Wünscht sich nicht jeder Zahnarzt den perfekten Patienten? Ein Gegenüber, das sich dem Praxisteam gegenüber immer freundlich verhält und entspannt lächelnd auf dem Behandlungsstuhl liegt? Das alle Termine einhält, seine Rechnungen pünktlich bezahlt und dann auch noch die Prophylaxeempfehlungen vorbildlich befolgt?
Doch wo immer man mit Menschen arbeitet, treten Reibungen, Missverständnisse oder ausgewachsene Konflikte auf. Jeder Patient bringt seine eigene Biografie, seine Erwartungen und Ängste, manchmal auch seine schlechte Laune mit. Dass manche Patientengruppen per se aufwendiger zu betreuen und behandeln sind als andere, ist klar. Das betrifft zum Beispiel Kinder oder sehr alte Menschen, Menschen mit Behinderungen oder schweren Erkrankungen und solche mit Zahnbehandlungsangst. Auch die interkulturelle Kommunikation verläuft nicht immer störungsfrei. Doch on Top gibt es Patienten, die im Praxisalltag aus unterschiedlichen Gründen als „schwierig“ wahrgenommen werden, vielleicht sogar: als „Problem“.
Der nervt!
Das kann Menschen betreffen, deren Anspannung oder Aggressivität sich auf den Behandler und das ganze Team überträgt. Die sehr fordernd auftreten, sich viel beschweren und nicht gut mitarbeiten. Oder deren Beschwerden diffus bleiben und nicht rein somatisch erklärbar sind. Es gibt die chronischen Doctorhopper mit langer Leidensgeschichte. Die Koryphäenkiller, deren wütende Enttäuschung über ein vermeintliches Versagen des Arztes als Rechtsstreit enden kann. Und natürlich jene, auf die gern der Begriff „non-compliant“ angewendet wird, wenn es um die Zuverlässigkeit beim Einhalten von Terminen und Begleichen von Rechnungen geht. Was tun mit den „Problempatienten“?
„Wir nennen das immer Herausforderung“, sagt Katrin Rinke. „Das Wort ‚Problem‘ ist nun wirklich sehr negativ besetzt. Es sind Herausforderungen - und wenn man es so formuliert, klingt es gleich nicht mehr so furchtbar.“ Rinke berät in Seminaren und Coachings Zahnärzte, Ärzte und ihre Teams. In ihrem Buch „Bitte weit öffnen! Das Kommunikationsbuch für die Zahnarztpraxis“ geht sie unter anderem auf herausforderndes Patientenverhalten ein.
Im Gespräch erklärt Rinke, dass hinter „schwierigem“ Benehmen immer etwas steckt, auf das man reagieren kann, um die Situation gut zu lösen: „Auch wenn man es nicht unbedingt auf Anhieb erkennt. Aber man kann jeden Menschen auf irgendeine Art und Weise dort abholen, wo er steht. Das ist aufwendig. Das ist auch anstrengend und kostet wirklich Kraft und Energie, aber es funktioniert.“ Am Ende verwandelt sich der komplizierte Fall idealerweise in einen glücklichen und loyalen Patienten, der sich ernst genommen und gut aufgehoben fühlt. Voraussetzung dafür ist allerdings eine gute Kommunikation und die Bereitschaft, sich mehr Zeit zu nehmen - gerade, wenn es anstrengend wird.
Erst einmal den Dampf entgegennehmen
Von einem Bedarf nach verbesserter Gesprächsführung im medizinischen Bereich ist heutzutage oft die Rede. Katrin Rinke bietet seit 1993 Seminare an, bald spezialisierte sie sich auf die Zahnmedizin. Damals war Rinke mit ihren Kommunikations-Coachings noch ein Exot. Inzwischen ist eine ganze Fortbildungslandschaft gewachsen, die sich damit auseinandersetzt. „Ich denke, man kommt nicht sehr weit, wenn man das Thema Kommunikation ausblendet“, erklärt die Trainerin. „Und ich glaube, dass es für einen selbst sehr schön ist, an Grenzen zu gehen und darüber hinaus. Dass es auch die Patienten zu schätzen wissen, wenn sie als ein Mensch mit Sorgen, Nöten und Schmerzen behandelt werden.“
Über Grenzen zu gehen, kann allerdings durchaus beinhalten, sich in aller Ruhe eine Schimpftirade anzuhören, die ein Patient loslässt. „Erst einmal den Dampf entgegennehmen“, empfiehlt Katrin Rinke. „Je schneller der Druck raus ist, desto schneller gelingt es auch, wieder eine vernünftige Gesprächsbasis zu finden. Es ist wichtig, im Gleichgewicht zu bleiben und nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten.“ Die hohe Kunst sei am Ende sogar, „dem Patienten dafür dankbar zu sein, dass er einem gezeigt hat, was man besser machen kann“.
Nölig an der Rezeption, gottergeben im Behandlungsstuhl
Erste Anlaufstelle für Beschwerden und offensives Verhalten von Patienten sind in der Regel die Praxismitarbeiterinnen. Sie sind es auch, die in erster Linie die Kommunikationsseminare besuchen, berichtet Katrin Rinke. „Für die Zahnärzte gibt es natürlich ebenfalls Angebote, aber der Trend geht da eher zu fachlichen Fortbildungen, zum Beispiel im Bereich neuer Technologien. Das Thema Beschwerdemanagement oder der Umgang mit Patienten ist nicht so hoch angesiedelt.“
Häufig sind tatsächlich die Patienten, die bei der Terminvergabe am Telefon oder am Empfang besonders fordernd auftreten, „sehr gottergeben im Behandlungsstuhl“, wie Dr. Anne Wolowski beobachtet. Die Oberärztin der Poliklinik für zahnärztliche Prothetik und zahnärztliche Leiterin der Ambulanz für Psychosomatik in der Zahnheilkunde am Universitätsklinikum Münster sagt: „Wichtig ist mir vor allem, dass die Mitarbeiterinnen eine Toleranz gegenüber diesen Menschen entwickeln. Denn sie simulieren nicht, sondern verspüren wirklich einen enormen Druck durch ihre Beschwerden.“
Wolowski ist seit 2006 Vorsitzende des Arbeitskreises „Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde“ (AKPP), einem interdisziplinären Forum aus Zahnärzten, Ärzten, Psychologen, Psychotherapeuten und Soziologen. Das komplexe Themenfeld „schwieriger Patienten“ betrachtet sie vor allem unter psychosozialen Gesichtspunkten. „Wenn man das relativ allgemein formulieren will, wäre für mich der ‚schwierige‘ Patient jemand, dessen Beschwerden nicht eindeutig einer somatischen Ursache zugeordnet werden können.“ Oder nach der frühen Definition von Müller-Fahlbusch: die „Unvereinbarkeit von Befund und Befinden“.
"Hier landet der Querschnitt der Bevölkerung."
Der AKPP verweist darauf, dass etwa ein Viertel der Allgemeinbevölkerung mindestens einmal im Leben psychisch oder psychosomatisch erkrankt. Und auf dem Behandlungsstuhl landet der Querschnitt der Bevölkerung - mit allen psychosozialen Beeinträchtigungen. Psychosomatische und psychische Störungen sind weit verbreitet. Häufig führen sie auch zu Beschwerden im motorisch komplexen, hochsensiblen Mundbereich. Ob dann hinter dem extremen Schmerz, der Prothesenunverträglichkeit oder dem Zungenbrennen seelische Belastungen und Stresssituationen stecken, muss erst in der Anamnese geklärt werden.
Wenn der Patient den Arzt in eine Behandlung bugsiert
Welche Hinweise auf psychosomatische Ursachen es geben kann, erklärt Dr. Anne Wolowski: „Das Spezifische an der Art der Beschwerden ist oft, dass sie häufig sehr lange anhalten. Dass sie diffus bleiben und nicht richtig auf den Punkt gebracht werden können. Manchmal sprechen sie auch in den Therapien paradox an. Dann berichten Patienten etwa, sie haben schon sehr viele Schmerzmittel genommen, aber die Beschwerden werden immer schlimmer. Auffällig kann auch die Art und Weise sein, wie der Schmerz beschrieben wird. Zum Beispiel ist die Wortwahl sehr emotional: ‚Der Schmerz ist zerreißend‘ oder ‚Er macht mich total kaputt!‘“
Wichtig sei, so Wolowski, bei der Diagnostik möglichst objektiv und selbstkritisch zu bleiben. Und nicht etwa auf Drängen des Patienten eine Behandlung zu beginnen, die vielleicht fehlindiziert ist und damit die somatische Fixierung und eine Chronifizierung unterstützt. „Diese maximale Kritik und auch die Zeitinvestition in die Diagnostik halte ich bei jedem Patienten für wichtig - und bei denen, die nicht eindeutig unter dem ‚klassischen‘ Zahnschmerz leiden, für doppelt wichtig.“ Psychologische und kommunikative Kompetenzen sind bei der Arbeit also unerlässlich.
Psychologie im Staatsexamen
Dass jeder Zahnarzt zugleich auch psychologisch geschult sein sollte, bestätigt Dr. Herbert Rukat. Der Berliner Praxisinhaber hat sowohl ein zahnmedizinisches als auch ein kommunikationswissenschaftliches Studium absolviert. „Schwierige“ Patienten erlebt Rukat im Arbeitsalltag eher als Ausnahmen, deren körperliche Beschwerden häufig durch familiäre oder berufliche Konfliktsituationen beeinflusst sind. Der Zahnmediziner spricht sich sowohl für Kommunikationsschulungen und Coaching-Angebote innerhalb der Branche aus, als auch für das Abhalten von Qualitätszirkeln, in denen problematische Fälle aus der Praxis zur Diskussion gestellt werden können. Für die zahnmedizinische Universitätslehre würde sich Rukat eine verbesserte Lehre im Bereich Psychologie wünschen – und eine obligatorische Prüfung dieses Wissens im Staatsexamen.
Auch der Arbeitskreis „Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde“ setzt sich besonders für die Etablierung von psychologischen und psychosomatischen Inhalten in der Ausbildung ein. Die Mitglieder haben es sich zum Ziel gesetzt, Behandlungskonzepte für chronische Gesichtsschmerzen, psychogene Zahnersatzunverträglichkeit, Burning-Mouth-Syndrome, Zahnbehandlungsangst, CMD und Bruxismus zu entwickeln. Der AKPP bietet zwar gemeinsam mit der Akademie Praxis und Wissenschaft der DGZMK ein Curriculum „Psychosomatische Grundkompetenz“ an. Und das Thema wird zunehmend in Vorträgen und Fortbildungen abgefragt - das Bewusstsein in der Zahnärzteschaft ist vorhanden.
„Doch ich fände wichtig, dass es ins Curriculum reinkommt“, so Dr. Anne Wolowski. Im neuen Lernzielkatalog werden speziell Schmerzanamnese und psychosoziale Zusammenhänge bereits aufgegriffen. „Und wenn wir hoffentlich die neue Approbationsordnung bekommen - eine never ending story - dann ist der Bereich Psychosomatik dort ganz sicher berücksichtigt.“
Professionalität trainieren
Im Studienhospital am Universitätsklinikum Münster trainieren Wolowskis Zahnmedizinstudenten mithilfe von Schauspieler-Patienten. „Es geht dabei gar nicht nur um schwierige Patienten oder den Bereich der Psychosomatik, sondern insgesamt um eine professionellere Kommunikation, um normale Gesprächskompetenzen und Fehlermanagement. Die Studenten haben großen Spaß daran.“
Im Behandlungszimmer werden Szenen aus dem Arbeitsalltag nachgespielt. Hinter einer verspiegelten Glasscheibe beobachten die Kommilitonen, wie der Behandelnde mit den Situationen umgeht. Danach gibt es Feedback. Vielleicht wird also das komplexe Feld der Patientenkommunikation für nachkommende Zahnmediziner-Generationen zunehmend selbstverständlicher werden.
Doch neben all diesen Schritten der Professionalisierung ist noch ein weiterer Aspekt wichtig, wie Wolowski betont: „Was ich nach wie vor schade finde, ist die Tatsache, dass die Kollegen, die sich wirklich redlich bemühen, eine Anamnese zu machen, das nur schlecht abrechnen können. Alles, was ich in der Praxis rede, kostet Geld. Man kann zwar pathetisch sagen: Was ich am Anfang investiere, muss ich am Ende nicht mehr aufbringen. Und die eigene Zufriedenheit definiert sich auch über die Zufriedenheit der Patienten. Aber wir müssen natürlich trotzdem kostendeckend arbeiten. Den anamnestischen Teil ein wenig zu honorieren, würde dessen Wertigkeit mehr in ein richtiges Licht rücken.“
Das wäre dann wirklich eine Psychologie integrierende Zahnmedizin, die sich auch die Zeit fürs Gespräch nehmen kann - zum Wohle von Patient und Arzt.
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