„Ich bin außer mir vor Freude“, schreibt die Dänin Brit auf der Facebook-Seite von Be My Eyes. „Gestern Abend konnte ich zum ersten Mal einem blinden Mann helfen. Er brauchte jemanden, der ihm eine Broschüre vorliest. Danach haben wir noch über dies uns das geplaudert - wo in Deutschland er lebt, wo ich lebe und über meine Kinder.“ Nach dem Auflegen, fügt die Dänin hinzu, habe sie ihr „glücklichstes Lächeln“ auf den Lippen gehabt.
Über 100.000 Helfer, 10.000 Blinde
Mit ihrer Aufforderung „Leihe blinden Menschen deine Augen!“ haben die Macher von Be My Eyes, ein Non-Profit-Start-up aus Kopenhagen, innerhalb kürzester Zeit viele Menschen vom Mitmachen überzeugt. Brit ist eine von weltweit über 115.000 sehenden Helfern, die sich in den Wochen nach dem Launch der App am 15. Januar registriert haben. Ihnen stehen über 10.000 blinde oder sehbehinderte Menschen gegenüber. Und: Das Netzwerk wächst täglich.
Ist die Milch noch gut?
So funktioniert Be My Eyes: Blinde oder Sehbehinderte bitten über die App um Unterstützung bei einem Problem. Daraufhin wird ein sehender Nutzer über sein iPhone oder iPad benachrichtigt. Hat er oder sie Zeit, werden beide Seiten per Video-Chat miteinander verbunden, um das Problem zu lösen. Passt es gerade nicht, kann der Sehende den Anruf ablehnen und er wird an jemand anderen aus der Community weitergeleitet.
Texte vorzulesen, wie Helferin Brit es tat, ist nur ein mögliches Szenario. Es kann auch sein, dass der blinde Anrufer vergessen hat, ob die Konserve mit der Tomatensauce in seinem Vorratsschrank links oder rechts steht, dass er unsicher ist, ob die Milch im Kühlschrank abgelaufen ist, oder dass er nach einer bestimmten Hausnummer in einer ihm unbekannten Straße sucht.
Be My Eyes erreichen viele Berichte von Nutzern. Helfer Ken Kiwada aus Hawaii schrieb via Facebook: „Bisher habe ich einem blinden Paar dabei geholfen, die Düfte ihrer Badezusätze zu identifizieren. Außerdem habe ich einem jungen Mann eine Postkarte vorgelesen, die er bekommen hat. Das ist die erste App, die mich emotional so stark berührt. Der Gedanke, dass mein kleiner Beitrag einen Unterschied im Leben eines komplett Fremden gemacht hat, freut mich sehr.“
Blind Vertrauen
Be My Eyes setzt voraus, dass man seinem Gegenüber vertraut. In den Nutzerforen des iTunes-Stores wird so in manchen Beiträgen bemängelt, dass die App leicht missbraucht werden kann. Zum Beispiel indem man dem blinden Anrufer sagt, er habe Zucker statt Salz in der Hand oder ihn nicht durch eine Tür, sondern gegen eine Wand laufen lässt.
Die Macher der App haben diese Möglichkeit bedacht. Nutzer, die negative Erlebnisse haben – sowohl auf Seiten der blinden als auch der sehenden Teilnehmer –, können Missbrauch melden und die betreffenden Personen werden aus dem Netzwerk ausgeschlossen.
Helfen beim Warten
Die Idee zu Be My Eyes hatte der Däne Hans Jørgen Wiberg, selbst sehbehindert. Er sieht in der Community eine völlig neue Art des Ehrenamts. „Zu helfen, dauert nur ein paar Minuten. Das macht die App zur Chance für all diejenigen, die sich vielleicht gerne ehrenamtlich engagieren wollen, aber keine Zeit dafür haben“, erklärt der 50-Jährige. Praktisch sei insbesondere, dass man von überall aus helfen könne - von Zuhause aus, während einer Pause auf der Arbeit oder beim Warten in der Schlange an der Supermarktkasse.
Für blinde Menschen sei Be My Eyes ein guter Weg, Unterstützung zu bekommen und sich gut dabei zu fühlen, sagt John Heilbrunn, Vorsitzender einer dänischen Blindenvereinigung, die das Start-up kofinanziert hat. „Die App macht es möglich, auch in solchen Situationen selbstbewusst um Hilfe zu bitten, in denen man nicht gerne Freunde oder Nachbarn fragen würde, etwa wenn es schon sehr spät ist. Dank der App werden blinde Menschen nicht von vorneherein in eine entschuldigende Position gedrängt“, so Heilbrunn.
Das bestätigt eine Rückmeldung, die Be My Eyes von der blinden Tiffany Kim aus Santa Barbara erreichte. Sie schreibt: „Ich habe versucht, die Geschmacksrichtung eines Tees herauszufinden. Aber wenn ich daran gerochen habe, flogen mir die Kräuter in die Nase und ich musste niesen. Eine Frau hat über ihr Telefon die Sorte für mich abgelesen. Danach haben wir uns noch ein bisschen unterhalten - das war schön. Danke für die App. Ich bin von Geburt an blind und freue mich über die vielen technischen Möglichkeiten, die es heute gibt, und die es mir erlauben, unabhängiger zu werden."
Noch holpert die Technik
Wer sich als Helfer registriert, sollte nicht erwarten, mit Anfragen überhäuft zu werden - eher das Gegenteil ist der Fall. Manche Nutzer, so ist auf Facebook zu lesen, warten seit Wochen auf den ersten Anruf. Das ist wenig verwunderlich, denn die Zahl der Freiwilligen übersteigt die der Blinden und Sehbehinderten zurzeit um mehr als das Elffache.
Noch holpert die Technik an manchen Stellen. Auf Facebook schreiben einige User, dass sie um Hilfe gebeten, aber keine Antwort bekommen hätten beziehungsweise vergeblich versucht hätten, einen Anruf anzunehmen. Be My Eyes sammelt diese Rückmeldungen und arbeitet daran, Bugs in der App so schnell wie möglich zu beseitigen. Übrigens: Da Be My Eyes ein Open Source-Projekt ist, kann jeder mit Programmierkenntnissen dazu beitragen.
Zurzeit arbeitet das Start-up an einer Version für Android-Geräte. Bis zur Fertigstellung könne es aber noch eine Weile dauern, betonen die Macher.
Eine wichtige Info für User: Im Rahmen der Nutzung der App und der Website von Be My Eyes sammelt das Start-up Informationen, die es einerseits ermöglichen, die Services zu optimieren, es aber andererseits erlauben, Nutzern personalisierte Werbung zu zeigen. Über seine Privacy Policy informiert Be My Eyes ausführlich auf seiner Website.
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