Der von der Enquête-Kommission definierte Wohlstandsbegriff soll neben materiellem Wohlstand auch soziale und ökologische Dimensionen abbilden. Was sind die größten immateriellen Reichtümer, die uns wichtig sein sollten?
Das Ergebnis der Enquête-Kommission ist ein Set von zehn Leitindikatoren, die sich in drei Bereiche - materieller Wohlstand, Soziales und Teilhabe und Ökologie - einteilen lassen. Zu den immateriellen Reichtümern zählen hier die Gesundheit der Bevölkerung, die Freiheit, der Zustand der Umwelt, die Bildung und die Beschäftigung.
Es ist vollkommen klar, dass hiermit nicht alle immateriellen Reichtümer einer Gesellschaft erfasst werden können, aber sicherlich ein überwiegender Teil. Im Übrigen ist es empirisch erwiesen, dass es eine hohe Korrelation zwischen dem Bruttoinlandsprodukt als Maß für die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft und den immateriellen Bedürfnissen gibt.
Im Abschlussbericht der Kommission ist die Rede von einem "riesigen Arbeitsauftrag" für die Politik. Warum machen Sie sich freiwillig zusätzliche Arbeit?
Der Schwerpunkt der Arbeit der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ ist der Aspekt der Nachhaltigkeit, verstanden als Anspruch, die Bedürfnisse der aktuellen Generationen zu befriedigen, ohne nachfolgende zu belasten. Die Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema. Sämtliche Politikbereiche, wie etwa die Wirtschaft-, Finanz-, Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Gesundheits- und Umweltpolitik, werden von ihr berührt.
Eine Aufgabe der Politik ist es schließlich, sämtliches gesetzgeberisches Handeln unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu prüfen. Ein nachhaltiger Haushalt, um ein Beispiel anzuführen, ist gerade für die junge Generation enorm wichtig, weil nur so künftig haushaltspolitische Spielräume für notwendige Investitionen möglich sind.
Der „riesige Arbeitsauftrag“ resultiert also aus dem übergreifenden Querschnitt über alle Politikbereiche. Insofern machen wir die Arbeit sehr gern freiwillig; sie ist aber auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit notwendig.
Dr. Georg Nüßlein ist Mitglied im Bundestag und war in der vergangenen Legislaturperiode Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Enquête-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität-Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der sozialen Marktwirtschaft". Heute ist er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Gesundheit, Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
| Büro Nüßlein
Mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung in den nächsten Jahren dafür arbeiten, die Ziele des Abschlussberichts - also mehr ökologischen und sozialen Wohlstand zu schaffen - erreichen?
Im Koalitionsvertrag sind die Themen Fortschritt, Lebensqualität und Wohlstand genannt, die wichtige Eckpfeiler für die Regierungsarbeit in dieser Wahlperiode sein werden. Im Einzelnen wird ein Dialog mit den Bürgern über das Verständnis von Lebensqualität geführt werden. Aufbauend auf den Dialog soll ein Indikatoren- und Berichtssystem zur Lebensqualität in Deutschland entwickelt werden.
In regelmäßigem Abstand sollen die Menschen in Deutschland über Stand und Fortschritt bei der Verbesserung von Lebensqualität in Deutschland informiert werden. Das Indikatorensystem der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ wird in die Arbeiten einbezogen werden. Die Erkenntnisse sollen schließlich in einen ressortübergreifenden Aktionsplan „gut leben“ einmünden.
Warum glauben Sie an die Machbarkeit dieser enormen Herausforderung?
Die Nachhaltigkeit ist Teil der Politik geworden und Gegenstand in der täglichen parlamentarischen Arbeit und auch im Regierungshandeln. Wenn ich nicht an die Machbarkeit glauben würde, dass eine nachhaltige Politik möglich ist, wollte ich nicht mehr Politiker sein.
Die Entkopplung von materiellem Wohlstand und Lebensqualität ist in Europa und der westlichen Welt noch eine junge Entwicklung. Haben Sie Verständnis dafür, dass aufsteigende Industrienationen den Anspruch haben, dieses Level ebenfalls zu erreichen, koste es (sozial und ökologisch), was es wolle?
Es ist vollkommen klar, dass Schwellenländer, wie zum Beispiel China oder auch Indien, Nachholbedarf in der wirtschaftlichen Entwicklung gegenüber der westlichen industrialisierten Welt haben. Wir müssen den Schwellenländern auch diesen Nachholbedarf zugestehen. Unsere Aufgabe ist es, unter anderem durch bilaterale und multilaterale Partnerschaften dafür zu sorgen, dass diese Länder einen Weg finden, wirtschaftliches Wachstum mit dem Umweltschutz in Einklang zu bringen.
Nur so kann Wachstum auf eine nachhaltige Art und Weise dauerhaft den Menschen Wohlstand und Lebensqualität bringen. Mit einem reinen Verzichtsumweltschutz, mit erhobenem Zeigefinger von Staats wegen, werden wir diese Länder jedenfalls nicht für unsere Idee gewinnen.
Die Fragen stellte Julian Thiel.
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