Die Zahl der Pflegeheimbewohner, bei denen die Mund- und Zahnpflegeleistungen ihren Bedürfnissen und Gewohnheiten entsprechend erbracht worden ist, steigt im aktuellen Pflege-Qualitätsbericht des MDS auf 85 Prozent. Ein Grund zum Feiern?
Wolfgang Dr. Eßer: Diese Zahl des MDS ist für uns nicht nachvollziehbar. Fakt ist, dass die Mundgesundheit von Älteren, Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung nach wie vor signifikant schlechter ist, als die der übrigen Bevölkerung.
Pflegebedürftige können sich oftmals nicht mehr ausreichend selbst um ihre Zahn- und Mundpflege kümmern. Ihre Möglichkeiten, regelmäßig eine Praxis aufzusuchen, sind ebenfalls begrenzt. Die durch die neuen gesetzlichen Regelungen möglich gewordenen Kooperationsverträge zwischen Zahnärzten und stationären Pflegeeinrichtungen können wir als eine echte Verbesserung für die zahnmedizinische Prävention und Therapie bei diesen Patienten verbuchen.
Übergeordnetes Ziel der Zahnärzteschaft bleibt weiterhin, die unzureichende Versorgungssituation im Bereich der Pflege kontinuierlich zu verbessern. Dafür haben wir gemeinsam mit der Bundeszahnärztekammer und den Trägern der Pflege entsprechende, wissenschaftliche Konzepte erarbeitet, die mittel- und langfristig zu einem höheren Versorgungsgrad führen werden. Wenn sich dann in absehbarer Zeit die im MDK-Pflege-Report genannten Zahlen tatsächlich bestätigen lassen, wäre das ein schöner Erfolg.
Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). | KZBV-Darchinger
Druckgeschwüre, Unterernährung und Inkontinenz sind die dominierenden Themen des Berichts. Die Zahngesundheit steht noch hinten an. Warum ist gerade die Mund- und Zahngesundheit ein unverzichtbares Kriterium für Lebensqualität?
Prof. Dietmar Oesterreich: Die wissenschaftliche Forschung belegt, dass die Mundgesundheit essenziell für die Gesamtgesundheit ist. Zum einen bedarf eine gesunde, ballaststoffreiche Ernährung eines funktionierenden Kausystems einschließlich des Zahnersatzes und eines entzündungsfreien Zahnhalteapparats sowie gesunder Schleimhäute und ausreichenden Speichelfluss. Mundgesundheit bedeutet andererseits auch Lebensqualität.
Zum Aspekt der oralen Lebensqualität zählt zudem das Sprechen, das sich Mitteilen. Nicht selten nehmen Ältere aus Scham nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teil. Oder sie meiden gesunde kauaktive Nahrung, weil ihr Zahnsystem oder der vorhandene Zahnersatz dies nicht ermöglicht. Nicht zuletzt ist natürlich die Schmerzfreiheit wesentlich für die Lebensqualität.
Die engen Zusammenhänge und bidirektionalen Beziehungen zur Gesamtgesundheit, wie zum Beispiel beim Diabetes, machen ferner deutlich, dass eine gute Mundgesundheit auch im Alter die Erkrankungsrisiken senkt. Somit besitzt effektive Mundhygiene auch unter den Bedingungen der Pflege als wichtige prophylaktische Maßnahme einen entscheidenden Stellenwert für die Gesundheit und Lebensqualität des Pflegebedürftigen. Diese Erkenntnis muss sich in der Pflege weiter durchsetzen.
Prof. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK). | BZÄK-Pietschmann
Seit dem Pflegeneuausrichtungsgesetz sind Kooperationen zwischen Zahnärzten und Pflegeheimen einfacher möglich. Was kann man tun, um die Zahl der Verträge noch weiter zu steigern?
Eßer: Die Regelungen zu den Kooperationsverträgen sind seit April 2014 in Kraft. Betrachtet man die Dynamik der abgeschlossenen Verträge (bis heute mehr als 1.650 neue Kooperationsverträge mit deutlich steigender Tendenz), lässt sich die große Inanspruchnahme und der offensichtliche Bedarf für diese Versorgungsleistungen erkennen.
Wichtig ist es nun weiterhin, umfassend über die Vorteile solcher Verträge zu informieren, um die Zahl der Kooperationen stetig voranzutreiben. Im Sinne der Pflegebedürftigen sollten endlich auch die Krankenkassen aktiv werden. Bislang informieren die Kassen die Pflegebedürftigen über die neuen zahnärztlichen Versorgungsmöglichkeiten weder im Bereich der ambulanten noch im Bereich der stationären Pflege.
Im vergangenen Jahr wurde mit dem Paragrafen 22a SGB V das zahnärztliche Präventionsmanagement für Pflegebedürftige - eine langjährige Forderung der Zahnärzteschaft - in den Gesetzesentwurf aufgenommen.
Oesterreich: Mit dem neu zu schaffenden § 22a SGB V hat das Ministerium den Vorstoß der Zahnärzteschaft aufgenommen, ein zahnärztliches Präventionsmanagement für Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit dauerhaft eingeschränkter Alltagskompetenz einzuführen.
Hierdurch will man für diesen Patientenkreis einen Anspruch zur Verhütung von Zahnerkrankungen schaffen. Damit ist ein weiterer wichtiger Vorschlag der Zahnärzteschaft übernommen worden, mit dem die Gesundheit und Lebensqualität für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen nachhaltig verbessert werden soll.
Das belegt, dass unsere politische und fachliche Arbeit erfolgreich war und dass das Konzept von BZÄK und KZBV „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ - das AuB-Konzept - weitere Umsetzungserfolge verbuchen kann.
Die Fragen stellte Julian Thiel.
Keine Kommentare