konzerne und fanden den Gedanken reizvoll, etwas Eigenes zu machen. Die Frage war nur: Was? Auf die Idee für die Biozahnbürste sind wir gekommen, weil ich mich im Studium mit Biokunststoff beschäftigt hatte und Benni schon Erfahrungen im Produktdesign von Zahnbürsten hatte.

Beck:Nach dem Urlaub fingen wir gleich an zu recherchieren. Dann hatten wir aber beide total viel Stress im Job und das Projekt lag ein Jahr lang brach.

Wie ging es weiter?

Beck:Mein Job löste sich auf und ich wusste erst nicht so recht, was ich als nächstes machen wollte. Ich hatte keine Lust, wieder in einer Agentur zu arbeiten. Also belebten wir das Projekt.

Ghoshal:Ich hatte kurz zuvor meinen Job gekündigt, weil ich meine Projekte nicht mehr anziehend fand. Ich habe Haushaltsgeräte für einen Markenhersteller gestaltet. Es gab kaum Interesse an echten Innovationen, weil die Hersteller nicht risikobereit waren. In großen Unternehmen ist es schwer Innovationen durchzubringen. Das Geschäft läuft meist gut, so wie es ist. Zudem sind Prozesse sehr langwierig - das ist kein guter Nährboden für Innovationen.

Beck: Es ist uns beiden oft passiert, dass große Marken sich nichts Neues trauen, aus Angst, unter den Profitzielen zu bleiben. Das Thema Biokunststoff, das wir sehr interessant fanden, konnten wir überhaupt nicht unterbringen. Biokunststoff ist zurzeit noch teurer als etablierte Kunststoffe, und auch die Materialeigenschaften sind noch nicht ganz ausgereift. Von daher bietet er Firmen keinen Mehrwert.

Was ist Biokunststoff?

Ghoshal:Er basiert auf nachwachsenden Rohstoffen wie beispielsweise Zuckerrohr oder Mais. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen biobasierten und biologisch abbaubaren Biokunststoffen. Es gibt aber auch Biokunststoffe, die auf petrochemischen Materialien basieren, und biologisch abbaubar sind.

Und was an dem System ist noch nicht ausgereift?

Beck:Zum Beispiel ist die Verrottungsdauer in der industriellen Kompostieranlage gegenüber dem restlichen kompostierbaren Müll noch deutlich länger. Biologisch abbaubare Produkte werden aus diesem Grund meist erst gar nicht in die Anlagen befördert, sondern thermisch verwertet. Wir haben uns deshalb erst einmal bewusst gegen einen kompostierbaren, aber für einen biobasierten Biokunststoff entschieden. Allerdings können wir unsere Werkzeugformen auch für einen kompostierbaren Biokunststoff verwenden, sobald die Entwicklungen der Infrastruktur hier weiter fortgeschritten sind.

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"Wir denken, das ist die beste Alternative zu limitierten fossilen Rohstoffen!"

Ghoshal:Uns ist auch bekannt, dass es durchaus kritische Aspekte hinsichtlich der Verwendung von Biokunstoffen gibt, zum Beispiel dass die Rohstoffe auf Flächen angebaut werden, auf denen auch Nahrungsmittel produziert werden könnten. Zurzeit findet das noch nicht in kritischem Maße statt, die Nutzung der weltweiten Anbaufläche für Biokunststoffe liegt bei unter einem Prozent.

Wir denken jedoch, dass es langfristig die beste Alternative gegenüber limitierten fossilen Rohstoffen ist. Es können regionale Rohstoffe verwendet werden, der Anbau der Rohstoffe kann optimiert werden, Überschüsse oder Beiprodukte aus der Produktion können verwertet werden und auch Naturkatastrophen wie Öltankerunfälle erledigen sich dadurch. Wir sehen also viel Optimierungspotenzial, wenn hier jedoch kein Bedarf beim Kunden geweckt wird, werden die Entwicklungen auch nicht weiter voran getrieben.

Welchen Biokunststoff verwenden Sie in TIO?

Ghoshal:Wir arbeiten mit einem italienischen Hersteller zusammen. TIO wird aus einem Kunststoff dieser Firma bestehen. Er basiert auf Zuckerohr beziehungsweise Bioethylen. Die Borsten sind aus Bionylon.

Wollen Sie TIO auch in Italien fertigen lassen?

Ghoshal:Nein, wir werden mit einem deutschen Hersteller von medizinischen Geräten zusammenarbeiten, der bereits Erfahrung mit Biokunststoffen hat und in dem Bereich auch mit Start-ups kooperiert.

Beruht die Nachhaltigkeit von TIO allein auf der Verwendung von Biokunststoffen?

Ghoshal:Das ist ein zentraler Aspekt, aber nicht der einzige. Wir setzen nicht nur auf die Art der Materialien, sondern auch auf deren minimalen Einsatz. Wir verzichten beispielsweise auf Gummierungen, um eine Griffzone zu schaffen. Die Griffzone von TIO besteht aus einem kleinen erhabenen Punktmuster. Das reicht unserer Meinung nach aus und ist viel umweltfreundlicher, denn man spart sich den Einsatz von Weichmachern. Der Kern der Ersparnis ist aber, dass wir den Materialaufwand für die Verpackung des Produkts und die Zahnbürste selbst minimieren. 

Wie funktioniert das?

Ghoshal:TIO beruht auf einem Steckkopfprinzip. Es gibt einen Griff- und einen Halsbereich. Ausgetauscht wird immer nur der Hals, den wir als Hygienebereich bezeichnen. Den Griff kann man mehrfach verwenden.

###more### ###title### "Unsere Bürste produziert 70 Prozent weniger Müll" ###title### ###more###

"Unsere Bürste produziert 70 Prozent weniger Müll"

Beck:Man tauscht nicht nur den Bürstenkopf aus, sondern ein längeres Stück. Dadurch verhindert man, dass der Stiel schnell abgekaut aussieht und die Nutzer ihn doch schneller austauschen.

Ghoshal:Da man den Griff nicht in den Mund steckt, werden wir ihn auch nicht verpacken. Damit lehnen wir uns aus dem Fenster, denn es kann durchaus sein, dass sich dafür keine Marktakzeptanz findet. Vielleicht wollen die Verbraucher ihre Zahnbürste doch lieber komplett im Blister verpackt kaufen. Wer sich aber für TIO entscheidet, produziert dadurch 70 Prozent weniger Müll im Vergleich zu anderen Zahnbürsten. So einfach kann man zwei Mal am Tag, bei jedem Putzen, die Welt retten. 

Bei Zahnbürsten geht es ja nicht nur ums Material, sondern vor allem um die richtige Form. Woher kommt da Ihr fachliches Know-how?

Beck:Im Laufe unserer Recherchen sind wir auf die Firma Zahoransky aufmerksam geworden, die Werkzeuge für viele Zahnbürstenhersteller liefert. Zahoransky hat vor ein paar Jahren gemeinsam mit der Hochschule Zwickau eine kompostierbare Zahnbürste entwickelt.

Ghoshal:Wir haben den damaligen Geschäftsführer des Unternehmens, Volker Dreher, kontaktiert. Er fand unser Projekt interessant und hat uns zu sich eingeladen. Wir haben uns sehr lange unterhalten und viele Infos bekommen, zum Beispiel, worauf es bei Borstenkopflänge und Borstenprofil ankommt.

Hatten Sie auch Unterstützung von einem Zahnmediziner?

Ghoshal:Wir haben unser Projekt Prof. Dr. Stefan Zimmer von der Universität Witten-Herdecke vorgestellt und ihn speziell zum Thema Borstenprofil befragt.

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Der Tipp vom Profi: Nutzerzentriert entwerfen!

Beck: Zufälligerweise betreute er gerade eine Doktorarbeit, die sich mit der Frage nach dem besten Borstenprofil beschäftigte. Prof. Zimmer hat uns den Rat gegeben, nutzerzentriert zu entwerfen. Das heißt: Die ausgefeilteste Bürstenkopfform bringt nichts, wenn sie nicht zum durchschnittlichen Putzverhalten passt. Aus diesem Grund kam für uns zum Beispiel kein sehr kleiner Kopf in Frage. Der wäre zwar wendig, man müsste mit ihm aber fünf Minuten putzen, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Die meisten Menschen putzen ihre Zähne aber nur zwei Minuten. Der Kompromiss war für uns ein größerer Kopf, der sich zwar nicht so gut anpasst, aber in dieser Zeit mehr Fläche abdeckt.

Worauf haben Sie beim Design sonst noch geachtet?

Benjamin Beck: Auf einen Wechsel der Borstenlänge zwischen kurz und lang und abgerundete Borstenspitzen. Prof. Zimmer hat uns auch bezüglich der Stärke beraten. Man muss auch da Kompromisse machen. Unser Fazit ist, dass man nicht die ideale Zahnbürste für jeden entwerfen kann. Wir wollen ein gutes Produkt für die breite Masse machen.

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An erster Stelle steht die Mundhygiene - dann erst kommt der Umweltschutz

Mit welchen anderen Bioprodukten konkurrieren Sie?

Ghoshal:Natürlich gibt es bereits nachhaltige Zahnbürsten, zum Beispiel Bambus- oder andere Holzzahnbürsten kombiniert mit Schweineborsten oder Miswakwurzeln. Uns fiel bei unseren Recherchen auf, dass diese Produkte alle sehr nachhaltig waren, aber unserer Meinung nach total aus dem Fokus ließen, dass man eine professionelle Zahnpflege haben möchte. Schweineborsten beispielsweise sind innen hohl, so dass sich dort Bakterien sammeln können. Außerdem kann die Spitze der Borsten das Zahnfleisch verletzen. Wir folgen mit TIO einer anderen These: Kunden handeln im ersten Schritt im Sinne ihrer Mundhygiene und möchten erst im zweiten Schritt etwas für die Umwelt tun.

Und wieviel müssen sie für TIO bezahlen?

Ghoshal:In der Apotheke kann man bis zu vier Euro für eine Zahnbürste ausgeben. Dort wollen wir aber gar nicht hin, unser Ziel sind Biosupermärkte. TIO wird weniger kosten, aber auch kein Billigprodukt sein. Wir wollen uns in dem Bereich ansiedeln, in dem auch etablierte Marken ihre Produkte anbieten, bei circa drei Euro.

Glauben Sie, dass Sie eine Marktlücke entdeckt haben?

Beck:Wir haben keine Studie gemacht, aber wir haben mit Biosupermärkten Kontakt aufgenommen, die grundsätzlich Interesse haben. 

Ghoshal:Unsere Marktforschung ist unsere Crowdfunding-Kampagne auf der PlattformKickstarter.de. Sie läuft seit Mitte Mai. Wir werden sehen, wie viele Leute sich beteiligen.

Beck:Crowdfunding war interessant für uns, weil wir dadurch direkt Interessenten schaffen, die TIO auch wirklich haben wollen. Die Alternative wäre gewesen, die Zahnbürsten erst fertigen zu lassen und dann unter Umständen keinen Abnehmer zu finden. Das Risiko wollten wir nicht eingehen.

Wieviel Startkapital soll auf Kickstarter zusammenkommen?

Ghoshal:Wir wollen 40.000 Euro generieren.

Was passiert, wenn Sie das geschafft haben?

Ghoshal:Dann werden die Werkzeuge gefertigt und es kann losgehen. Das Produktionsvolumen wird sich danach richten, wie viel Nachfrage es laut Kickstarter gibt.

Beck:Ausgeliefert werden können die Zahnbürsten dann im Oktober.

Was ist, wenn nicht genug Geld zusammenkommt?

Beck:Dann gehen wir zurück in die Industrie und machen nur noch Sachen, die uns gesagt werden. (lacht)

Ghoshal:Genau. Nein, im Ernst, selbst wenn TIO nicht einschlägt wie erhofft, haben wir uns sehr viele Kompetenzen im Bereich Biokunststoff erarbeitet. Die werden  uns bei anderen Projekten nützlich sein. Und irgendwann, davon sind wir überzeugt, wird sich Biokunststoff etablieren.

Zur Person Fabian Ghoshal, 30 Jahre, hat an der HfG Schwäbisch Gmünd und der TU München studiert. Er arbeitet als freier Produktdesigner in München. Benjamin Beck, 31 Jahre, hat an der HfG Schwäbisch Gmünd studiert und arbeitet als freier Produktdesigner in Berlin.    

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