Was für einen Stellenwert hatte die Zahnpflege in der Bevölkerung Ende des 19. Jahrhunderts? Welche Menschen konnten sich Zahnbehandlungen überhaupt leisten?
Andreas Haesler: Es war - wie in vielen Bereichen des Lebens im 19. Jahrhunderts - auch in der Zahnpflege eine gewaltige Umbruchzeit. Zahnbürsten, Reinigungsinstrumente, Zahnstocher und Zahnpulver sind zum Teil schon Tausende Jahre alt. Nur in den Köpfen - oder besser in den Mündern - war dies noch nicht angekommen.
Die Zahnhygiene war ein Privileg der obersten Klassen und der von Gelehrten, die sich mit diesen Themen befassten. Selbst davon aber reinigte sich nur ein kleiner Prozentsatz wie Elisabeth von Österreich und Napoleon die Zähne regelmäßig. Dagegen hatten Goethe, Ludwig II. von Bayern und Friedrich der Große sehr schlechte Zähne aufgrund der mangelnden Hygiene. Sehr unterschiedlich waren die Ansichten und die Ausübungen zur Zahnpflege. Die allgemeine Bevölkerung nahm wenig Notiz davon oder wurde durch eine weit verbreitete Unwissenheit eher in die Irre geführt.
A. H. A. Bergmann entwickelte 1852 eine Zahnseife. Er experimentierte und suchte so lange bis er anti-bakterielle Substanzen fand und diese für seine völlig neue Zahnseife verwendete. Ein wichtiger Ansatz zur Zahnhygiene war gefunden, die Zahnbürste gibt es seit 1493 aus China kommend und der Zahnstocher ist wohl so alt wie der Mensch selbst.
Wie lief eine klassische Zahnbehandlung eines Durchschnittsbürgers Ende des 19. Jahrhunderts ab?
Ähnlich wie bei der Entwicklung der Zahnhygiene gab es schon wissenschaftliche Literatur und Entwicklungen. Es war eine große Umbruchzeit, man traf sich noch beim Schmied, Barbier und so manchem Scharlatan, um sich einer Zahnbehandlung zu unterziehen. Ebenso gab es schon einen kleinen Kreis an wirklich gut ausgebildeten Zahnärzten, denen aber oftmals noch die richtigen Materialien und Instrumente fehlten.
So gab es die Zange schon fast 2.000 Jahre, gängig war der Zahnschlüssel zur Extraktion, dagegen fehlte es an allem anderen. Nach 1850 geht es rasant los mit Füllungsmaterialien, der Verarbeitung von Kautschuk zur Prothesenherstellung, die Entwicklung der Bohrmaschinen, der elektrischen Bohrmaschine, der Schmerzausschaltung, und das Rad drehte sich immer weiter und schneller.
Kariöse Infekte wurden zu dieser Zeit noch mit Glüheisen ausgebrannt und anschließend mit flüssigem Blei aufgegossen. Blei heißt im französischen Plomb, daher die Bezeichnung Plombe. Eine Zahnbehandlung hing im 19. Jahrhundert sehr vom finanziellen Vermögen ab, sicher auch von der regionalen Situation, die im Ländlichen sicher wesentlich schlechter war und in den Zentren schon bedeutend besser.
Andreas Haesler ist der Kurator des historischen Dentalmuseums in Zschadrass.
Gehörte es damals schon zum Allgemeinwissen, sich mindestens zweimal am Tag die Zähne zu putzen?
Im 19. Jahrhundert war die Aufklärung erst in den Anfängen, während der Wunsch nach „schönen Zähnen“ schon da war und sicher die gesamte Entwicklung auf diesem Gebiet immer wieder aufs Neue beflügelte. Es waren noch viele Pionierarbeiten notwendig, um das Bewusstsein für die Zahnhygiene zu entwickeln und immer weiter voranzutreiben. Für die breite Bevölkerungsschicht gilt dies erst ab den 1920er Jahren.
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