Prof. Meyer, hat eine Fußballmannschaft ein niedriges Durchschnittsalter, wird das in den Medien oft als Vorteil dargestellt. Was ist dran an dieser Vermutung: Ist jung tatsächlich gleichbedeutend mit schneller, gesünder und erfolgreicher?
Meyer: Ich glaube schon, dass ein junges Team im Schnitt schneller und weniger häufig verletzt ist. Dass es deshalb besser ist, heißt das nicht unbedingt. Optimal ist meiner Meinung nach eine Mischung, denn im Fußball fallen nicht nur athletische Komponenten ins Gewicht. Faktoren wie Erfahrung, Stellungsspiel, Taktik oder das Verständnis untereinander sind ebenfalls ausschlaggebend. Ich glaube eher nicht, dass man mit einer Mannschaft 21-Jähriger Weltmeister wird - selbst, wenn man vielleicht den Sprintwettbewerb aller Teams gewinnen würde.
Aber es ist schon so, dass die Spieler immer jünger in den Profifußball einsteigen. Wie lange kann man sich an der Spitze halten? Es macht sich doch bestimmt früher ein körperlicher Verschleiß bemerkbar.
Es gibt Spekulationen, dass Karrieren vielleicht nicht mehr so lange dauern werden, aber gutes Datenmaterial liegt dazu nicht vor. Es ist durchaus denkbar, dass manche Körperstrukturen aufgrund des etwas intensiveren Trainings im Juniorenbereich nicht ganz so lange ihre maximale Belastbarkeit behalten.
Im Erwachsenenbereich kommt dann im Vergleich zu früher außerdem ein vermehrtes Spielaufkommen hinzu, weil zumindest die Spitzenclubs der Bundesliga heutzutage innerhalb einer Saison an mehr Wettkämpfen als früher teilnehmen. Die Spielbelastung hat bei deren Spielern sicherlich trotz gelegentlicher Rotation zugenommen. Insofern: Vorzeitiger körperlicher Verschleiß ist vorstellbar, aber meines Erachtens bislang unbelegt. Ich glaube auch nicht, dass solche Veränderungen innerhalb von wenigen Jahren messbar wären.
Welcher Zeitraum wäre denn realistisch?
Das ist kaum zu beantworten. Denn es gibt ja auch Entwicklungen, die dem entgegenwirken. Etwa, dass das Training anders, beispielsweise präventiver, gestaltet wird oder man vielleicht irgendwann zu der Einsicht kommt, die Zahl der Wettkämpfe zu reduzieren. Momentan sieht es zwar nicht danach aus, es ist aber nicht ganz auszuschließen.
Ist körperlicher Verschleiß also ein Thema, über das man spricht? Die Diskussion über weniger Turniere lässt das vermuten.
Die Zahl der Wettkämpfe ist auf jeden Fall ein Thema. Allerdings weniger im Sinne eines bleibenden Verschleißes, sondern eher im Sinne von Ermüdung, die sich dadurch bei den Spielern aufsummiert und zu schlechten Leistungen oder vermeidbaren Verletzungen führt. Aber: Die Vereine haben darauf reagiert, dass die Belastung größer geworden ist. Sie haben die Betreuung der Teams deshalb rein personell und auch hinsichtlich der fachlichen Kompetenz verbessert. Das wird - so darf man zumindest hoffen - bestimmten Verschleißerscheinungen vorbeugen. Auch die bereits erwähnte Rotation von Spielern wirkt natürlich in diese Richtung.
Prävention ist also heutzutage ein größeres Thema im deutschen Profifußball?
Ja, auf jeden Fall. Es wird in diesem Bereich mehr unternommen. Ich glaube zwar, dass der Präventionsgedanke grundsätzlich auch vorher schon da war, er wurde bloß nicht unbedingt damit verbunden, dass man Personal einstellt, das sich primär darum kümmert. Prävention war früher stärker alleinige Aufgabe des Trainers, der das nebenbei mitbedacht hat.
Wann hat sich das geändert?
Die Initialzündung gab meines Erachtens Jürgen Klinsmann, als er Trainer der deutschen Nationalmannschaft war. Mit ihm zog vermehrt der Gedanke ein, Experten in die Betreuung einzubinden. Weniger im medizinischen Bereich, Ärzte waren ja schon immer beteiligt. Er hat das Team beispielsweise durch Fachleute aus der Psychologie sowie Fitnesstrainer und Ernährungsexperten ergänzt.
Was genau wird heutzutage im Vergleich zu früher präventiv unternommen?
Früher bestand Prävention im Wesentlichen im Pausen machen. Das klingt platt, ist aber nicht völlig falsch. Eine Pause dient der Regeneration. Dabei belässt man es heute nicht mehr. Man denkt viel mehr darüber nach, wie die Pause denn gestaltet werden sollte. Wie lang soll sie sein? Was macht man in dieser Zeit? Ist es eine echte Pause, in der wirklich gar nichts passiert oder wird sie durch ein leichtes Training begleitet?
Ist das alles?
Die größte präventive Maßnahme ist sicherlich ein entsprechend ausgerichtetes Training. Die wichtigste Prävention ist diejenige, die Verletzungen vorbeugt. Macht man den Körper an gewissen Stellen fit und stark, werden auch Verletzungen unwahrscheinlicher - auch wenn sie natürlich nicht ganz verhindert werden können. Das zweite wichtige Element sind regenerative Maßnahmen. Mit hinein spielen auch Aspekte wie Ernährung. Sie ist selbstverständlich nicht wurscht, wird aber auch gerne überbewertet.
Achten die Spieler heute mehr auf ihren Körper?
Das würde ich schon sagen. Es wird wesentlich mehr darauf geachtet als zum Beispiel vor zehn Jahren.
Wie äußert sich das? Haben die Spieler ein größeres medizinisches Wissen?
Sie wissen mehr. Ob das jetzt auf Eigeninitiative beruht oder weil mehr Experten vor Ort sind, die ihnen etwas vermitteln, kann ich nicht beurteilen. Auch hier kann man die Ernährung als Beispiel nehmen.
Wie werden junge Spieler eigentlich für den Kader der Nationalmannschaft ausgewählt?
Der Bundestrainer und seine Co-Trainer sind regelmäßig bei Spielen zum Beispiel in der Bundesliga unterwegs und nominieren die Spieler, die ihnen gut gefallen haben. Ein paar Tage vor einem Match der Nationalelf wird der Kader veröffentlicht und die betroffenen Spieler benachrichtigt.
Gibt es besondere Untersuchungen für Spieler, die zum ersten Mal dabei sind?
Die Spieler bringen heutzutage Befunde von den Vereinsärzten mit. Beim letzten Spiel waren auch Jungs dabei, die vorher in der U21-Nationalmannschaft gespielt haben. Über sie konnte ich mich beim zuständigen Teamarzt informieren. Ich hab mir die Spieler dann zwar trotzdem nochmal geholt, aber ich habe natürlich keine Untersuchung gemacht, die vor einem Monat schon einmal gemacht wurde.
Was schauen Sie sich denn ergänzend an?
Ich unterhalte mich ausführlich mit den Spielern und leite in Abhängigkeit davon eventuell einzelne Untersuchungen in die Wege. Wenn es dem Spieler gutgeht und ich nur unauffällige Befunde habe, ist es damit eigentlich gegessen. Wenn er aber beispielsweise infektartige Beschwerden hat, würde ich wahrscheinlich eine Blutentnahme machen, um eine Behandlung festzulegen oder um ihn nach Hause zu schicken.
Wie sieht die medizinische Versorgung vor Ort in Brasilien aus?
Die FIFA hat uns mit Ansprechpartnern versorgt und wir haben dann ein Krankenhaus in der Nähe unseres Basiscamps ausgesucht. An den Spielorten gibt es dann jeweils ein Krankenhaus, das die FIFA ausgesucht hat und das für die zwei spielenden Mannschaften zuständig ist.
Haben Sie sich das Krankenhaus am Basiscamp angeschaut?
Ja, ich war dort. Die Kollegen waren super kooperativ. Man darf nicht erwarten, dass ein Krankenhaus in Brasilien genau so aussieht wie in Deutschland. Aber das ist auch ein bisschen eine kosmetische Frage. Wenn man sich die Geräte und sonstigen Einrichtungen anschaut, haben die dort eine vernünftige Ausstattung, die dem eines normalen Krankenhauses hier durchaus entspricht.
Prof. Dr. Tim Meyer ist Ärztlicher Direktor des Instituts für Sport- und Präventivmedizin an der Universität des Saarlandes. Er studierte Medizin und Sport in Hannover und Göttingen, wo er 1997 promovierte. Im Jahr 2006 folgte die Habilitation an der medizinischen Fakultät in Saarbrücken. Seit 2001 begleitet der 46-Jährige die deutsche Fußballnationalelf als Teamarzt und hat in dieser Funktion bereits drei Weltmeisterschaften und zwei Europameisterschaften mitgemacht. Zu seinen Aufgaben gehören neben der medizinischen Versorgung aller nicht-orthopädischen Probleme das Anti-Doping-Management und die Leistungsdiagnostik.
Das Interview führte Susanne Theisen.
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