Das Land wirbt mit kostenlosen, flächendeckenden Gesundheitszentren, die jedoch häufig weder mit ärztlichem und noch seltener mit zahnärztlichem Personal besetzt sind, noch eine kontinuierliche Medikamentenversorgung - aufgrund des mangelnden Budgets - sicherstellen können.
Durch die nicht vorhandene oder zu kostenintensive Anbindung an ärztlich besetzte Gesundheitszentren in größeren Orten und die nur schwer zu erhaltenden oder nicht bezahlbaren Medikamente, fehlt die medizinische Basisversorgung für große Teile der Landbevölkerung.
Zwei-Stunden-Trip zu den "Consultas"
Der Verein German Doctors ist die einzige Hilfsorganisation in der nördlichen Region des Landes, die kontinuierlich tätig ist. Ziel des Hilfswerkes ist, für die arme und isoliert lebende Bevölkerung eine medizinische Basisversorgung anzubieten.
Jeden Tag startet das Team, bestehend aus einem Zahnarzt, einem Humanmediziner, drei einheimischen Krankenschwestern sowie einem Fahrer mit einer mobilen Klinik von Ocotal aus, um auf landschaftlich eindrucksvollen, vom Zustand her aber abenteuerlichen Straßen, verstreut in den Bergen liegende kleine Ortschaften zu erreichen.
Nach bis zu zweistündiger Fahrt erreicht das Team die indigene und mestizische Landbevölkerung. Die Patienten laufen aus den umliegenden Streusiedlungen oft mehrere Stunden, um die sogenannten Consultas zu erreichen. In den Sprechstunden werden akute Behandlungen, langfristige Therapien, Medikamentenhilfe, sowie der Versuch der Prävention und Prophylaxe betrieben.
Kein Geld für Zahnbürste und -pasta
Die Zahnärzte können bei den externen Consultas ausschließlich Extraktionen und Befundaufnahmen vornehmen. In der Regel haben die Patienten einen schlechten Zahnstatus. Mundhygiene ist meistens völlig unbekannt, Zahnbürsten und -pasta fremd oder unerschwinglich für die Patienten. Durch den zusätzlichen, regen Genuss von gesüßten Getränken wie Limonade und selbst angebautem Kaffee ist es nicht erstaunlich, stark kariöse Gebisse beziehungsweise partielle oder totale Zahnlosigkeit in jeder Altersgruppe vorzufinden.
Erst wenn der Zahn weh tut, wird gehandelt
Vor allem die Oberkieferinzisiven und ersten Molaren sind häufig schon im jugendlichen Alter kariös oder fehlend. Durch den frühzeitigen Verlust der Milchzähne sind starke Fehlstellungen und retinierte Zähne keine Seltenheit. Trotz des häufig desaströsen Zahnstatus wollen viele Patienten nur den schmerzenden Zahn gezogen kriegen. Wenn etwas nicht weh tut, wird es nicht als ungesund angesehen. Auch wenn die Wurzel schon im Pus steht, hat man trotz Aufklärung des Öfteren keinen Erfolg. Insgesamt sind die Patienten jedoch sehr kooperativ und unkompliziert.
Bei Serienextraktionen beschwert sich keiner; selbstverständlich auch nicht über den Heimweg, der bei hohen Temperaturen und auf schlechten, steilen Wegen angetreten wird. Manchmal wundert man sich, wie die Menschen dies körperlich schaffen.
Bessere Bedingungen in Ocotal
Zweimal wöchentlich bleibt der Zahnarzt in Ocotal. Eine funktionstüchtige Einheit ist vorhanden, wodurch auch zahnerhaltende Maßnahmen in Form von Füllungstherapien möglich sind sowie chirurgisch notwendige Eingriffe ausgeführt werden können. In ausgewählten Fällen kann man Wurzelfüllungen im Frontzahnbereich machen.
Die konservative und prothetische Therapieform ist im staatlich angebotenen Gesundheitswesen nicht enthalten und bei niedergelassenen Zahnärzten für die durchschnittliche Bevölkerung nicht erschwinglich. Wenn man als Patient Glück hat und ein Zahnarzt auf einem Gesundheitsposten anwesend ist, muss man zusätzliches Glück haben, dass ein Anästhetikum vorhanden ist. Sonst kommt der Zahn ohne Betäubung raus.
Metallteilkronen gelten als Luxus
Trotz der Armut haben Patienten im Frontzahnbereich häufig Metallteilkronen oder -brücken. Da dies als Zeichen des Wohlstands betrachtet wird, geben viele ihre ganzen Ersparnisse für diesen „Luxus“ her. Leider ist die Qualität dieses „Zahnersatzes“ schlecht, was das unausweichliche Auftreten von Sekundärkaries zur Folge hat.
Mundgesundheits- und Ernährungsaufklärung werden seitens des German Doctors-Teams betrieben, wobei sich dies zuweilen wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein anfühlt. Das staatliche Gesundheitswesen betreibt keine Aufklärung oder Prophylaxearbeit. Wie sollen also Eltern, die selber nie eine Zahnbürste gesehen haben, ihren Kindern die tägliche Zahnpflege beibringen?
Immerhin - ein allgemeines Hygienebewusstsein existiert in Nicaragua. Der Staat hat auch in den abgelegensten Gegenden belüftete Standard- Grubentoilettenhäuschen angebracht und die Menschen betreiben insgesamt eine gute Körperpflege. Wenn dieses Bewusstsein auch auf die Mundhygiene übergehen könnte, wäre viel gewonnen.
Julie Mansouri
Einsatzärztin German Doctors e.V
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