Hiba Sino, 23 Jahre, 9. Semester, Uni Frankfurt, seit 2008 Stipendiatin bei der Hans-Böckler-Stiftung
In ihrer temperamentvollen Art schildert die 23-Jährige auch das Erlebnis, das ihre Auffassung davon, wie Medizin praktiziert werden sollte, geprägt hat: „Als Kind wurde ich in Syrien mit Gelbsucht ins Krankenhaus eingeliefert. Als Therapie haben mir die Ärzte mit einem glühenden Eisendraht drei Striche hinter das Ohr gemacht. Die Narben sieht man heute noch.“
Ihr Vater bekam gegen seine Rückenprobleme eine ähnliche Behandlung, ihm wurde ein glühender Eisenstempel auf den Fuß gedrückt. „Auch wenn die Behandlungsstandards mittlerweile besser sind, nach dieser Erfahrung fragte ich mich: Ist das wirklich Medizin, die hier betrieben wird? Was könnte man anders machen? Seitdem wollte ich Ärztin werden“, berichtet die junge Kurdin.
Um ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen, zogen Hibas Eltern im September 2000 mit ihren vier Kindern nach Deutschland. Ihre erste Station war Weilerswist bei Köln. Dort kam die damals elfjährige Hiba in die 7. Klasse einer Gesamtschule. Deutsch konnte sie noch nicht, lernte es aber schnell, genauso wie Englisch und später Latein. „Ich war in den Naturwissenschaften stark. Am meisten Spaß hat mir aber immer Mathe gemacht“, erinnert sich die Studentin.
In der zwölften Klasse war es auch Hibas Matheleistungskurs-Lehrer, der die Jahrgangsbeste im Kurs motivierte, sich um ein Stipendium zu bewerben. Er und ihre Biolehrerin schlugen sie der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) vor und schrieben die nötigen Gutachten. Die Briefe überzeugten: Die Abiturientin wurde von der HBS zum Bewerbungsgespräch eingeladen.
„Mit den Dozenten unterhielt ich mich unter anderem über die Situation meiner Familie in Deutschland. Anfangs lebten wir in einem sehr kleinen, ziemlich heruntergekommenen Haus. Wegen der Aufenthaltsbestimmungen durften wir aber erst einmal nicht umziehen“, berichtet Hiba. Auch die finanzielle Situation der Familie war angespannt, fügt sie hinzu: „In Syrien waren wir durchaus wohlhabend, aber hier müssen meine Eltern, die nicht in ihren Berufen arbeiten können, meine Geschwister und ich auf vieles verzichten.“
Trotzdem bereut Hiba den Umzug nach Deutschland nicht, sie fühlt sich wohl hier - auch in ihrer Studienstadt Frankfurt. Ihre Jugend in Deutschland habe sie grundlegend verändert, sagt sie: „Alles ist anders als in Syrien: mein Lebensstil, meine Kleidung und wie ich über viele Dinge denke. Das darf man nicht missverstehen: Ich bin immer noch eine gläubige Muslima, ich bete und faste. Ich bin auch eine stolze Kurdin, aber gleichzeitig bin ich eine sehr emanzipierte Frau“, erklärt das zierliche Kraftpaket.
Mit ihrer Leidenschaft und Zielstrebigkeit überzeugte Hiba auch die HBS, die sie als Stipendiatin aufnahm. Die Förderung ermöglichte ihr, sofort nach dem Abi mit dem Studium zu beginnen. Dass aus der Medizin Zahnmedizin geworden ist, begründet sie so: „Ich arbeite gerne mit den Händen, und in der Zahnmedizin ist alles sehr handwerklich, man kann richtig zupacken.“ In der Humanmedizin sah sie dafür wenig Raum.
An der Zahnmedizin gefallen der Studentin viele Dinge. „Man trifft unter anderem Patienten, die Schmerzen haben - die kann ich ihnen nehmen. Es freut mich auch, Menschen zu helfen, die wegen der schlechten Ästhetik ihrer Zähne psychisch beeinträchtigt sind“, hält sie fest.
Davon, dass sie die richtige Berufswahl getroffen hat, ist Hiba restlos überzeugt, seit sie samstags in einer Zahnarztpraxis jobbt: „Die Arbeit macht mir unglaublich viel Spaß. Ich komme abends nach Hause, manchmal nach einer Zwölf-Stunden-Schicht, und denke einfach nur: Das möchte ich gerne - statt nur einmal die Woche - jeden Tag machen.“
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