Wie ist die Lage derzeit in den betroffenen Regionen? Ist das Schlimmste überstanden?
Tankred Stöbe: Die Situation ist insgesamt nicht mehr so dramatisch wie vor einem halben Jahr. Vor allem in Sierra Leone und in Liberia sind wir hoffnungsvoll. Aber die Epidemie gilt erst als überwunden, wenn es mindestens 42 Tage lang keine Neuinfektion gab. In Guinea ist die Situation noch nicht unter Kontrolle, die Infektionszahlen gehen immer wieder mal hoch. Das besorgt uns sehr. Laut WHO sind in den drei Ländern in der vergangenen Woche insgesamt 37 Neuinfektionen gezählt worden. Das hört sich wenig an, aber schon ein Patient reicht aus, um einen neuen Flächenbrand auszulösen. Daneben bereiten uns andere Krankheiten große Probleme, wie Masern, Malaria oder Meningitis. Die ohnehin fragilen Gesundheitssysteme in den drei Ländern sind ja komplett zusammengebrochen.
Was waren die größten Fehler, die gemacht wurden?
Der Ernst der Lage wurde viel zu lange nicht erkannt. Die internationale Gemeinschaft und auch die WHO haben hier versagt. WHO-Mitarbeiter haben ja sogar abgewiegelt und uns Panikmache vorgeworfen. So hat es bis September gedauert, bis endlich die Hilfe anlief. Auch Deutschland hat zu lange gezögert, es gab viele verständnisvolle und hochrangige Gespräche, aber getan hat sich erst einmal nichts. Das hat uns sehr frustriert. Und die Hilfe, die dann kam, war zu wenig flexibel. Als das Krankenhaus, das mithilfe der Bundeswehr in Monrovia errichtet wurde, am 23. Dezember fertig war, wurde es dort für Ebola-Patienten gar nicht mehr gebraucht.
Welche Lehren für die Zukunft können aus der Epidemie gezogen werden?
Man muss es so deutlich sagen: Durch frühere und effektivere Hilfe hätten viele Tausend Menschen vor Ebola geschützt und gerettet werden können. Wir müssen also schneller und flexibler reagieren. In der betroffenen Region, die vorher ja keine Erfahrung mit Ebola hatte, hat es notgedrungen einen großen Erfahrungszuwachs gegeben. Aber die schwachen Systeme sind weiter geschwächt. Für Ebola gilt jedenfalls: So lange wir keinen Impfstoff haben, stirbt daran jeder zweite Patient. Und Ebola ist nur eine der typischen vernachlässigten Erkrankungen, für die die Forschung wenig tut. Hier muss es dringend mehr öffentlich geförderte Entwicklungspartnerschaften geben. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, im Rahmen ihrer G7-Präsidentschaft einen Forschungsfonds für vernachlässigte Krankheiten auf den Weg zu bringen.
Tankred Stöbe (46) ist seit 2004 Mitglied im Vorstand und seit 2007 Präsident von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland (Médecins Sans Frontières/MSF). 2002 tauschte der Internist und Notfallarzt zum ersten Mal seine feste Klinikstelle gegen ein Projekt der Organisation in Thailand ein - und nannte das später die wichtigste Entscheidung seines Lebens. Gegen Stress hilft ihm: Lesen und Schlafen. | picture alliance
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