Altersforschung beschäftigt sich nicht nur mit der Frage, wie die Gesellschaft alte Menschen unterstützen kann. Sie gibt auch Antworten darauf, welchen Einfluss jeder einzelne darauf hat, gut zu altern, erklärt der Gerontologe Prof. Dr. Dr. Andreas Kruse. Kruse, 58 Jahre, ist Direktor des Instituts für Gerontologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Herr Kruse, was genau ist Altersforschung?
Andreas Kruse: Man kann zwei große Bereiche unterscheiden. Zum einen geht es darum, die biologischen, physiologischen und psychologischen Faktoren von Altern sehr genau zu analysieren und zu beschreiben. Der zweite große Strang sind Interventionen, sei es in Form von Prävention, Therapie oder Rehabilitation. Eine dritte Forschungsrichtung setzt sich mit den biografischen Vorläufern des Alternsprozesses auseinander, insbesondere mit der Frage, inwiefern Entwicklungsprozesse in früheren Lebensabschnitten bis hin zum mittleren Erwachsenenalter die Entwicklung im höheren Lebensalter beeinflussen.
Das klingt nach einem sehr interdisziplinären Forschungsgebiet.
Ja, das ist ein wichtiges Element der Altersforschung. Unter anderem sind Mediziner, Psychologen, Soziologen sowie Rehabilitations- und Pflegewissenschaftler daran beteiligt. Bei uns im Institut führen wir diese Komponenten ausdrücklich zusammen, weil wir sagen, wir können das Altern im Kern nur interdisziplinär begreifen.
Welchen Einfluss kann man auf den Alterungsprozess nehmen?
Wenn wir mit einem Menschen arbeiten, bei dem deutliche körperliche Verluste zu erkennen sind, konzipieren wir ein Sport- und Bewegungsprogramm oder eine Rehabilitation, die ihn dabei unterstützt, einen Teil seiner körperlichen Leistungsfähigkeit wiederzuerlangen. Wir wissen, dass die Plastizität, also die körperliche Veränderbarkeit, bis ins hohe Lebensalter anhält.
Im kognitiven Bereich bemühen wir uns darum, ein Maß an kognitiver Stimulation zu verwirklichen, dass die Menschen unter anderem viel mehr in soziale Verantwortungsbezüge bringt. Interventionen dieser Art zeigen bis ins hohe Alter Erfolge.
Welche Fähigkeiten helfen Menschen dabei, gut zu altern?
Unsere Forschung zeigt, dass eine ganz zentrale Technik die Ausbildung und Aufrechterhaltung von Offenheit für neue Erfahrungen, Erlebnisse und Entwicklungsmöglichkeiten ist. Das bedeutet nicht, dass man vergessen soll, was man im Lebenslauf ausgebildet und entwickelt hat. Es bedeutet, dass man sich immer wieder neuen Anregungen aussetzen sollte, weil das für unsere Emotion, Kognition und Motivation essenziell ist. Man sollte im Alter außerdem die Selbstverantwortung, die Autonomie der Person, nicht aufgeben, sondern als Anspruch leben.
Kann man noch mehr tun?
Man kann Verantwortung übernehmen und versuchen, die Welt in irgendeiner Weise mitzugestalten, zum Beispiel, indem man etwas von dem weitergibt, was man aufgebaut hat. Alte Menschen sollten sich darüber hinaus bemühen, in sozialen Beziehungen zu bleiben, und bereit sein, die eigene Verletzlichkeit und Vergänglichkeit tiefgreifend zu reflektieren, aber gleichzeitig immer wieder zu erkennen, über welche Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten unsere Persönlichkeit auch im Alter verfügt. Als letztes fällt mir noch ein: Keinesfalls die körperliche Aktivität aufgeben. Sie ist für die physiologische und kognitive Leistungsfähigkeit sehr wichtig und übrigens auch für das emotionale Wohlbefinden.
Wie sieht es mit Nachsicht für sich selbst aus?
Man sollte nicht verzweifeln, wenn man bestimmte Dinge, die man früher leisten konnte, nicht mehr machen kann. Man sollte stattdessen den Versuch unternehmen herauszufinden, ob man diese Fähigkeiten auf andere Lebensbereiche verlagern kann. Das ist eine große Herausforderung, aber man sollte nicht die Fähigkeit des Alters unterschätzen, sich neuen Dingen zuzuwenden.
Stellen Sie beim Altern Unterschiede zwischen Männern und Frauen fest?
Ja. Der Gesundheitszustand von Frauen ist meist schlechter als der der Männer, wobei Männer mit größerer Wahrscheinlichkeit an einer sehr schweren Erkrankung sterben. Wir finden bei Frauen auch zum Teil etwas höhere psychische Belastungswerte, zum Beispiel eine höhere Auftretenswahrscheinlichkeit von depressiven - oder Angstepisoden.
Was wir auch nicht unterschätzen dürfen, ist, dass Frauen wirtschaftlich im Schnitt schlechter dastehen als Männer. Sozioökonomische Ungleichheit hat zur Folge, dass diejenigen Älteren, die weniger haben, auch weniger medizinische und andere Kompensationsmöglichkeiten nutzen können. Wir stellen jedoch auch fest, dass Frauen im Durchschnitt über eine höhere Kompetenz in der Gestaltung des Alltags, im Umgang mit Belastungen und im Aufbau sozialer Beziehungen verfügen.
Die Fragen stellte Susanne Theisen, freie Journalistin in Berlin. Zum Thema "Kultur des Alterns" wird in zm 3/2014 ein ausführlicher Beitrag erscheinen.
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