zm-online: Wie würden Sie die zahnmedizinische Versorgung in Namibia beschreiben?
Schifferdecker: Die zahnärztliche Versorgung in den wenigen "Ballungsgebieten" ist für afrikanische Verhältnisse gut bis sehr gut. Es werden sogar hochwertige zahnmedizinische Behandlungen mit Rahmenprogramm „Safari“ angeboten. Allerdings ist diese gute zahnmedizinische Versorgung für weite Teile der Bevölkerung überhaupt nicht zugänglich. Im afrikanischen Hinterland ist teilweise keine zahnmedizinische Versorgung gewährleistet.
Wir sind nun sein zwei Jahren in Namibia im Einsatz - zunächst haben wir nur in der Region Otjozondjupa gearbeitet. Dort haben wir eine feste Zahnstation im Bezirkskrankenhaus von Grootfontein installiert. Die Patienten kamen aus Grootfontein und den umliegenden Orten. Sie hätten zwar einen Zahnarzt in Grootfontein gehabt, sich dessen Dienste aber nicht leisten können.
Zusätzlich behandeln wir mit mobilen Einheiten im Outreach (etwa eine halbe Tagesreise von Grootfontein entfernt). Hier haben wir in erster Linie Buschleute als Patienten, die auf Vorankündigung zu den Gesundheitsstationen kommen, die wir besuchen. Diese Menschen haben teilweise noch nie zuvor einen Zahnarzt besucht und haben dazu auch noch nie die Möglichkeit gehabt.
Warum setzten Sie sich gerade für dieses Land so stark ein?
Mit dem gesamten südlichen Afrika verbindet mich eine lange persönliche Freundschaft. Während meines Studiums habe ich mehrere Auslandssemester in Kapstadt verbracht und von dort aus Reisen innerhalb des südlichen Afrika unternommen. Namibia als direkter Nachbar von Südafrika habe ich zu dieser Zeit mehrfach bereist und dieses Land hat mich sofort fasziniert.
In Namibia ist mir aber auch die extreme Armut vieler Menschen, insbesondere vieler der Eingeborenen, vor Augen geführt worden. Mein Ziel ist daher, dem Land und seinen Menschen, die mir mit Herzlichkeit und Offenheit begegnet sind und deren Gutmütigkeit mich immer fasziniert hat, etwas zurückzugeben.
Namibia ist ein Land, in dem die Uhr noch anders tickt. Wer das Land einmal bereist und die Menschen kennengelernt hat, wird von einer positiven „Afrika-Sucht“ leicht angesteckt.
Und wie viele von DWLF unterstützte Zahnstationen gibt es in Namibia?
Als wir mit der Arbeit in Namibia begonnen haben, hatten wir die Genehmigung bekommen, in der Region Otjozondjupa zu arbeiten. DWLF hat daraufhin von Namibia sein Quartier in Grootfontein aufgeschlagen. Dort haben wir eine kleine Wohnung angemietet, die als Basisstation und auch ein Stück weit als Lager und Austauschzentrale dient.
Im Hospital von Grootfontein hat DWLF eine Zahnstation mit einer festen Behandlungseinheit und einer mobilen Einheit eingerichtet. Die ist soweit ganz gut ausgerüstet mit interoraler Kamera und Ultraschalleinheit. Die Einheiten sind relativ einfach im Aufbau, so dass auch die Zahnärzte selber einfache Wartungsarbeiten ausführen können - allerdings auch ausführen müssen. Unsere Helfer-Teams müssen sich schon sehr um die Anlagen bemühen, damit alles im Gang bleibt.
Darüber hinaus haben wir vier mobile Behandlungseinheiten, die autark mit Dieselaggregaten betrieben werden, für die Behandlung im Outreach. Damit kommt auch eine körperlich recht anstrengende Komponente zu unserer Hilfsarbeit. Wir müssen unsere Behandlungseinheiten in unseren Pick-up laden und vor Ort dann wieder aufbauen.
Seit 2013 behandeln wir aufgrund der steten Nachfrage seitens der Regierung auch im Süden von Namibia, in der Region Karas, rund um Ketmanshoop. Hier sind wir ausschließlich mit mobilen Einheiten im Einsatz. Die Teams fahren verschiedene Einsatzorte an und schlagen dort für jeweils einige Tage ihr Quartier auf. Im Süden wohnen die Helfer dann in einfachen Lodges jeweils in der Nähe des Einsatzortes.
Durch Sponsoren konnten wir 2013 ein geschlossenes Pick-Up Allrad Fahrzeug anschaffen, so dass wir nicht mehr auf die (häufig ausfallenden) Regierungsfahrzeuge ohne Allrad angewiesen sind - ohne dieses Fahrzeug könnten wir im Süden gar nicht arbeiten und im Norden müssten wir auf die Mehrzahl der Behandlungsorte verzichten. So können wir abgelegene Regionen erreichen, wo zuvor noch keinerlei zahnärztliche Versorgung erfolgen konnte. Die Fahrten durch Wüste, Savanne und Buschland sind für jedes Team-Mitglied ein wahres Abenteuer.
Was sind die häufigsten Diagnosen?
Die häufigste Diagnose ist ohne Zweifel stark zerstörte Zähne, die nur noch extrahiert werden können. Gelegentlich erfolgt eine Füllungstherapie und in seltenen Fällen endodontische Behandlungen. Um nachhaltig zu arbeiten, besuchen wir aber auch Schulen und klären über Zahngesundheit auf und führen Fluoridierungen et cetera durch. Denn neben der akuten Schmerztherapie ist uns sehr wichtig, jungen Menschen Hilfestellung zu leisten, damit wir Ihre Zähne nicht auch in Kürze nur noch extrahieren können.
Aus welchem Grund dürfen keine reinen Frauenteams nach Namibia zu Einsätzen reisen?
Dass keine reinen Frauenteams in Namibia arbeiten dürfen, stimmt so nicht ganz. Wir haben allerdings in der Vergangenheit für zwei reine Frauenteams, die wir in der Anfangsphase gemeldet hatten, keine Arbeitsgenehmigung erhalten. Dies wurde aber nicht weiter begründet. Wir haben nur Gerüchte gehört, es würde wohl daran liegen, dass es sich um reine Frauenteams handelte.
Aus heutiger Sicht muss ich allerdings einräumen: Es wäre verantwortungslos von Seiten der namibischen Behörden und von Seiten DWLF, reine Frauenteams reisen zu lassen. Die Sicherheit geht vor. Das Sicherheitsrisiko für ein rein weibliches Team aus meiner Sicht höher, da sie von Straßenräubern als „leichte Beute“ eingeschätzt werden könnten.
Obendrein ist im südlichen Afrika die Akzeptanz des weiblichen Geschlechtes leider noch nicht so weit fortgeschritten wie es bei uns in Europa inzwischen selbstverständlich ist. Dazu kommt noch, dass das Handling der Geräte, aufgrund des Gewichts und der Abmessungen einen hohen körperlichen Einsatz erfordert - nun, das würden viele weibliche Teams auch schaffen. Und viele männliche Kollegen schaffen das kaum.
Aber es sollte einfach insgesamt ein Team zusammenfinden, das in der Summe die körperlichen Möglichkeiten zum Umgang mit der Ausrüstung mitbringt. Von Seiten DWLF wird eben inzwischen darauf geachtet, dass kein rein weibliches Team gemeldet wird, um die Sicherheit für das Team zu verbessern.
Wie gefährlich ist denn Namibia aus ihrer Sicht derzeit?
Die soziale Schere in Namibia öffnet sich immer mehr. Die Wirtschaft wächst, die Armen bekommen davon aber nichts mit. Dazu kommt noch ein Flüchtlingszustrom aus den nördlich angrenzenden Ländern, die teilweise von bürgerkriegsähnlichen Unruhen und Armut geprägt sind.
Namibia ist nach wie vor ein Touristenmagnet und Reiseland. Es sind aber inzwischen erhöhte Vorsichtsmaßnahmen notwendig. Vor 20 Jahren konnte ich noch gefahrlos an beliebigen Stellen zelten - damals ist mir nie etwas passiert und ich hatte auch nie Angst. Diese Situation hat sich leider verändert - ich musste dies bei meinem Aufenthalt im Sommer in Namibia leider selbst erfahren.
Kleine Gruppen sollten nicht mehr auf einsamen Campingplätzen übernachten. Und auch die offen sichtbare Nutzung von technischer Ausrüstung (Smartphone, Fotoapparat) kann zu Begehrlichkeiten führen, die in einem Überfall gipfeln. Unseren Teams empfehlen wir für die Nacht immer ein Quartier in einem festen Haus aufzusuchen und nicht frei im Outreach zu campen.
Warum ist die Kommunikation mit den Behörden vor Ort so wichtig?
Die Vorlaufzeit um die Arbeit in Namibia aufnehmen zu können war sehr lang. Wir brauchten über ein Jahr Vorlaufzeit um das sogenannte MOU (Memorandum of Understanding) - sozusagen ein Rahmenabkommen über die Hilfe von DWLF in Namibia mit dem Ministery of Health and Social Services auszuhandeln. Dabei mussten wir auch viele Zugeständnisse machen. Dies ist ein äußerst sensibles Thema.
Insbesondere stellt sich auch die Kommunikation zwischen den verschiedenen Behörden von Namibia als diplomatisch kompliziert und sehr langwierig heraus. Ich musste den Verantwortlichen des Gesundheitsministeriums des Öfteren vor Ort aufsuchen, bis wir die Genehmigung für den ersten Einsatz einer Helfergruppe bekommen haben.
Etliche Auflagen seitens der Behörden mussten erfüllt werden, um den Notdürftigen unsere Hilfe anbieten zu können. Unglaublich, aber wahr. Trotz der extremen Armut und der zahnmedizinischen Unterversorgung der ländlichen Gebiete sind die Genehmigungswege für Helfer sehr träge.
Durch den Austausch mit anderen Menschen, die in Entwicklungshilfeprojekten mitarbeiten, habe ich inzwischen gelernt, dass dies Teil der Arbeit ist, sich trotz aller organisatorischer Hürden nicht entmutigen zu lassen und mit Beharrlichkeit doch noch die Hilfe zu den Menschen bringen zu können, die sie benötigen.
Für mich war das eine neue Erfahrung und nicht leicht zu verarbeiten. Wir haben genaue Anweisungen, wo wir behandeln und helfen dürfen und wir müssen auf ein gutes Verhältnis zu den Behörden achten, denn ohne Genehmigung geht nichts.
Welches dentale Equipment wird denn vor Ort besonders benötigt?
Dringend benötigt werden Anästhetika, Handschuhe, TBC Mundschutz, Füllungsmaterialien. Natürlich könnten wir auch noch eine Aufstockung der Einheiten gebrauchen. Die Desinfektion ist immer verbesserungswürdig (Wir arbeiten mit einfachsten Prozeduren - zwar hygienisch okay, aber eben sehr aufwendig für die Helfer). Darüber hinaus benötigen wir finanzielle Mittel: in erster Linie für Diesel für unser Outreachfahrzeug und die Übernachtungskosten der Teams, wenn sie im Outreach übernachten müssen.
Seit über 20 Jahren bereist Marcus Schifferdecker das Land. Anfang 2011 hat er sich der Stiftung Zahnärzte ohne Grenzen angeschossen, und gemeinsam mit dem Präsienten, Dr. Claus Macher, das Projekt in Namibia aus der Taufe gehoben.
Namibia, im südlichen Afrika gelegen, ehemals deutsche Kolonie (Deutsch Südwest), ist mit insgesamt 3.1 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von 825.000 Quadratkilometern etwa 2,5 mal so groß wie Deutschland. Namibia wird im Westen vom Atlantik begrenzt und hat im Süden bis Südosten Südafrika, im Osten Botswana, im Norden Angola und Zambia als Nachbarstaaten.
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