Diskriminierungen sind fast immer die Folge von Informationsdefiziten. Diese kann man leicht beheben: Bei allen Virusinfektionen gibt es eine große Zahl Betroffener, die nichts von ihrer Infektion wissen. „In Surveys der European Liver Patients Association (ELPA) kannten sogar bis zu 90 Prozent der HBV- oder HCV-Infizierten ihren Infektionsstatus nicht“, schreibt das Epidemiologische Bulletin des Robert Koch-Instituts 2012. Bei HIV wird diese Zahl auf rund 30 Prozent geschätzt.
Also kommen auch zum Zahnarzt Patienten in die Praxis, die von ihrer Hepatitis B-, C- oder HIV-Infektion nichts wissen und völlig normal behandelt werden. Diese Patienten haben in der Regel hohe Viruskonzentrationen in ihrem Blut (Viruslast). Die Konsequenz daraus kann nur heißen, bei jedem Patienten davon auszugehen, dass eine Infektion vorliegen kann und alle Maßnahmen immer und in gleicher Weise daran auszurichten - in einer leb- und verantwortbaren Weise.
immer die Hygieneregeln befolgen
Wer bei einem Patienten mit bekannter Hepatitis- oder HIV-Infektion plötzlich anfängt, andere Hygienestrategien zu verfolgen oder andere Termine zu vergeben, zeigt damit nur, dass sein Hygienestandard allgemein nicht auf der Höhe ist.
Das Gros der Patienten, dessen Hepatitis B- oder HIV-Infektion bekannt ist, wird heute antiviral
behandelt, weil die Behandlungen gut verträglich sind und alle Daten für eine dauerhafte Behandlung sprechen. Damit wird bei beiden Erkrankungen die Infektiosität so drastisch gesenkt, dass annähernd Nichtinfektiosität erreicht wird.
Beispielsweise wird HIV- und Hepatitis-B-positiven Müttern zwecks Infektionsprophylaxe nicht mehr zur Sectio, sondern häufig zur vaginalen Entbindung geraten, obwohl es bei der Geburt zu massivem Schleimhaut- und oft auch Blutkontakt kommt. Diskordanten Paaren (HIV+ / HIV-) mit Kinderwunsch wird Mut gemacht, die Befruchtung auf natürliche Weise vorzunehmen.
Es hat sich eingebürgert, bei HIV-Patienten im Falle geplanter Eingriffe nach der aktuellen Viruslast zu fragen. Tatsächlich ist das Infektionsrisiko am geringsten, wenn die sogenannte Viruslast ganz unter der Nachweisgrenze liegt. Wirklich logisch ist die Frage trotzdem nicht: Regelmäßig bedient man Patienten mit hoher, aber unbekannter Viruslast völlig normal.
Und wenn die Viruslast unter Behandlung nicht immer vollständig unterdrückt ist, was bei etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten der Fall ist, so ist sie in der Regel doch ungleich niedriger als beim Unbehandelten. Die Infektiosität dieser Patienten ist damit weit unter dem Durchschnitt derer, die nur als nicht infektiös gelten, weil niemand von der Erkrankung weiß.
Also: Keine Sondermaßnahmen bei Patienten, die angeben, mit Hepatitis B, C oder HIV infiziert zu sein! Immer und bei jedem Patienten einen bestmöglichen Schutz gewährleisten. Diese klare, einfache Botschaft ausreichend bekannt zu machen, ist selbst in Fachkreisen bis heute nur teilweise gelungen.
In Baden-Württemberg haben sich viele Beteiligte und Betroffene - AIDS-Hilfen, Beratungsstellen, das Landesgesundheitsamt, HIV-Schwerpunktärzte, das Sozialministerium, die Zahnärztekammer, Medien - zusammengetan, um das Problem gemeinsam anzugehen. Flankiert durch mehrere Publikationen und ein eigens von DAIG und DAGNÄ verfasstes Grundsatzpapier wurde eine Serie von Fortbildungen entwickelt, die bisher etwa 2.000 Zahnärzte erreicht hat.
Damit sind noch längst nicht alle Fragen und Probleme aus der Welt geschafft, aber es ist eine Atmosphäre guter Kommunikation und Kooperation entstanden, und die Klagen über Ablehnungen oder Hintanstellungen haben spürbar abgenommen.
Dr. med. Albrecht Ulmer ist Mitglied der International AIDS-Society (IAS) und vielen anderen Vereinigungen, die sich dem Kampf gegen HIV verschreiben. Der Allgemeinmediziner leitet eine Schwerpunktpraxis für HIV, Infektiologie und Suchtmedizin in Stuttgart. Hier stellt er anlässlich einer Aufklärungsveranstaltung der 15. Müncher AIDS- und Hepatitis-Tage klar, wie Ärzte mit HIV-Patienten umgehen sollten.
Das Papier von DAIG und DAGNÄ zum Download.
Keine Kommentare