Das Risiko auch für Folgeerkrankungen lässt sich nämlich erheblich reduzieren, indem die Entzündungsherde im Mundraum beseitigt werden, sagen Baumgart und John. Mit ihrer Risikobewertung inklusive Schnelltest können sie Patienten aufzeigen, ob alle Einzelrisiken zusammen eine Gefahr für einen Herzinfarkt darstellen.
Warum ist krankes Zahnfleisch ein Risiko für das Herz?
Prof. Dietrich Baumgart: Ist das Zahnfleisch entzündet, gelangen permanent Bakterien aus den tiefen Zahnfleischtaschen ins Blut. Zudem werden entzündungsfördernde Botenstoffe ausgeschüttet. Sie führen zu entzündlichen Veränderungen der Gefäßinnenwände und können an vorerkrankten Herzklappen einen großen Schaden anrichten. Neben Rauchen, Diabetes, Bewegungsmangel und Übergewicht sind chronische Entzündungen ein wesentlicher Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall.
Dr. Hans-Dieter John: Krankes Zahnfleisch entsteht durch eine Entzündung. Die Mechanismen und Wirkstoffe sind prinzipiell bei allen Entzündungen gleich, das heißt, eine Entzündung im Mund wirkt sich als Entzündung zum Beispiel auch auf die Gefäßwand der Herzkranzgefäße aus und entzündet diese.
Was kann der Zahnarzt tun, um das Herzinfarktrisiko zu senken?
Baumgart: Durch eine konsequente Behandlung der Parodontitis in Kombination mit regelmäßiger professioneller Zahnreinigung und der Anleitung zu einer verbesserten Mundhygiene kann der Zahnarzt einen Baustein des Herzinfarktrisikos deutlich senken. Es gibt verschiedene Untersuchungen, die belegen, dass sich der Zustand der Gefäße schon sechs Monate nach einer verbesserten Zahnfleischsituation wieder verbessert.
John: Die parodontale Diagnostik und korrekte Therapie sind ausschlaggebend, um von zahnärztlicher beziehungsweise parodontologischer Seite das Risiko von Herzerkrankungen zu reduzieren.
Wie stellen Sie sich die ideale interdisziplinäre Zusammenarbeit vor?
Baumgart: Ideal wäre, wenn Zahnärzte ihre Parodontitis-Patienten verstärkt auf kardiologische Risiken hinweisen und eventuell an den Kardiologen verweisen. Dies gilt insbesondere, wenn sie weitere Faktoren wie Übergewicht, Rauchen oder Diabetes erkennen.
Umgekehrt sollten Kardiologen immer auch auf die zahnärztliche Betreuung achten. Bei vorerkrankten Herzklappen, nach einer Herz-OP oder bei der Gabe von Blutverdünnern ergeben sich für Zahn-OPs aber auch schon für die professionelle Zahnreinigung erhebliche Risiken einer sogenannten Endokarditis (Entzündung der Herzinnenhaut). Diese sind individuell allerdings sehr unterschiedlich. Hier kann der Kardiologe dem Zahnarzt durch ausführliche Informationen etwa in Form eines Arztbriefes wichtige Hinweise geben.
John: Der Kardiologe und Parodontologe müssen jeweils auf ihren Anamnesebögen zielgerichtete Fragen zum jeweils anderen Fachgebiet stellen. Eine Frage in der Anamnese bei Kardiologen könnte lauten: Wurde bei Ihnen eine parodontale Erkrankung festgestellt (Zahnfleischentzündung)? Wann waren Sie zuletzt bei einer professionellen Zahnreinigung? Beim Parodontologen sollte stehen: Gibt es Herzerkrankungen, wann wurde zuletzt eine Herzuntersuchung durchgeführt? Eine gegenseitige Überweisung zur Diagnostik wäre wünschenswert, ist aber im deutschen Gesundheitssystem nicht möglich, sondern maximal ‘eine Empfehlung’.
Wie ermitteln Sie die Risiken für Folgeerkrankungen?
Baumgart: Dank moderner Medizintechnik lassen sich Veränderungen an den Gefäßwänden heute sehr frühzeitig erkennen. Wir messen etwa die Dehnbarkeit der Gefäßwände und bestimmte Blutwerte. Zusammen mit Bildern des 4-D-Ultraschalls, weiteren Hinweisen zum Lebensstil und familiärer Vorgeschichte lässt sich dann schon sehr präzise ein Herzinfarkt-Risiko bestimmen.
Ein Magnet-Resonanz-Tomograf ermöglicht darüber hinaus ohne Röntgenstrahlen eine Beurteilung der Pumpfunktion, der Wandbewegung, der Herzklappen sowie der Durchblutung des Herzmuskels. Bei bestimmter Indikation sind weitere Aufnahmen im Computertomografen zur Beurteilung der Herzkranzgefäße möglich. Durch gezielte therapeutische Maßnahmen und eine Umstellung des Lebensstils lässt sich das Herzinfarktrisiko deutlich senken.
John: Dies ist mit einem von mir entwickelten ‘Perio Kardio Score’ zu ermitteln, wobei der Wert ausschließlich als Anhaltspunkt für eine Risikoevaluation dienen kann. Dies heißt: Eine parodontale Erkrankung erhöht das Risiko von mehreren Allgemeinerkrankungen, wie Herzerkrankungen, Diabetes, unerfüllter Schwangerschaftswunsch, Frühgeburten, niedriges Geburtsgewicht des Säuglings.
Die Fragen stellte Julian Thiel.
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