Immer mehr Europäer reisen ins Ausland, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen. Niedrige Preise und im besten Fall eine exotische Umgebung locken die Medizintouristen. Zu einer der Topdestinationen hat sich dabei in den letzten Jahren das südostasiatische Thailand entwickelt. Die thailändische Tourismusbehörde wirbt sogar mit einer eigenen Website für Behandlungen in den lokalen Kliniken.
Boom in Asien
Statistische Zahlen zum Thema variieren stark. Das Gesundheitsministerium in der Hauptstadt Bangkok spricht von 2,5 Millionen Medizintouristen allein im vergangenen Jahr, während der Gesundheitstourismus-Wegweiser Novasans.com nur von circa 700.000 ausländischen Patienten in Thailand ausgeht. Die meisten Patienten kommen aus Deutschland, Großbritannien, USA, Australien, Japan und dem Mittleren Osten.
Singapur und Indien gehören ebenfalls zu den beliebtesten Zielen. Experten gehen davon aus, dass diese drei Länder 80 Prozent der weltweiten Gesundheitstouristen aufnehmen, wobei Thailand alleine 40 Prozent ausmacht. Für 2012 schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass Gesundheitstouristen mindestens 2,6 Milliarden US-Dollar in dem südostasiatischen Land ausgeben.
Hochentwickelt und erschwinglich
Was macht Thailand so populär? "Es liegt am thailändischen Gesundheitssystem", erklärt Adele Kulyk, Vorstand des Patienten-Reisebüros Global Healthcare Connections, dem kanadischen Ärzteblatt "CMAJ". "Es ist forschrittlich und bezahlbar, die zwei wichtigsten Kriterien für angehende Medizintouristen." Zudem punkte das Land mit gut ausgebildeten Fachkräften und kurzen Wartelisten auch bei komplizierten Eingriffen.
Inzwischen sind 30 thailändische Kliniken von der Joint Commission International zertifiziert. Die US-Organisation prüft Gesundheitsdienstleistungen weltweit und verleiht ihr Siegel nur bei der Erfüllung strenger Standards.
Zumindest einen Teil seiner Entwicklung zum Top-Gesundheitsziel verdankt Thailand aber auch seiner Beliebtheit als Reiseland. Für 2013 rechnet allein Bangkok mit 16 Millionen Besuchern, mehr als jede andere Stadt der Welt. Davon werden geschätzte 900.000 auch eine Gesundheitseinrichtung aufsuchen. Die Verbindung von medizinischem Eingriff und Erholungsurlaub ist für viele verlockend.
Bypass zum Kampfpreis
Das Shangri-La der Medizintouristen ist das private Bumrungrad International Hospital in Bangkok, das größte Krankenhaus Südostasiens. Das Hospital ist eine Mischung aus Klinik, Fünf-Sterne-Hotel und Einkaufszentrum. Neben modernsten medizinischen Geräten bietet Bumrungrad auch 21 VIP-Suiten, eine McDonald's- und eine Starbucks-Filiale. Es beschäftigt eigene Dolmetscher und wirbt damit, dass sein gesamtes Personal Englisch spricht.
Doch trotz allem Luxus kommen die Patienten vor allem wegen der niedrigen Kosten. Für eine Bypass-Operation inklusive einer Woche Klinikaufenthalt verlangt das Krankenhaus 19.000 US-Dollar. Ein Schnäppchen, verglichen mit den mindestens 80.000 US-Dollar, die die Operation einen Amerikaner ohne Krankenversicherung zu Hause kosten würde. Herz-OPs und orthopädische Eingriffe machen das Gros der Behandlungen in Thailand aus.
Aber auch im Bereich der plastischen Chirurgie gewinnt das Land immer mehr an Bedeutung - ebenfalls nicht zuletzt wegen der niedrigen Preise. Eine Brustvergrößerung oder eine Fettabsaugung kosten durchschnittlich ein Fünftel des Preises in Deutschland. Daneben haben sich Geschlechtsumwandlungen zu einem kleinen aber wichtigen Angebot für thailändische Kliniken entwickelt.
Arabischer Ansturm nach 9/11
Die Geschwindigkeit der Entwicklung Thailands hängt auch mit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 zusammen. Nach 9/11 reisten immer weniger Menschen aus arabischen Staaten wegen Visaproblemen, strengen Sicherheitskontrollen und Diskriminierungen bei der Einreise nach Europa und Nordamerika.
So jedenfalls erklärt der Marketingdirektor des Bumrungrad International Hospital, Kenneth Mays, den Ansturm von Patienten aus dem Mittleren Osten gegenüber "CMAJ". Im Jahrzehnt nach 9/11 habe sich die Zahl arabischer Medizintouristen auf 120.000 Besucher im Jahr verzwölffacht.
Licht und Schatten für die Einheimischen
Für den durchschnittlichen Thailänder hat der Medizintourismus-Boom allerdings auch Schattenseiten. Die Preise für bestimmte Operationen sind wegen der ausländischen, zahlungskräftigen Kundschaft für die Einheimischen gestiegen, zeigt eine Untersuchung der WHO. Zudem werben die Privatkliniken die Top-Mediziner von den öffentlichen Krankenhäusern ab, so dass die Qualität der Versorgung für die Durchschnittsbevölkerung abnimmt.
Andererseits trägt der Medizintourismus seinen Teil zum Bruttoinlandsprodukt bei und sorgt dafür, dass die Einkommen im Gesundheitssektor steigen.
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