Herr Dr. Bolstorff, Sie sind Pensionär und stehen trotzdem einmal in der Woche in der Praxis und bohren gratis Zähne. Warum machen Sie das?
Dr. Christian Bolstorff: Als Rentner habe ich Zeit, die kann ich verschenken. Benachteiligten zu helfen tut denen gut - und mir auch! Als Nebeneffekt kann das Image des Berufsstandes von sozialem Engagement nur profitieren.
Aufgrund einer Haushaltssperre des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg sollen die Gelder für die Obdachlosenpraxis am Stralauer Platz gestrichen werden. Was sagen Sie den Verantwortlichen?
Ursache der Haushaltssperre dürfte die umstrittene Politik des Bezirks für Asylsuchende sein. Ich sage dem Bezirk: Jeder Asylsuchende muss selbstverständlich ein Obdach bekommen. Das darf aber nicht dazu führen, dass Menschen ohne festen Wohnsitz das bisschen Obdach verlieren, das wir ihnen derzeit gewähren können.
Haben Sie einen Vorschlag, wie man die Finanzierung der Praxis dauerhaft und unabhängig vom Senat garantieren kann?
Wir benötigen für die gesamte Einrichtung - also Arzt- und Zahnarztpraxis, Kleiderkammer, Küche, und Sanitärräume - Geld, um Miete, Gehälter für Hilfskräfte, Nebenkosten und anderes zu bezahlen. Dafür werden wir dauerhaft keinen Sponsor gewinnen können. Wir sollten Senat und Bezirk auch nicht aus ihrer gesellschaftlichen Pflicht entlassen, sich um die Ärmsten der Armen zu kümmern. Was würde das erst kosten, wenn das Ehrenamt sich nicht kümmert?
Vor zwölf Jahren haben Sie die Praxis eröffnet. Wie kam es dazu?
Die Idee hatte die Kollegin Kirsten Falk, ich habe mich von ihr dafür begeistern lassen, zunächst als Helfer für den Aufbau und später dann als ehrenamtlicher Behandler mitzumachen.
Welche zahnmedizinischen Eingriffe führen Sie in der Praxis am häufigsten für Obdachlose durch?
Wir arbeiten „niedrigschwellig“, konservierend, chirurgisch, endodontisch und in der Prothetik nur herausnehmbar im Sinne von Provisorien.
Die Menschen, die zu Ihnen kommen, haben kein Geld und meist auch keine Krankenversichertenkarte. Mit welcher "Währung" zahlen sie? Oder anders gefragt, was ist für Sie der schönste Dank für Ihre ehrenamtliche Arbeit?
Wenn die Patienten wiederkommen, die Pflege wieder intensivieren und wieder auf eine geschlossene Zahnreihe Wert legen. Das Lächeln ist dann schon den Einsatz wert. Wir haben damit wieder ein Gesicht geschenkt. Wenn das keine Belohnung ist.
Dr. Christian Bolstorff | privat
Dr. Bolstorff hat im Jahr 2001 das Berliner Hilfswerk Zahnmedizin gegründet und bis 2007 geleitet. Nicht zuletzt durch diese Organisation hat er dazu beigetragen, die zahnärztliche Versorgung von Obdachlosen und Drogenabhängigen sowie die Gruppenprophylaxe für Erwachsene mit schweren Behinderungen zu verbessern. Er war außerdem maßgeblich am Zustandekommen der ersten großen Koordinierungskonferenz aller deutschen Hilfswerke im Hause der BZÄK in Berlin beteiligt. Für sein ehrenamtliches Engagement erhielt Bolstorff am 7. Dezember 2007 von Bundespräsident Horst Köhler den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für ehrenamtliches Engagement.
Die Fragen stellte Julian Thiel.
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