zm-online: Herr Dr. Pfeffer, inwiefern konnten Sie die Proteste der WM-Gegner nachvollziehen?
Dr. Gerd Pfeffer:Die eigentlichen WM-Gegner spielen bei den Demonstrationen in Brasilien eine untergeordnete Rolle. Die hohen Ausgaben für die Ausrichtung der WM (Stadienbau und so weiter) sind nur einer der zahlreichen Anlässe, aber nicht der wesentliche Grund für die Proteste der Bevölkerung in Brasilien.
Es sind die extrem gestiegene Kriminalität, die Mängel im öffentlichen Verkehrswesen, die Probleme im Gesundheitswesen und vor allem die extreme Misswirtschaft und Korruption in der Politik und der öffentlichen Verwaltung, weshalb die an sich unpolitische und eher friedliche brasilianische Bevölkerung verständlicherweise auf die Straße geht.
Die Favela Jacarezinho in Rio de Janeiro: Sie ist mit etwa 70.000 Bewohnern Rios zweitgrößtes Elendsviertel. Eine rankende Pflanze in Brasilien hat die Bezeichnung Favela. Genau wie sie klettern die Menschen mit ihren Häusern in den Elendsvierteln die Berghänge hinauf. | picture alliance
Welchen Zugang haben die gesellschaftlichen Gruppen in Brasilien in den Städten, auf dem Land und in den peripheren Regionen zur medizinischen beziehungsweise zahnmedizinischen Versorgung?
In den brasilianischen Ballungsgebieten und größeren Städten besteht bereits eine erstaunliche gute kostenlose medizinische und zahnmedizinische Basisversorgung.
Es ergeben sich für die Patienten häufig Probleme im Bereich der Verfügbarkeit höherwertiger Leistungen. Deshalb versichern sich circa 25 Prozent der brasilianischen Bevölkerung freiwillig bei privaten Krankenkassen, allerdings werden von diesen fast nie zahnmedizinische Leistungen mitversichert.
In Kleinstädten und ländlichen Regionen der südlichen und mittleren Staaten ist die medizinische Versorgung sicher weitgehend gewährleistet. Dagegen besteht in den nördlichen und nordwestlichen Staaten noch ein großes Defizit in der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung, bedingt durch die enorme Größe des Landes und die schwierige Zugänglichkeit vieler Regionen. Immerhin hat Brasilien etwa die Größe des europäischen Kontinents und verfügt dabei noch über riesige kaum zugängliche Gebiete.
In Favelas und in den Indianerreservaten, in denen bereits seit längerem eine Fast Food-Mentalität herrscht, gibt es einen besonders hohen Karies- und Parodontalbefall. | AKZ plus
Wie hoch liegt denn die Karieslast bei den Kindern und Erwachsenen, die Sie im Dentomobil behandeln?
Die Karieslast in den Bevölkerungsgruppen, bei denen wir mit unserem Dentomobil die Einsätze durchführen, ist je nach Ernährungsgewohnheiten deutlich unterschiedlich, allerdings im Mittel noch immer sehr hoch, sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Kindern.
Obwohl das Mundhygienebewusstsein der brasilianischen Bevölkerung im Allgemeinen sehr ausgeprägt ist, bestehen in den Regionen in denen wir tätig sind, für den Einzelnen so wesentliche existenzielle Nöte, dass die Anschaffung von Zahnbürste und Zahnpasta noch immer einen Luxus darstellt.
Das AKZ plus-Dentomobil: Der ehemalige LKW aus DDR-Zeiten wurde in vielen Arbeitsstunden an einer Berufsschule in Rodalben zur mobilen Krankenstation mit zahnärztlicher Behandlungseinheit umgebaut. | AKZ plus
Das Dentomobil ist ein umgebauter LKW aus DDR-Zeiten. Wer wartet das Gefährt in Brasilien eigentlich und woher kommen die Ersatzteile?
Unser Dentomobil wird von mir mithilfe örtlicher brasilianischer Dentaltechniker gewartet. Mittlerweile mussten wir die Lafette des alten Robur aus DDR-Produktion komplett gegen eine moderne Iveco-Lafette austauschen, da keine Ersatzteile mehr zu bekommen waren.
Die Dentaleinrichtung des Einsatzfahrzeugs besteht aus industriell gefertigten Peripheriegeräten (beispielsweise Autoklave und Polimerisationslampen) und aus individuell angepassten, luftgesteuerten Dentaleinheiten, die bei den spezifischen Bedingungen im Dentomobil wesentlich robuster und reparaturunanfälliger sind.
Einblicke in den Behandlungsalltag im Dentomobil. | AKZ plus
Welche Ernährungsgewohnheiten dominieren in Brasilien und wie wirkt sich das auf die Zahngesundheit der Menschen aus?
Wir finden in Gebieten, in denen die Brasilianer hauptsächlich vom Fischfang leben (auf Inseln und in Küstenortschaften), einen entsprechend geringen Kariesbefall im Vergleich zu anderen Regionen.
Dagegen finden wir in Elendsvierteln (Favelas) und in den Indianerreservaten, in denen bereits seit längerem der Einfluss moderner Fast Food-Mentalität besteht, einen besonders hohen Karies- und Parodontalbefall.
Ganz sicher kann in den von uns versorgten Gebieten, den sozialschwachen Regionen, der für den Zahngesundheitszustand der Bevölkerung nachteilige zunehmende Wohlstand nicht durch entsprechende Aufklärung und Prophylaxe ausgeglichen werden.
Auch das ist Bestandteil eines Hilfseinsatzes: Zusammensitzen nach einem Tag mit vielen Behandlungen. | AKZ plus
Ist die Implantologie in Brasilien eine gängige Behandlungsart?
Ja, allerdings! Internationale Statistiken der Implantathersteller weisen für das Land Brasilien eine der höchsten Verkaufszahlen für die letzten zehn Jahre aus. Fast alle brasilianischen Patienten sind Selbstzahler bezüglich aller höherwertiger zahnärztlicher Leistungen, inklusive prothetischer Versorgungen. Damit stellen Implantatversorgungen in vielen Fällen eine ökonomisch günstigere Alternative dar.
Insbesondere, da in diesen nicht-sozialschwachen Bevölkerungsschichten (mehr als 100 Millionen Menschen) bei gutem Mundgesundheitszustand der Einzelzahnverlust häufiger anzutreffen ist als multipler Zahnverlust. Außerdem steht der brasilianische Patient chirurgischen Maßnahmen ohnedies sehr offen gegenüber.
Welchen Ansatz verfolgt Ihre Hilfsorganisation, wie erfolgreich sind Sie damit, und wie kann man Sie konkret unterstützen?
Unser Idee war und ist, direkte Hilfe vor Ort zu leisten und nicht irgendwelche anonyme Spenden zu abzugeben. Wir sind seit 1991 in Brasilien tätig und haben mit über 100 Kolleginnen und Kollegen weit über 100.000 Patienten behandelt. Man kann über unser Konto spenden. Außerdem kann jeder approbierte Zahnarzt mitmachen. Wir suchen auch gerade wieder Kollegen für einen Einsatz ab Oktober 2014 bis Januar 2015.
Dr. Gerd Pfeffer ist seit 20 Jahren in eigener Praxis in Brasilien tätig und koordiniert die Hilfseinsätze der Aktionsgemeinschaft Zahnarzthilfe Brasilien Plus e. V.
Die Fragen stellte Sara Friedrich.
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